Am Niederrhein. Noch nie hatte der Sozialverband VdK am Niederrhein so viele Mitglieder wie heute. Nehmen die Probleme im Alter zu? Ein Gespräch mit Horst Vöge.

Kurz vor Weihnachten wurde er 72 Jahre. Fragt man Horst Vöge, ob es schön ist, alt zu sein, antwortet er: „Jeder Lebensabschnitt hat seine Vor- und Nachteile. Ich genieße es.“ Dazu gehört auch die Lobbyarbeit beim VdK, dem früheren „Verband der Kriegsbeschädigten“, der am 28. Januar sein 70-jähriges Bestehen auf Bundesebene feiert und heute mit fast zwei Millionen Mitgliedern als größter Sozialverband in Deutschland gilt. Der ehemalige Landtagsabgeordnete der SPD wohnt in Dinslaken und ist Vizepräsident des VdK Deutschland, Vorsitzender des VdK NRW und VdK-Kreisverbandsvorsitzender am Niederrhein.

Herr Vöge, der Wirtschaftsjournalist Michael Opoczynski beschreibt in seinem Buch „Aussortiert und abkassiert“ die späte Lebensphase als einen großen Problemfall.

Ich weiß, dass der Autor Bücher schreibt, die sehr reißerische Titel haben: „Krieg der Generationen“, zum Beispiel. Jedenfalls sehe mich nicht als aussortiert an, schon gar nicht als abkassiert. Ich stehe mitten im Leben, bin sehr lebensfreudig und kann die schönen Seiten des Lebens genießen.

Probleme im Alter kennen sie aus ihrer Arbeit beim VdK. Im Kreisverband am Niederrhein ist die Zahl der Mitglieder wieder gestiegen, auf jetzt 29.643. Machen Sie so gute Arbeit oder ist die Sozialgesetzgebung zu kompliziert oder ungerecht?

Einerseits leisten wir gute Arbeit. Wir genießen ein hohes Vertrauen bei unseren Mitgliedern und haben eine große Resonanz bei den Behörden und Sozialgerichten. Andererseits ist die Sozialgesetzgebung komplizierter und juristisch ausgefeilter geworden, häufig nicht verständlich für den Laien. Und manche empfinden diese auch als ungerecht.

Horst Vöge, Vorsitzender des Sozialverbands VdK am Niederrhein, der auch auf landes- und Bundesebene führende Rollen inne hat.
Horst Vöge, Vorsitzender des Sozialverbands VdK am Niederrhein, der auch auf landes- und Bundesebene führende Rollen inne hat. © FUNKE Foto Services | Sebastian Konopka

Die meisten ihrer Mitglieder, knapp 60 Prozent, sind zwischen 45 und 65 Jahre alt. Weil...

… der Arbeitsmarkt sich verändert hat. Viele Menschen haben gesundheitliche Probleme, können nicht mehr ihre volle Arbeitskraft einsetzen und beantragen eine Erwerbsminderung oder die volle Erwerbsunfähigkeitsrente. Früher waren davon meist Menschen mit schwerer körperlicher Arbeit betroffen, Dachdecker oder Maurer, mittlerweile gehören auch viele Angestellte im Dienstleistungsbereich dazu, die auf Grund der Arbeitsverdichtung Probleme haben.

Die Mehrheit ihrer Mitglieder ist mittlerweile weiblich. Heißt das: Frauen leiden verstärkt unter altersbedingter Benachteiligung?

Immer mehr Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt tätig. Aber gerade sie sind von mangelnder Rente betroffen. Oft haben sie erst die Kinder betreut, dann die Angehörigen gepflegt, ihnen fehlen Zeiten der Erwerbstätigkeit. Ihnen fehlt aber auch die Anerkennung ihrer Leistungen, die auch eine Entlastung der Allgemeinheit sind.

Im Antidiskriminierungsgesetz von 2006 ist ausdrücklich auch die Ungleichbehandlung aus Altersgründen untersagt. Ist diese in der VdK-Rechtsberatung ein Thema?

Weniger in den Sprechstunden, mehr in unseren Versammlungen. Etwa gibt es Altersgrenzen in der Gerichtsbarkeit, bei ehrenamtlichen Richtern und Schöffen, deren Nachbesetzung ein Problem sein kann. Auch ist es für Ältere schwierig, bei Banken Kredite zu bekommen, damit sie ihre Wohnung altersgerecht umgestalten können. Oder Stichwort Autoversicherung, die bei einigen Anbietern automatisch ab dem 60. Lebensjahr teurer wird.

Die Rechtsberatung ist ein Schwerpunkt der VdK-Verbandsarbeit. 2019 führten sie allein in den Kreisen Kleve und Wesel sowie in der Stadt Duisburg rund 12.000 Einzelgespräche. Was also ist faul im Staate Deutschland?

Neben den 12.000 Einzelgesprächen, die man bei uns im Kreisverband persönlich führen muss, kommen weitere 10.000 Telefonate dazu. Viele Menschen sind einfach verunsichert. Uns geht es um eine kompetente und seriöse Beratung, unsere Berater erhalten keine Erfolgsprämien.

