Oberhausen. Ein Kabarett-Versuch des Festivalchefs eröffnete die 70. Kurzfilmtage nach sehr ernsthaft gestimmten Reden zur Kunstfreiheit.
Um würdigende Rückblicke ließ sich zur Eröffnung der 70. Internationalen Kurzfilmtage nicht herumkommen. Dabei hatte ausgerechnet der Festivalchef „der Retros wirklich genug“, wie Lars Henrik Gass nach einer Stunde festlich bis ernst gestimmter Ansprachen im großen Saal der Lichtburg meinte. „Wir wollen uns ja nicht musealisieren.“ Eigentlich, so der 58-Jährige, hätte er während dieser Auftakt-Stunde des Traditionsfestivals gerne „zusammen mit Harald Schmidt für den deutschen Film gebetet“. Nicht etwa, dass der schwäbische TV-Spötter und gelernte Kirchenmusiker ihm einen Korb gegeben hätte - jedoch: „Niemand wollte für uns die Lichtburg einsegnen.“
Selbst in bedrohlich ernsten Zeiten also lässt der Redner Gass nicht von seinen kleinkünstlerischen Anwandlungen. Die anderen Redner zum Auftakt der in den Vormonaten von einer viel publizierten Boykott-Drohung getroffenen Kurzfilmtage wählten einen anderen Ton. So hatte der Oberbürgermeister sich an die Seite des von Hamas-Sympathisanten angegriffenen Festivalleiters gestellt. Als Historiker verwies Daniel Schranz in seiner Ansprache allerdings auf eine ganz andere Boykott-Situation in der langen Geschichte der Kurzfilmtage. Festivalgründer Hilmar Hoffmann hatte nach dem Mauerbau die DDR-Delegation ausgeladen: Damit war die Öffnung gen Ostblock unter dem Motto „Weg zum Nachbarn“ zunächst einmal Makulatur.
Der 1962er Ostblock-Boykott habe den noch jungen Kurzfilmtagen nicht geschadet, so das Stadtoberhaupt. Im Gegenteil: Im selben Jahr sorgte schließlich das „Oberhausener Manifest“ der jungen Filmemacher für Furore. Es habe, so Daniel Schranz, „die Entwicklung des deutschen Films deutlich mehr beeinflusst, als es die zurückgezogenen Werke je gekonnt hätten“.
„Verbeugung vor Oberhausen“ von Schlingensiefs Ex-Assistent
Der immergrüne Abgesang der rebellischen Jungfilmer an „Papas Kino“ fand ebenfalls seine Würdigung im Beitrag von Andreas Görgen: Der 57-jährige Amtschef der Bundes-Kulturbeauftragten Claudia Roth sprach in seiner persönlich gestimmten Rede von einer „Verbeugung vor Oberhausen“, die sich eben auch im „Kampf gegen den alten und für den neuen deutschen Film“ begründe. Zudem habe er als junger Jurist auch eine Assistenz bei Christoph Schlingensief (1960 bis 2010) machen dürfen - bei Oberhausens ureigenem „Enfant terrible“, nicht nur des Films, sondern vieler Künste.
Andreas Görgen zitierte Schillers Wort von der Kunst als einer „Tochter der Freiheit“ und kam damit zu den jüngsten Kampagnen gegen die Kunstfreiheit: Auch in Berlins Haus der Kulturen der Welt sah sich der Amtschef jüngst Störern gegenüber. Daher sei es ihm ein Anliegen zu sagen: „Wir schützen Sie“, so der Amtschef. „Wir verteidigen die Freiheit unserer Intendantinnen und Intendanten. Das gilt für jede Kultur-Institution.“ Der 57-Jährige verwies auf die solidarische Tradition des 1. Mai: „Humanität ist kein Besitz, sie ist ein Aufruf.“
Für Landes-Kulturministerin Ina Brandes stellen die 70. Kurzfilmtage genau die richtige Frage, um die auch das bereits am Nachmittag eröffnete Diskussionspodium kreiste: „Kommt die größte Bedrohung für die Kunstfreiheit aus der Kunstwelt selbst?“ Die 46-jährige CDU-Politikerin sieht alle Bürger in der Verantwortung, „sich gegen jene zu stellen, die die Werte unseres Grundgesetzes angreifen“ - und nannte konkret die „Verleumdungskampagne“ gegen Festivalchef Gass.
Der trat selbst nicht ans Rednerpult, sondern diskutierte in Sesseln plus Büchertischchen über ein gewichtiges Werk von Alexandra Schauer: „Die 700 Seiten schaffen Sie locker in vier Wochen Strandurlaub.“ Die Soziologin am berühmten Frankfurter Institut für Sozialforschung - mit 100 Jahren noch älter als die Kurzfilmtage - hat mit „Mensch ohne Welt“ eine Dissertationspreis-gekrönte Arbeit vorgelegt. Das Gespräch mit ihr, Gass und dem Filmjournalisten Rüdiger Suchsland, einem weiteren Fan dieser „Soziologie spätmoderner Vergesellschaftung“, so der Buch-Untertitel, geriet dann allerdings so bleischwer wie ein Oberseminar der alten Frankfurter Schule. Hier hätten einige weitere Kabarettversuche dem Festival-Auftakt nur gutgetan.
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