Kreis Wesel. Für den Sozialverband VdK haben sich durch die Pandemie viele Probleme verschärft und neue aufgetan: Kritik an Politik und Behörden.

Ist es eine Berufskrankheit, wenn Menschen, die in einem Krankenhaus arbeiten, sich mit Covid anstecken? Haben austherapierte, offiziell als genesen geltende Covid-Patienten Anspruch auf eine Reha? Auf Schwerbehinderung, wenn sie unter „Long-Covid“ leiden, also nach der Krankheit noch immer massive gesundheitliche Beeinträchtigungen haben? Fragen, die auf den Sozialverband VdK jetzt vermehrt zukommen – und auf die es weder medizinisch, noch juristisch bislang befriedigende Antworten gibt.

Rechtsberatung des VdK ist auch in der Krise gefragtPolitik und Verwaltung erteilt Horst Vöge, VdK-Vorsitzender am Niederrhein, miese Noten. Er fordert einen transparenten Dialog zwischen der staatlichen Verwaltung und der Zivilgesellschaft: Die Corona-Entscheidungen seien nicht vom Interesse der Bevölkerung geleitet gewesen. „Es gab eine Unzahl an Corona-Verordnungen in NRW, mehr als 20. Ich behaupte mal: Das versteht kaum noch jemand!“ Die Behördensprache müsse für Normalbürger übersetzt werden.

Kaum Kommunikation zwischen den Gesundheitsämtern – dort wurde lange gespart

Eine Netzwerkkultur in Kommunen, Land und Bund sei zudem notwendig, um für Pandemiefälle vorbereitet zu sein. „Die Gesundheitsämter waren in der Vergangenheit die Sparbüchsen. Sie sind kaum digitalisiert, Nachrichten fallen durch weil die Gesundheitsämter im Kreis Kleve, im Kreis Wesel und der Stadt Duisburg nicht die gleiche Software nutzen“, kritisiert er. Der VdK Niederrhein ist für diese drei Bereiche zuständig. Chronisch Kranke, Pflegende und Menschen mit Migrationshintergrund seien nicht gut erfasst im System der Impfkampagne, „für Analphabeten ist es schwierig, sich im Internet zurecht zu finden“. Zwar arbeiteten die Impfcenter professionell und flott, „aber der Weg dorthin ist sehr steinig“ – besonders für Alte, Pflegebedürftige und Migranten.

Sozialverband VdK Niederrhein kritisiert Corona-KreispolitikDie Behörden haben die Grundrechte der Pflegenden und der Pflegebedürftigen ignoriert, indem sie eine Kontaktsperre verhängten, kritisiert der VdK-Vorsitzende. „Das ging bis hin zur Fixierung und dem Einschluss Demenzkranker.“ Menschen seien sehr einsam gestorben.

Behörden haben die Netzwerke für Pflegende komplett aufgelöst

Pflegende Angehörige habe das System allein gelassen, „es sind ganze Netzwerke zusammengefallen, weil Tages- und Kurzzeitpflege nicht mehr möglich waren“. Hinzu sei das Einreiseverbot osteuropäischer Pflegekräfte gekommen. Vöge fordert ein Netzwerk der Wohlfahrtsverbände mit Pflegeheimen und ambulanten Diensten, um so etwas für die Zukunft zu vermeiden.

Covid habe auch die soziale Ungleichheit verschärft: Menschen mit prekären Einkommen seien einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt. „Hier sehe ich Handlungsbedarf. Es reicht nicht, wenn Uschi Glas und Günter Jauch für die Impfung werben, wenn viele Menschen das nicht verstehen können – und die auch gar nicht kennen.“ Menschen mit türkischen, ost- und südosteuropäischen Wurzeln beispielsweise, hier müsse geworben und aufgeklärt werden. Und zwar so, dass es verstanden werden kann.

Long-Covid-Erkrankte haben kaum eine Chance auf Gerechtigkeit

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Die Ungleichheit setze sich im Arbeitsmarkt fort: Menschen mit Behinderung oder prekärem Einkommen seien in der Pandemie von Arbeitslosigkeit besonders bedroht. „Sie erhalten kein Kurzarbeitergeld, werden eher entlassen. Dann heißt es: „Wenn wir wieder etwas haben, melden wir uns“. Der VdK verlangt Lösungen für mehr soziale Gerechtigkeit.

Juristin und Geschäftsführerin Svenja Weuster konkretisiert die Probleme, vor denen Long-Covid- Erkrankte und ihr rechtlicher Beistand stehen. „Das ist rechtlich nirgendwo vorgesehen. Ist es eine Lungenerkrankung oder eine Schmerzerkrankung?“Es gebe kaum Mediziner, die Atteste ausstellen können - das aber brauchen die Juristen. Wenn Pflegepersonal sich angesteckt hat und unter Long-Covid leidet: Wie lässt sich das beweisen? „Die Medizin ist noch nicht so weit. Entsprechende Verfahren kommen nicht weiter.“

Corona hat die Arbeit des Sozialverbandes verändert

Die Mitgliederzahlen des VdK Niederrhein (die Kreise Wesel und Kleve plus Duisburg) sind in 2020 erneut gestiegen auf 30.524 Mitglieder im Dezember 2020, dies entspricht einer Steigerung von 3,74 Prozent. Am Stichtag 31. Dezember gab es 13.418 Mitglieder im Kreis Wesel, der 26 Ortsverbände hat. Die Arbeit des Ehrenamtes ist in den Ortsverbänden des VdK durch Corona fast zum Erliegen gekommen.

Durch Corona hat sich eine große Änderung in der Rechtsberatung und somit in den Sprechstunden ergeben: Während der Lockdowns gibt es keine Sprechstunden. Im Sommer waren Gespräche mit Terminvergabe möglich, in begrenzten Ausnahmefällen. Alles andere läuft über Briefpost, E-Mail und Telefon.

Die VdK-Mitarbeiter stellen eine gewisse Corona-Gereiztheit der Menschen fest: Viele Mitglieder erwarten schnellere Antworten und Lösungen, werden unhöflich.

Das Postaufkommen seit März 2020 ist bis heute enorm gestiegen. 2020 hatte der Kreisverband am Niederrhein 35.809 Posteingänge. Behörden, Krankenkassen und Gerichte arbeiten ab, was seit Mitte letzten Jahres liegen geblieben ist, manches dauert länger.

Fünf Volljuristinnen und ein Referendar arbeiten für den VdK, im Juli soll eine weitere Volljuristin hinzu kommen. Thema ist das Sozialrecht: Erwerbsminderungsrenten, Schwerbehinderung, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Pflegeversicherung, Krankenkasse beispielsweise. Der VdK vertritt seine Mitglieder vom Antrags-, Widerspruchs- und Klageverfahren bis zur Berufung in die zweite Instanz (Landessozialgericht Essen)

Rund ein Drittel der Anrufe in der Rheinberger VdK-Geschäftsstelle hat in der Pandemiezeit andere Gründe: Vor allem ältere Menschen suchen häufig jemanden, mit dem sie einfach mal sprechen können, leiden unter Kontaktarmut und finden für ihre Probleme keine Lösungen.