Schermbeck/Hünxe. 52.502.000 Euro - laut Gutachten könnte das die Summe sein für “Maximalmaßnahmen“ zur Gefahrenabwehr, die vom Mühlenberg in Schermbeck ausgehen.

Auch im neuen Jahr 2021 werden sich viele Schermbecker fragen, ob beziehungsweise welche Gefahren von der ehemaligen Mühlenberg in Gahlen ausgehen, wo nachweislich zigtausende Tonnen giftige Stoffe eingelagert wurden. Einerseits war das von allen Seiten gelobte dritte Gutachten, das das Umweltministerium in Auftrag gegeben hatte, eine Art Abschluss jahrelanger Untersuchungen. Andererseits gilt es jetzt, die richtigen Konsequenzen aus den von den Gutachtern aufgeführten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ziehen. Dass diese nicht zum Nulltarif zu haben sein werden, ist wohl jedem klar. Die entscheidende Frage in den nächsten Monaten und Jahren dürfe also lauten: Wer soll das bezahlen?

Genau diesen Punkt griff Florian Schanz, Sachkundiger Bürger der SPD, kürzlich auf, als das Gutachten im Planungs- und Umweltausschuss der Gemeinde Schermbeck ausführlich und teils auch sehr emotional diskutiert wurde – unter anderem mit den Gutachtern, Vertretern des Kreises Wesel, der Bezirksregierung und des NRW-Umweltministeriums.

Betreiber-Firma Nottenkämper mit einem Jahresumsatz von elf bis zwölf Millionen Euro

„Im Gutachten steht, dass die Sanierungskosten zur Sickerwassererfassung - damit es alles ordnungsgemäß läuft - zwischen 15 und 50 Millionen Euro betragen“, erklärt Schanz in der Sitzung und benannte auf NRZ-Nachfrage die konkreten Stelle in dem rund 400 Seiten umfassenden Gutachten. Dort sind auf den Seiten 29 und 30 die einzelnen Sicherungsmaßnahmen detailliert aufgelistet. Abhängig von noch ausstehenden Untersuchungen, was an welcher Stelle nötig sein wird, werden dort auch konkrete Kosten genannt. Sollte es jeweils zu den „Maximalmaßnahmen“ kommen, würden laut Gutachter Nettokosten in Höhe von voraussichtlich 52.502.000 Euro anfallen.

Der SPD-Politiker rechnete vor, dass die Betreiber-Firma Nottenkämper mit einem Jahresumsatz („nicht Gewinn“) von elf bis zwölf Millionen Euro „bei weitem nicht in der Lage sein wird 50 Millionen Euro stemmen zu können“. Schanz ergänzte: „Es ist relativ klar: Nottenkämper wird dann ganz schnell die Hand strecken und sagen: Geht nicht!“ Der Sozialdemokrat stellt aber klar: „Gemacht werden muss es!“ Er formulierte sogleich die konkret Frage an Helmut Czichy, Vorstandsmitglied des Kreises Wesel: „Gibt es da Regelungen, wie 50 Millionen aufgeteilt werden müssten zwischen Land, Kreis und Gemeinde?“

Cichy antwortete darauf: „Wir gehen davon aus, dass wir einen Weg oder eine Lösung finden. Wenn das die Kapazität des Unternehmers überschreitet, stellt sich immer die Frage, wie die öffentliche Hand damit umgeht und was dann möglicherweise auch vom Steuerzahler übernommen werden muss. Dem muss man ins Auge sehen, wenn es denn so käme.“

Schanz: "Zahlen wir Schermbecker die Rechnung?"

Schanz entgegnete erbost und fragte: „Das heißt also: Wir Schermbecker haben jetzt jahrelang gerüttelt und geschüttelt, damit mal endlich einer wach wird und am Schluss zahlen wir dann auch noch die Rechnung?“ Cichy antwortete: „Es wird natürlich sehr stark darauf geachtet, dass man den Betreiber hier auch heranzieht.“

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Dennoch scheint es interessant, mal diese „Rechnung“ mit den genannten Zahlen zu konkretisieren: Mal angenommen die Sanierungskosten würden tatsächlich, die im Gutachten genannten 52.502.000 Euro betragen, und die Firma Nottenkämper könnte davon eventuell ein Drittel (also rund 17.500.000 Euro) aufbringen, dann blieben immer noch mehr als 35.000.000 Euro übrig. Damit man mal die Größenordnung erkennt: Würde diese Summe auf alle rund 14.000 Einwohner der Gemeinde Schermbeck umgelegt, würde jeder Bürger mit 2500 Euro zur Kasse gebeten. Sollten die Kosten auf alle 460.000 Bürger des Kreises Wesel umgelegt werden, würden immer noch pro Person 76,09 Euro anfallen.

