Oberhausen. Der brutale Überfall der Hamas auf Israel und der folgende Gaza-Krieg erhitzen die Gemüter - nun befürchtet man Attacken auf die Kurzfilmtage.
Die Stadt Oberhausen, die Organisatoren und die Polizei sehen sich gezwungen, die Internationalen Kurzfilmtage Anfang Mai erstmals seit 70 Jahren massiv zu schützen. Die Macher der Kurzfilmtage befürchten Attacken von Israel-Gegnern auf das sechstägige Festival in der Oberhausener Innenstadt.
Solche Ausbrüche eines Protestes von Unterstützern der palästinensischen Terrorgruppierung Hamas hat es bereits Anfang Februar in Oberhausen gegeben: Polizisten mussten mit mehreren Polizeiwagen anrücken, um eine Gruppe dunkel vermummter Personen in den Griff zu bekommen: Sie störten einen Vortrag gegen Antisemitismus im Kontext des Nahost-Krieges ausgerechnet in der Gedenkhalle lautstark, traten Stühle durch den Raum.
Humane Botschaft des Leiters der Oberhausener Kurzfilmtage löst Proteste aus
In den Fokus der Hamas-Sympathisanten gerieten die Internationalen Kurzfilmtage durch eine humane Botschaft von Lars Henrik Gass, dem seit 1997 amtierenden Festivalleiter der Kurzfilmtage. Auf der Facebook-Seite der Kurzfilmtage appellierte Gass an alle, ein starkes Zeichen zu setzen und zur Berliner Demo „Gegen Terror und Antisemitismus - Solidarität mit Israel!“ am 22. Oktober 2023 zu gehen - zwei Wochen, nachdem Hamas-Terroristen über 1200 Jüdinnen und Juden grausam ermordet hatten: „Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamas-Freunde und Judenhasser in der Minderheit sind. Kommt alle! Bitte!“ Auf der Sonnenallee in Neukölln war das Massaker der Hamas mit Süßigkeiten gefeiert worden.
Kurz danach startete die weitgehend unbekannte „International Film Community“ eine Petition und Boykott-Kampagne gegen das Kurzfilmtage-Festival. Denn Gass‘ Wortwahl diene dazu, die „Palästinenser zu entmenschlichen und zu stigmatisieren“. Er wolle „jede Person dämonisieren, die sich mit der palästinensischen Befreiung“ solidarisiere. Nichts davon findet sich zwar im Post von Gass, das Wort „Palästinenser“ wird von ihm gar nicht verwendet, aber über 2000 Kulturschaffende unterzeichneten, darunter sogar Filmkünstler, die sich schon auf dem weltweit ältesten Kurzfilmtage-Festival tummelten, und einige, mit denen Gass enge Kontakte pflegte.
Viele von ihnen verstehen sich als Teil der linken Kulturszene, die sich für die Opfer des europäischen Kolonialismus und gegen Rassismus einsetzt. Nicht wenige von ihnen unterstützen die weltweite Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen), die den Staat Israel durch umfangreichen Boykott wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will.
Der 59-jährige Festivalleiter muss fünf Wochen vor dem Start der mit jährlich 800.000 Euro von der Stadt Oberhausen unterstützten 70. Kurzfilmtage bedauernd feststellen, dass dieser Boykott-Aufruf seine Wirkung entfaltet - auch wenn die Zahl der eingesandten Filme mit 6300 schon fast wieder so hoch ist wie vor der Pandemie.
Doch von zuvor 14 internationalen Verleihern sind in diesem Jahr nur noch drei in Oberhausen dabei; Programme müssen gekürzt oder eingestellt werden, aus dem arabischen Raum gibt es praktisch keine Einsendungen für dieses Festival. Selbst eine Klarstellung Anfang November auf Deutsch und Englisch half nicht mehr, die Wütenden zu beruhigen: „Meine Absicht war nicht, die palästinensische Bevölkerung pauschal zu stigmatisieren, weder in Deutschland noch darüber hinaus. Ich bedauere, dass dieser Eindruck entstanden ist.“
Die Kampagnen-Macher entfalten Druck, beleidigen persönlich, agieren mit Drohungen, man würde Filme nur einsenden, wenn Gass Feststellungen der Hamas-Freunde unterschreibt. Andere beteiligten sich zwar pünktlich am Wettbewerb, wurden ausgewählt - doch zogen dann ihren Film zurück, weil sie plötzlich entdeckt haben wollen, dass sie „sich unwohl dabei fühlen“, wenn ihr Werk bei diesem Festival gezeigt würde.
„Man kann in dieser Szene Missverständnisse nicht mehr auflösen, weil es um ideologische Haltungen geht. Man kann Anti-Aufklärer nicht mit Mitteln der Aufklärung stoppen. Wenn man da einmal als zionistisch eingestuft ist, weil man nicht will, dass Israel von der Landkarte verschwindet, dann setzen sie ihre Kampagnen fort“, sagte Gass im Gespräch mit der Redaktion. „Wir sind nicht alleine betroffen: Ob Documenta, Berlinale oder das Folkwang-Museum - sie werden ähnlich unter Druck gesetzt, wenn sie sich gegen Antisemitismus einsetzen.“
Vor allem damit sei es zu erklären, dass ihm niemand aus der üppigen deutschen Filmfestival-Landschaft beigesprungen ist, sich keiner solidarisch erklärt hat - weder die Leiter der bundesweit über 400 Filmfestivals noch Kulturinstitutionen oder Verbände. „Das ist bestürzend, weil so die Kampagnen-Initiatoren mit ihren Methoden erfolgreich sind. Sie versuchen, Angst zu erzeugen, und erreichen so ihr Ziel.“
Festivalleiter Lars Henrik Gass: Wir sind ein weltoffenes, Dialog-orientiertes Forum
Der promovierte Literatur- und Theaterwissenschaftler betont, wie sehr sich das Kurzfilmfestival seit seiner Gründung 1954 als weltoffenes, Dialog-orientiertes Forum versteht, von dem niemand wegen seiner Einstellung oder Herkunft ausgeschlossen wird. „Unsere Dialogfähigkeit ist da, alle sollen kommen“, sagt Gass. Er habe auch nichts gegen friedliche Proteste auf dem Festival. „Doch wir haben eine neue gesellschaftliche Realität. Sie wollen nicht mehr nur protestieren, sondern mit ihren Aktionen ganze Veranstaltungen sprengen, so dass sie nicht mehr durchführbar sind. Es geht ihnen um die Provokation, sie wollen zeigen, dass sie am Drücker sind und die Meinungshoheit erringen. Das muss verhindert werden.“ Deshalb sei es notwendig, die Sicherheitsmaßnahmen für das Kurzfilmfestival drastisch zu erhöhen.
Eine Fülle von Ordnungskräften bei einem weltoffenen Festival? Dass Lars Henrik Gass über diese Notwendigkeit traurig ist, ist selbstverständlich. „Es darf nicht dazu kommen, dass wir in Zukunft ein Festival nur noch mit Sicherheitsschleusen veranstalten können - dann können wir einpacken.“ Er will diese Art der Polarisierung der Debattenkultur lieber intellektuell verarbeiten: durch eine vorgeschaltete Tagung am 1. Mai mit hochrangigen Fachleuten der Wissenschaft und Kulturorganisationen.