Mülheim. Ein gigantischer Bohrer dreht Stahlrohre in den Vorgarten, um Wärme zu gewinnen. Was sich die Mülheimer vom Wechsel auf Geothermie erhoffen.
Der Sommer ist noch nicht einmal durchgestartet, doch ginge es nach Susanne und Michael Kobbelt, könnte es ruhig schon wieder frostig werden - oder wenigstens testweise für ein paar Tage. Denn das Saarner Ehepaar hat just den Schritt zur Heizungswende gemacht und auf Geothermie gesetzt. „Wir sind davon überzeugt, aber auch gespannt, wie das funktioniert“, sagt Susanne Kobbelt. Doch erst einmal wird‘s in ihrem Vorgarten am Saarnberg spannend, wo ein fast haushoher Riesenbohrer steht. Um ausreichend Wärme zu bekommen, muss es tief in die Erde gehen - auf rund 130 Meter.
Denn dort schlummert sie: In 15 Meter Tiefe bleibt es das Jahr über konstant etwa zehn Grad, pro 30 Meter kommen etwa ein Grad hinzu. Wie tief aber gebohrt werden muss, hängt von der benötigten Heizlast in Kilowattstunden ab. Hier sind einige Faktoren im Spiel, etwa: Wie groß ist das Haus, wie gut ist es gedämmt, wie kalt wird es im Winter? Doch zu der Berechnung später mehr.
Haushoher Bohrer wuchtet Stahlrohre 130 Meter tief in den Boden
Erst einmal muss der gewaltige signalgelbe Bohrer im Vorgarten der Kobbelts an die Arbeit. „Den Vorgarten wollten wir eh neu machen“, sagt Susanne Kobbelt mit einem Lachen. Etwas Ungewissheit schwingt schon mit. Denn wo der schwere Rotomaxx XL GTC steht, muss anschließend eine Menge Gras darüber wachsen - selbst wenn das Bohrloch vielleicht nur doppelt so groß ist wie die Fläche einer Hand. Doch der Lavendel ist gerettet, die Weide beschnitten - was soll schon passieren?
Eine Straßenspur des Saarnbergs muss für den Einsatz gesperrt werden, weil nicht nur die Maschine Platz braucht, sondern auch ein Container. Darin landet der Boden, durch den sich der Rotomaxx bohrt, und den er gleichzeitig absaugt. Gianluca Ferraro, Geschäftsführer des Grevenbroicher Familienbetriebs Ferraro Geothermie, nimmt das persönlich in die Hand. Per Fernsteuerung.
Mit einigem Getöse wuchtet der Bohrer ein weiteres drei Meter langes Stahlrohr erst senkrecht nach oben, sein Teamkollege Antonio Ferraro fettet den Anschluss ein und schließt es an das Ende des Rohres an, das schon in der Erde steckt. Dann dreht der Rotomaxx beide Rohre Stück für Stück tiefer in das gut 20 Zentimeter durchmessene Loch. Über einen Schlauch rumpelt der abgetragene Boden in den Container.
Geothermie-Unternehmer: „Wir bohren fast jeden Tag“
Zum Schluss sollen Erdsonden im Loch landen, die die Wärme nach oben befördern und durch die Kellerwand an eine Wärmepumpe angeschlossen werden. Das 130-Meter-Loch wird zudem mit Beton verfüllt, um die Sonden zu schützen. Ist der Beton gehärtet, kommen die Stahlrohre wieder raus, um ihren Dienst anderswo zu verrichten.
Gut und gerne 700 solcher Bohrungen im so genannten Kontraktorverfahren hat das Unternehmen schon gemacht. Geothermie ist gefragt und es gibt in NRW nicht viele Betriebe, die es können. „Wir bohren fast jeden Tag“, meint Gianluca Ferraro. Und eigentlich wären die Kobbelts erst im August 2024 dran gewesen - obwohl sie schon im September vergangenen Jahres gebucht hatten. Dann aber klappte es früher. Übrigens: Das Sondenloch soll 100 Jahre bestehen können.
Gerade ist Ferraro bei etwa 16 Metern angekommen, läuft einmal um den Rotomaxx herum, nimmt eine Bodenprobe, um zu gucken, was er dort vorfindet. Gerade ist es noch grauer, sehr feiner Boden mit Steinen. Ferraro kontrolliert die Einstellungen an der Maschine. Es geht einigermaßen zügig voran. Bald schon ist man auf 50 Meter Tiefe. Ein bis anderthalb Tage für das Bohren und Verfüllen, kalkuliert der Geschäftsführer.
