Oberhausen. Die Kurzfilmtage in Oberhausen haben den 26. MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo vergeben. Der Siegerclip: verstörend und faszinierend.
Wenn Filmemacher bitten: „Sag’s noch mal. Ich bin ein bisschen betrunken!“ Und Moderatorinnen anschließend antworten: „Dafür hat’s aber ganz gut geklappt!“ Dann wissen alle: Es ist wieder Zeit für den MuVi-Preis bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen. Die Preisverleihung am sehr späten Samstagabend hat sich im großen Saal der Lichtburg zum Glück ihre eigenwillige Seele auch in für das weltweit renommierte Leinwandfestival beschwerlichen Zeiten bewahrt.
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Und ja: Es ist schon ein guter Jahrgang, der es aus 230 eingereichten Clips zum finalen Screening geschafft hat. Es wirkt wie eine kleine Oscar-Verleihung ohne Anzug, Schmalz und Protokoll. Es rascheln Nacho-Chips. Der Wein gluckert in Pappbecher. Filmemacher tragen gehäkelte Stoffmützen oder klappen Stirnkappen so verkehrt auf ihren Kopf, dass der Sonnenschutz senkrecht in die Höhe ragt. Warum auch immer.
MuVi-Preis 2024: Wie die Oscar-Verleihung ohne Anzug, Schmalz und Protokoll
Und so gibt es nach unzähligen Schmunzlern, in nicht immer wie selbstverständlich kurzweiligen anderthalb Stunden mit zehn deutschen Musikvideos, die um zwei dotierte Preise und eine Publikumsauszeichnung streiten, viele zustimmend nickende Gesichter. Die Jury um Anne Haffmans von Domino Recording, dem Journalisten Benjamin Moldenhauer und der Journalistin Shahrzad Eden Osterer landet in diesem Jahr eine logische Auswahl, die auch aus der Künstlichen Intelligenz (KI) hätte stammen können - oder eben auch nicht.
Die schöne neue Welt wird unter den launigen Musikvideos preiswürdig, wenn sie den mutierten Horror ausquetscht: Filmemacher Marc Richter flutet die KI mit viel zu langen und blödsinnigen Anfragen. „Schleim des Nichtwissens“ zeigt auf fünfeinhalb Minuten eine faszinierende wie verstörende Optik. Intensiv, anstrengend und zu Recht preiswürdig.
Die Jury meint: „Die Menschheit ist hier weitgehend am Ende. Es bleiben Chemikalien, Mutationen, Pilze und freigelegte Gehirne. Eine hybride Freakshow, in der Zerstörtheit, Beklemmung und Schönheit sich durchdringen.“ Der Lohn für die Arbeit im kleinen Horrorladen: 2000 Euro Preisgeld.
Der zweite Preis geht an Juno Melián Meinecke mit „Das Parlament der Dinge“ von der Münchner Avantgarde-Band F.S.K.: Diese Entscheidung ist quasi doppelt abgesichert. Nicht nur die Jury verguckt sich in die montierten Collage-Bilder zum fiesen Ohrwurm aus Punk und New Wave, sondern auch das Publikum. Juno Melián Meinecke heimst neben 1000 Euro Preisgeld für den Vize-Titel auch 500 Euro für den Publikumspreis ein. Die Abstimmung lief vorab über das Internet.
Kurzfilmtage Oberhausen 2024: Musikvideos ohne Mainstream - „Kürzer und knackiger“
Das Video setzt mit verbauten Super 8, VHS, Samples aus alten Filmen fast schon ein Gegenstück zur aufkommenden Computerfantasie. Die Jury findet: „Beides, Klang und Bild, wirken virtuos-dilettantisch. Uns hat besonders gut gefallen, wie die Kinderzeichnungen Text und Musik nicht einfach verdoppeln, sondern beidem weitere Ebenen hinzufügen.“
Eine lobende Jury-Erwähnung erhält zusätzlich Paula Reissig und ihr Musikvideo „Google Your New Name“ von der Multiinstrumentalistin Golden Diskó Ship.
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Der MuVi-Preis der Kurzfilmtage wirkt in seiner 26. Ausgabe alles andere als antiquiert und unbeweglich. Dass sich Clip-Werke der Mainstream-Musiker im Wettbewerb trotzdem nicht wiederfinden, wissen Besucherinnen und Besucher. Auch, dass die visuell begleitete Musik oft nur aus vagen Klang-Collagen besteht, muss man der Szene nicht erklären.
Es ist ein Jahrgang mit Musikvideos, die spürbar schneller auf den Punkt kommen. Ein Trend, den auch Moderatorin Jessica Manstetten betont: „Die Clips sind kürzer und knackiger geworden, meist ohne Prolog und Epilog.“ Monsterclips aus früheren Jahren, die beinah wie fertige Kurzfilme wirkten, fehlen diesmal komplett. Das führt auch dazu, dass die Gäste diesmal weit vor Mitternacht in die Festival-Bar wechseln können.