Hamminkeln. Vor 75 Jahren landeten 540 Transportflugzeuge sowie 1300 Lastensegler zwischen Hamminkeln und Wesel. Es gab in der Schlacht viele Tote.
Es ist der 24. März 1945. Ab 10 Uhr bricht das Kriegsgrauen über Hamminkeln herein. Die Alliierten starten die Operation „Varsity“ und setzen zur größten Luftlandeoperation im Zweiten Weltkrieg an, um dem barbarischen NS-Regime auch rechtsrheinisch ein Ende zu setzen. Am Ende von „Varsity“ standen weit über 2000 Tote, aber die Operation war erfolgreich. Der Brückenkopf über den Rhein war gelungen. Die alliierten Streitkräfte zogen am 27. März weiter Richtung Münsterland.
Seit langen Jahren gedenken die Hamminkelner dieser Operation und ihrer Opfer, aber auch der Befreiung vom Nationalsozialismus und verbinden das Gedenken mit einem „Nie wieder“. In diesem Jahr findet wegen des Coronavirus keine Gedenkfeier statt. Die Zeitzeugen und ihre Familien aus dem Ausland wurden schweren Herzens ausgeladen.
Sonst hätte sich unter anderem Ordnungsamtsleiter Ortwin Nißing um sie gekümmert. Denn er ist seit Jahren derjenige, den die Veteranen und ihre Hinterbliebenen auf Seiten der Stadt ansprechen, wenn sie kommen wollen, um sich noch einmal an den Originalschauplätzen an das Grauen zu erinnern. Oder wenn Familienmitglieder wissen wollen, wo der Vater, Opa, Onkel gekämpft hat oder gar gefallen ist.
Der Vater hat die Luftlandung erlebt
Für Ortwin Nißing ist die Operation „Varsity“ keine unbekannte Größe. Er ist mit der Geschichte aufgewachsen, kennt vieles aus den Erzählungen seines Vaters und seines Onkels. Denn die sind am Weißenstein aufgewachsen und haben die Luftlandung hautnah erlebt. „Das ist bei uns in der Familie immer ein großes Thema gewesen“, erzählt Nißing. Wie die Kinder ins Haus eingesperrt wurden,wie die Mutter fürchterliche Angst hatte. Aber auch wie die Alliierten den Kindern Süßigkeiten schenkten oder Familienmitglieder medizinisch versorgt haben.
Noch als Mitarbeiter im Hauptamt war Nißing derjenige, der das Standard-Werk des Hamminkelner Heimatforschers Johann J. Nitrowski „Die Luftlandung - Das Kriegsende im Gebiet der Städte Hamminkeln und Wesel“ von 1997 mit vermarktete und verkaufte. So kam es auch zu vielen Kontakten mit den Veteranen und ihren Angehörigen. Die wollten das Buch nämlich haben.
540 Transportflugzeuge und 1300 Lastensegler
So ist Nißing über die Jahre selbst zu einem Experten für die Luftlandung geworden. „Von den Alliierten war das ein richtiger Kraftakt. Eigentlich sollten es drei Divisionen sein, doch es gab nicht genug Transporter“, erzählt er. So machten sich die britische 6. Luftlandedivision und die 17. US-Luftlandedivision (zusammengefasst im XVIII Airborne Corps) mit 540 Transportflugzeugen sowie 1300 Lastenseglern auf den Weg. Die britische 6. Luftlandedivision bestand aus fünf britischen und einem kanadischen Bataillon.
Fast 21.000 Mann, so schreibt es Nitrowski in der Hamminkelner Chronik zum 850. Stadtjubiläum, wurden mit ihrem Material an Fallschirmen und in Lastenseglern in einem Anflug hergebracht. „Die größte Überraschung für uns Hamminkelner waren die Lastensegler, die unter deutlich vernehmbaren Sausen und Rauschen durch die Luft glitten und nahebei landeten. Fallschirme hatte man schon mal im Kino oder auf Fotos gesehen, so dass man bei ihrem Anblick wusste, dass jetzt die Kämpfe um Hamminkeln beginnen würden.“
Schwere Gefechte in Loikum
Die Alliierten hatten die meisten Verluste in der Spring- und Landephase, erzählt Nißing. Die Deutschen hätten zwar gewusst, dass eine Rheinquerung bevor stand, hatten diese allerdings in der Nähe von Borken erwartet und dementsprechend ihre Truppen verteilt. „Hier gab es frische Rekruten und Soldaten mit Handycap.
Hier wurden die letzten Reserven zusammengekratzt“, weiß Nißing und erzählt von schweren Gefechten in Loikum mehr mehr als 100 Toten. Denn die Kampfgruppe Norkus hatte sich aus Borken in Gang gesetzt und traf im Golddorf auf die Alliierten. Solches Leid, findet Nißing persönlich, gehe oft ein wenig unter.
Hamminkeln selbst verschonte das Militär, weil es auf die Infrastruktur des Dorfes angewiesen war. Anders sah es in Ringenberg und Brünen aus, wo viel zerstört wurde. Er hat ein historisches Luftbild entdeckt, in dem Ringenberg unter eine Staubwolke verschwindet.
Viele deutsche Soldaten hätten sich ergeben. Aber im Waldstück Hingendahls nahe der B 8 nach Mehrhoog lag das 3. Batterieregiment 7. Für sie sah das anders aus, erzählt Nißing: „Die haben sich über Stunden hinweg verteidigt, obwohl sie eingekesselt waren und haben erhebliche Verluste gehabt.“ Auch hier seien deutsche Soldaten, die sich ergeben haben, erschossen worden, so Nißing: „Es war nicht nur im Osten schlimm.“