Mülheimerin: „Uns ist es wichtig, dass die Heizung umweltfreundlicher und effizient ist“
„Das war leiser, als ich gedacht habe, man konnte sich im Haus normal unterhalten“, ist Susanne Kobbelt drinnen positiv überrascht und merkt augenzwinkernd an: „Es gab nicht mal ein Gläserklirren im Schrank.“
Im Juni soll die Sole-Wasser-Wärmepumpe dort eingebaut werden, wo 33 Jahre lang eine Gasheizung stand. Als sich im vergangenen Jahr ankündigte, dass das gute alte Stück in Rente gehen könnte, war für Michael und Susanne sofort klar: Es wird keine neue Gas- oder Ölheizung geben. „Uns ist wichtig, dass die neue umweltfreundlicher und effizient ist“, sagen beide.
Schon im vergangenen November hatte das Ehepaar den Altbau von 1920 mit einer Einblasdämmung aus Glaswolle verbessert, um Heizkosten zu senken und das etwas zugige Gefühl an manchen Stellen loszuwerden. Zumindest der Luftzug verschwand. Und rein rechnerisch brauchen sie nach der Maßnahme nur noch rund 20.000 Kilowattstunden Heizenergie.
Warum Geothermie für den Mülheimer Süden eine Alternative ist
Die sollen die Erdsonden liefern: Mit jedem Meter kann eine Erdsonde dem Boden 50 Kilowatt an Wärmeenergie entziehen. Je nach Bodenart kann sich dieser Wert erhöhen. Am Saarnberg etwa gibt der Geologische Dienst NRW eine sehr gute Wärmeleitfähigkeit an, so dass man hier sogar von bis zu 70 Kilowatt pro Meter ausgehen kann.
Auf 130 Metern Tiefe sollen die Sonden der Sole-Wasser-Wärmepumpe der Eheleute Kobbelt folglich 6500 bis 9000 Kilowattstunden fördern können. Daraus kann die Pumpe allerdings die fünffache Menge an Heizenergie gewinnen. Das wäre theoretisch mehr als genug.
Kompliziert war der Schritt zur Geothermie übrigens nicht: Notwendig sind eine wasserrechtliche Genehmigung der Unteren Wasserbehörde und ab einer Tiefe von 100 Metern muss die Bergbehörde die Erlaubnis erteilen. Denn es könnten noch alte Stollen vorliegen. Ob sich Geothermie vor Ort lohnen kann, lässt sich vorab über das Landesportal www.geothermie.nrw.de/mitteltief prüfen. Das weist nicht nur für einen großen Teil des Mülheimer Südens eine sehr gute Wärmeleitfähigkeit auf.
Öl-, Gasheizung oder Wärmepumpe - eine Frage der Perspektive
Knapp 60.000 Euro kostete die Anschaffung - Bohrung und Wärmepumpe zusammengerechnet. Zudem musste noch der ein oder andere Heizkörper getauscht werden. Gefördert wurde sie damals noch mit 40 Prozent. Das ist auch mit Förderung in der Anschaffung knapp das Dreifache einer neuen Gasheizung.
Ob der anfängliche Kostenvorteil allerdings am Ende der Betriebslaufzeit noch trägt, hängt nicht zuletzt von der Entwicklung des Gas- und Strompreises ab. Noch liegt Gas bei durchschnittlich 11 Cent pro Kilowattstunde, doch mittel- bis langfristig soll es deutlich teurer werden. Der Grund: die CO2-Besteuerung. Schon 2027 könnte sie auf 85 Euro pro Tonne CO2 steigen, aktuell liegt sie bei 45 Euro.
Eine mögliche Bilanz nach 20 Jahren Betriebsdauer
Im Vergleich zwischen Gas-, Öl-Heizung und Wärmepumpe über den Zeitraum von 20 Jahren sollen die fossilen Heizungen sowohl bei den jährlichen laufenden Kosten (Verbrauch, Wartung) als auch bei den Gesamtkosten deutlich schlechter abschneiden - trotz niedrigerer Anschaffungskosten.
Nach Berechnungen verschiedener Vergleichsportale kommt Öl mit 12.000 Euro Anschaffungspreis und rund 2300 Euro laufenden jährlichen Kosten für ein 120 Quadratmeter Einfamilienhaus nach 20 Jahren auf etwa 58.000 Euro, Gas landet mit 11.000 Euro Anschaffung plus 1990 Euro laufende Kosten im Jahr bei gut 50.000 Euro. Die ‚normale‘ Luft-Wärmepumpe aber berechnen diese mit gut 38.000 Euro (Anschaffung 12.000, laufende Kosten im Jahr: 1300 Euro).
Dank Förderung landen Michael und Susanne Kobbelt mit ihrer Geothermie-Heizung bei etwa 35.000 Euro. Aktuell könne die Förderung sogar zwischen 50 und 70 Prozent ausmachen. Laufende Kosten sind noch unbekannt. Und doch stellte sich die Abwägung für sie damals kaum: „Der Umweltgedanke war uns wichtig. Und was soll das ersparte Geld auf der Bank? Da gibt es kaum Zinsen“, meint Michael Kobbelt. Jetzt sparen sie wenigstens CO2 und Energie.
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