Was sagen die Behörden dazu?

Die Bezirksregierung Düsseldorf erklärt als Vorbemerkung: „Aus unserer Sicht ist anzumerken, dass noch nicht klar ist, welche Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen und was sie kosten. Diese Fragestellungen sind zunächst vom zuständigen Kreis Wesel zu klären. Der vom Umweltministerium beauftragte Gutachter selbst hat dazu ausgeführt, dass für eine abschließende Gefährdungsabschätzung hinsichtlich aller relevanter Wirkungspfade erhebliche Kenntnisdefizite zur Klärung relevanter offener Fragen bestehen. Insofern möchten wir uns nicht an Spekulationen beteiligen.“

Dann antwortet die Bezirksregierung aber doch konkreter, wer die Zeche zahlen muss: „Grundsätzlich ist die Betreiberfirma für anfallende Kosten verantwortlich. Sollte die Betreiberin die verhältnismäßigen Anforderungen nicht freiwillig erfüllen, wäre die Umsetzung durch den Kreis Wesel ordnungsrechtlich durchzusetzen. Durchgesetzt werden können unbedingt notwendige Maßnahmen, die sich aus dem Abgrabungsrecht ergeben bzw. Gefahrenabwehrmaßnahmen aus dem Boden- beziehungsweise Wasserrecht.“

Auch der Eigentümer könnte bezahlen müssen

Der Kreis Wesel bringt auch den Grundstückseigentümer mit ins Spiel: „Nach den Vorgaben des hier vorrangig anzuwendenden Bundesbodenschutzgesetzes sind der Verursacher sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück zur Beseitigung von Umweltschäden mit daraus resultierender Kostentragungspflicht verpflichtet.“

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Weiter erklärt der Kreis: „Die Entscheidung darüber, welcher dieser nebeneinander gleichrangig Verpflichteten in Anspruch genommen wird, trifft die zuständige Behörde im Rahmen der Störerauswahl als Ermessensentscheidung.“

Konkret laufe das so: „Der Verpflichtete wird im Regelfall mittels einer Ordnungsverfügung zum Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen verpflichtet. Kommt er seiner Verpflichtung nicht nach, kann die Behörde den Schaden im Wege der Ersatzvornahme selbst beseitigen und die entstehenden Kosten von dem Verpflichteten zurückfordern.“ Aus Sicht von Schermbecks Bürgermeister Mike Rexforth müssten die Kosten für nötige Sanierungsmaßnahmen in dieser Reihenfolge übernommen werden: „Als allererstes natürlich der Betreiber.“

Frage nach dem Rechtsnachfolger

Doch dann würde es schwierig: „Sollte der Betreiber tatsächlich in Konkurs geraten und zahlungsunfähig werden, stellt sich die Frage: Gibt es einen Rechtsnachfolger? Wenn ja, dann sicherlich der Rechtsnachfolger.“

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Es gebe aber auch noch andere Zahlungsgrundsätze so der Bürgermeister: „Dann wäre auch zu prüfen, inwieweit der Grundstückseigentümer mit in der Haftung ist.“ Auf NRZ-Nachfrage gab Mike Rexforth an, dies müsste der Graf von Nagell aus Gartrop sein.

Auf alle Kommunen des Kreises Wesel umgelegt?

Und wenn bei diesen beiden nichts mehr zu holen sei, sei man schon bei „der Allgemeinheit“, ergänzt der Schermbecker Bürgermeister. „Dann ist die Frage: Wer ist denn dann die Allgemeinheit? Ist es der Bund, das Land oder der Kreis?“ Mike Rexforth stellt deutlich klar: „Die Gemeinde sehe ich da direkt überhaupt nicht in der Haftung - höchstens indirekt, wenn es denn der Kreis wäre: Denn dann würde der Kreis sicherlich diese Kosten umlegen auf alle kreisangehörigen Kommunen.“

Doch auch diese Umlage würde die finanziell nicht gerade auf Rosen gebettete Gemeinde Schermbeck hart treffen, müsste sie doch über eine Million Euro für ein nicht selbst verschuldetes Problem bezahlen, worunter sie selber auch noch am meisten leidet.