Kommunalwahl 2020: Pflegenotstand, ÖPNV und andere Mängel

Im vergangenen Jahr erstritt der VdK-Kreisverband am Niederrhein knapp 1,5 Millionen Euro an Geldleistungen für seine Mitglieder. Wie ist die Zahl einzuordnen?

Unseren Erfolg kann man nicht an dieser Gesamtzahl messen. Die Mehrheit unserer Mitglieder sind keine Rentner, die 2.500 Euro pro Monat zur Verfügung haben. Für sie bedeuten fünf Euro mehr im Monat schon einen Gewinn. Für sie ist der VdK mitunter der letzte Anker.

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Der VdK Kreisverband am Niederrhein hat fast doppelt so viele Mitglieder wie die AG 60plus der SPD im Bezirksverband Niederrhein an Genossinnen und Genossen vertritt. Ihr Sozialverband ist eine Macht!

Wir sind weder eine parteipolitische noch eine konfessionelle Macht. Wir sind eine Macht für unsere Mitglieder. Diese versuchen wir auszuspielen. Ich habe kein schlechtes Gewissen dabei, auch andere haben ihre Lobbyverbände.

An Missständen in den Kreisen Kleve und Wesel mangelt es nicht. Es gibt viel zu wenige Landärzte, einen völlig unzureichenden ÖPNV, große Defizite einer barrierefreien Infrastruktur... Wird der VdK sich wieder in den Kommunalwahlkampf einmischen?

Es gilt zu beachten: Der VdK verfügt über kein politisches Mandat. Mit unserer Arbeit nehmen wir eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahr. Wir werden uns konkret mit fachlichen Fragen einmischen.

2020 setzt der VdK als Schwerpunktthema die Pflege. Der Begriff Pflegenotstand kam in Deutschland erstmals in den 1960er (!) Jahren auf. Werden wir auch in den nächsten 60 Jahren damit leben müssen?

Den Notstand bei Fachkräfte werden wir nicht von heute auf morgen lindern können. Mit diesem Mangel werden wir in den nächsten Jahren weiter leben müssen. Ohne davon abzulassen, Verbesserungen zu erreichen. Doch dies wird wohl eher schneckenhaft vor sich gehen.

Wie hält sich Horst Vöge fit im Alter? „Ein wenig Sport, Freude am Leben, ein paar intellektuelle Dinge.“
Wie hält sich Horst Vöge fit im Alter? „Ein wenig Sport, Freude am Leben, ein paar intellektuelle Dinge.“ © Funke Foto Service | Sebastian Konopka

Die demografische Entwicklung wird weitergehen. Die Bevölkerung wird weiter altern, der Bedarf an Pflegeplätzen und Pflegekräfte wird weiter steigen. Viele Kommunen sind pleite, wer soll das bezahlen?

Experten kennen das Problem, erkennen es auch an, fragen dann aber nach der Finanzierung. Eine Grundsatzfrage. In Nordrhein-Westfalen wird es bis zum Jahr 2050 eine Million pflegebedürftige Menschen geben. Diese Aufgabe werden wir nur gesamtgesellschaftlich bewältigen können. Zur Finanzierung brauchen wir, neben Beiträgen zur Pflege jedes einzelnen, eine veränderte Steuergesetzgebung. Auch Rentner bezahlen übrigens Steuern: 2019 allein 34 Millionen Euro.

Zum Schluss, eine konkrete Forderung des VdK lautet: Die Anerkennung der Pflege von Angehörigen durch Rentner bei der Rentenberechnung, ähnlich der Kindererziehungszeit.

Wir stehen in intensiven Gesprächen mit den Bundestagsfraktionen, um die Anrechnungszeit der Rente zu ändern. Dazu zwei Zahlen: Mehr als die Hälfte aller Pflegebedürftigen am Niederrhein, etwa 66.000 Menschen, werden durch Angehörige gepflegt. Das entspricht der Leistung von 2.500 hauptberuflichen Pflegekräften. Wer die Gesellschaft auf derartige Weise entlastet, braucht eine Hilfestellung im Alter.

Über den VdK am Niederrhein: Infos und Kontakt

Der Kreisverband des VdK am Niederrhein hat fast 30.000 Mitglieder, Tendenz steigend. Es gibt 52 Ortsverbände: 26 im Kreis Wesel, 15 im Kreis Kleve sowie elf in der Stadt Duisburg. Die Kreis-Geschäftsstelle findet sich in Rheinberg, Kontakt: 02843/95 92 0.

Der Mitgliedsbeitrag beträgt 5,50 Euro pro Monat. Für die Übernahme von Rechtsvertretungen fallen bestimmte Gebühren an, zum Beispiel 30 Euro für ein Widerspruchsverfahren.

Die Experten des VdK (Volljuristin und Sozialbetreuer) bieten ihre Rechtsberatung ausschließlich in persönlichen Sprechstunden an sechs Standorten im Kreis Kleve, an vier im Kreis Wesel und an drei in der Stadt Duisburg an.

Infos im Internet: www.vdk.de/kv-am-niederrhein.