Music Circus küsst Blue Moon: 5000 Fans in der Zeitmaschine
•
Lesezeit: 6 Minuten
Oberhausen. Eine Zelt-Party ohne Zelt, aber mit ganz viel Nostalgie: In der Turbinenhalle Oberhausen haben Mai-Tänzer drei legendären Diskotheken gehuldigt.
Der 1. Mai ist bekanntlich kein kirchlicher Feiertag: Aber hätte ein kleines Grüppchen von Jungs ihre ganz eigene Glaubensfragen vor 37 Jahren nicht eindeutig beantwortet, dann wäre Oberhausen am Dienstag eine legendäre Nacht in der Turbinenhalle verwehrt geblieben.
1987 öffnete der Music Circus Ruhr (MCR) neben dem Stadion Niederrhein zum ersten Mal seine Tanz-Plane. Nun stehen sie fast vier Jahrzehnte später vor den „heiligen Relikten“ aus längst verblichenen Diskotheken-Zeiten. „Won’t forget these Days“ („Ich werde diese Tage nie vergessen“) von Fury in the Slaughterhouse, sozusagen das Hosianna von damals, hat sich tatsächlich als prophetisch herausgestellt.
Sie tanzen auf den aufgebauten Manege-Banden als lägen überschwängliche Knutschereien und Geprahle mit geblümten Flatterhemden nur ein Augenzwinkern zurück. Nichts klingt bei dieser großen Retro-Sause zum Tanz in den Mai nach Steuererklärung, sorgsam geformtem Kuhlen im eigenen Sofa und Kindern, die schon aus dem Haus sind, aber immer noch Sorgen bereiten. Heute sind sie alle selig!
Music Circus, Blue Moon, Old Daddy: Disco-Geschichte durch geliehenes Geld von der Oma
„Es ist eine andere Anspannung“, sagt Music-Circus-Gründer Olaf Hasenbein, sozusagen der Apostel der früheren Disco-Zeit, wenn man ihn fragt, ob er denn ruhiger geworden ist? Ob der Druck der Vorbereitung angesichts der gerade knapp 5000 tanzenden Nostalgiker weicht? Oder er im stetigen Verbesserungsmodus steckt? „Kleinigkeiten, die man ändern kann, sieht man immer. Aber jetzt gerade sind wir einfach nur froh!“
Eine Glaubensfrage war der Music Circus Ruhr (MCR) deshalb, weil damals kaum einer auf den irren Plan mit der Diskothek im Zirkus-Zelt einen Pfifferling setzen wollte. Geschweige denn Hunderttausende von D-Mark. Doch die MCR-Mannschaft der ersten Stunde überzeugte skeptisch dreinblickende Kredit-Banker, lieh sich Geld von der Oma - und schrieb mit dem Wackel-Wigwam an der Lindnerstraße, gegenüber dem Stadion Niederrhein, bis 1996 einfach mal Oberhausener Diskotheken-Geschichte.
Kaum zu glauben ist auch, dass der Music Circus ausgerechnet in der Turbinenhalle zum zweiten Mal sein Revival feiert, die Leute dort „Wahnsinn“, „Irre“, „Toll“ jauchzen, während „Depeche Mode“ und „Camouflage“ aus den Boxen schallen. Schließlich waren sich die Music-Circus-Crew und der spätere Turbinenhallen-Boss Edgar Engel damals spinnefeind. Engel baute dem MCR mit dem „Blue Moon“ ein Konkurrenzzelt vor die Nase, fortan behakten sich die Zappel-Läden.
Music Circus, Blue Moon, Old Daddy: Fotos zeigen pickelige Bubis und Dauerwellen des Grauens
Heute feiern sie zusammen! Der neue Turbinenhalle-Chef Michael Neumann schaut persönlich durch die Party-Reihen, trägt Gläser zur Theke, beobachtet die Besucherströme. Auf der Leinwand flimmert die mit Girlanden-Lämpchen verzierte Silhouette des Music Circus Ruhr in alten Videoaufnahmen, in denen die Farben verwaschen sind und Knitterstreifen einen Bandsalat ankündigen. Unscharfe Fotos zeigen pickelige Bubis und Dauerwellen des Grauens beim ungehemmten Dauertanzen. Es ist so wunderbar!
Diese Zeitmaschinen-Collage würde mit schnöseligen HD-Aufnahmen wohl jeglichen Charme verlieren. Wäre die Musik in der wuseligen Turbinenhalle nicht so laut, man könnte die Besucher reihenweise seufzen hören.
Klar! Man muss wahrscheinlich dabei gewesen sein: Wer gerade das Mindestalter der Revival-Party von 34 Jahren erreicht, kann keine der vergötterten Diskotheken gesehen haben - und staunt wohl über so viel schwitzigem Schwelgen, bei dem fiese Momente, die es früher zweifelsfrei auch gab, keinen Platz finden.
Doch die Zeitmaschine der schönen Erinnerungen läuft, unaufhaltsam. Alle Bereiche der Turbinenhalle sind bestens gefüllt. Ins „Steffys“ zieht es besonders viele, weil dort früher der T-Club öffnete. Diesmal kommen sie über einen Einbahnstraßen-Fußweg zur Tanzfläche. Das klappt verblüffend gut.
Music Circus, Blue Moon, Old Daddy: Zur „verrückten halben Stunde“ fallen die Luftballons
Wer vergessen hat, wie voll es früher schon in der „Disse“ war, wird mancherorts vielleicht stöhnen. Dabei gibt es sie, die Orte, an denen erfahrene Oldtimer-Partymotoren gut herunter kühlen können. In der ehemaligen Soccerhalle mümmeln sie an Tischen und auf Bänken an ihren Pommes. Im Biergarten vor der Halle beobachten rastende Gäste die Tanzfläche sogar per Live-Videoleinwand.
Die besten Fotos der Revivalparty Blue Moon und Music Circus
1/36
In der mit eher aktuellen Hits beladenen „Turbinenhalle 2“ ist die Party-Luft am besten, weil die meisten Nachtschwärmer lieber in die Nostalgie-Bereiche wollen. Es ist eben kein echter Music Circus, wenn man bei der „verrückten halben Stunde“ nicht zu „Jump“ von Van Halen die von der Decke rieselnden Luftballons zum Platzen gebracht hat.
Die Messe ist in dieser Nacht, die bis in den frühen Mittwochmorgen reicht, erst gelesen, wenn man mit dem Ticket-Armbändchen den benachbarten Kulttempel besucht hat. Hier riecht alles nach „Old Daddy“, früher in der Finanzstraße zu finden und auch als Lito-Palast bekannt. Zur Eröffnung am 14. Mai 1980 versprachen die Betreiber „DAB Meister-Pils“ als Freibier. Und hörten sich im Sterkrader Kabuff später eines der ersten Konzerte der Toten Hosen an.
Der heutige Kulttempel-Chef Peter Jurjahn weiß, wovon er spricht: Er saß in jungen Jahren im „Old Daddy“ an der Kasse. Zum Revival legen nun Plattenteller-Könner von früher auf. Und mancher Hardcore-Nostalgiker, der im Tempel einen Zentimeter Tanzfläche ergattert, wird zum Klanggemisch von DJ Cheesy denken, dass im Vergleich zu dessen Retro-Setlist moderne Musik doch oft ziemlicher Käse ist. Darauf ein Hallelujah. Pardon: „Sing Hallelujah!“
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.