Mülheim. Als der Gaspreis explodierte, fuhr Mülheims Medl Rekordgewinne ein. Der Grund ist jedoch überraschend. Was der Energiedienstleister damit vorhat.

Das Krisenjahr 2022 werden viele Mülheimer in Erinnerung behalten: Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Sorge um explodierende Gaspreise und die bange Frage: „Wird es im Winter warm in der eigenen Stube? Kann ich mir das leisten?“ Auch Geschäftsführer Hendrik Dönnebrink wird sich lange an 2022 erinnern: Denn seinem Mülheimer Energiedienstleister Medl bescherte es trotz Gasknappheit und Druck, die Kunden dennoch versorgen zu müssen, einen außergewöhnlichen Cashflow mit einem Plus von rund 25,1 Millionen Euro.

„Wir mussten angesichts der angespannten Energiemärkte unterjährig die Liquidität des Unternehmens sicherstellen. Mitte 2022 wurde Nord-Stream 1 abgeschaltet, so dass sich die Schwankung am Gasmarkt innerhalb von drei Monaten nochmals beschleunigt hatte. Das war kein Spaß, so ein Jahr brauche ich nicht noch einmal“, gibt der Medl-Geschäftsführer zu bedenken. Der Gaspreis sei von unter 80 Euro pro Megawattstunde (MWh) im Juni 2022 auf 300 Euro pro MWh im September 2022 gestiegen. Zum Vergleich: Im Sommer 2021 stand der Preis für eine MWh sogar nur bei 30 Euro.

Geschäftsberichts-Leak zeigt überraschend hohe Gewinne des Mülheimer Energieversorgers

Und doch: Das Plus der Medl - das Ergebnis aus dem Zufluss und Abfluss von liquiden Mitteln - liegt für 2022 knapp doppelt so hoch wie in der Vergangenheit (2021: plus 13,31 Millionen Euro). Das zeigt ein Geschäftsbericht, der der Redaktion vorliegt, eigentlich eine Verschlusssache des Aufsichtsrates, ein Leak also.

Öffentlich tauchten die überraschend hohen Gewinne der Medl bisher nicht auf. Der Bericht zeigt zudem, dass die Gesellschafter der Medl - dazu gehört die Stadt Mülheim mit 61 Prozent (39 Prozent: Eon-Tochter Westenergie) - von diesem starken Zuwachs des Eigenkapitals über Ausschüttungen nur eingeschränkt profitiert haben. Etwas mehr als neun Millionen Euro ging an die Kommune, knapp 2,4 Millionen Euro an Westenergie. Damit wurde nur die Hälfte des Ergebnisses an die Beteiligten ausgeschüttet, der Rest verblieb bei der Medl als Rücklage für die Investitionen in die Wärmewende und Risikovorsorge.

Das Krisenjahr 2022 bescherte der Medl satte Gewinne: Geschäftsführer Hendrik Dönnebrink sagt dennoch: „So ein Jahr brauche ich nicht noch einmal.“
Das Krisenjahr 2022 bescherte der Medl satte Gewinne: Geschäftsführer Hendrik Dönnebrink sagt dennoch: „So ein Jahr brauche ich nicht noch einmal.“ © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Stadt Mülheim und Kunden profitierten nur eingeschränkt von Millionen

Und auch die Kunden der Medl konnten von der durchaus satten Gewinnsteigerung zumindest augenscheinlich und unmittelbar wenig profitieren. So sanken die Gaspreise bei der Medl Anfang 2023 etwa nicht, als viele Internetanbieter schon wieder mit Preisen von um die 10 Cent lockten, weil sie auf dem Spotmarkt billig einkaufen konnten.

Und doch blieben die Kosten für Gas bei der Medl einigermaßen stabil in der schweren Krisenphase im Herbst 2022, als dieselben, vermeintlichen Billiganbieter ihren Kunden mit zum Teil verheerenden Preisexplosionen oder sogar Kündigungen gedroht hatten, weil die Kosten auf dem Spotmarkt durch die Decke gingen. Der Grund in beiden Fällen: nicht die Gewinne. Die Medl kauft die erwarteten Gasmengen im Vorjahr ein und zu ebenjenen Preisen. So verschieben sich Preissteigerungen wie auch -senkungen um wenigstens ein Jahr.

Die benötigte Monatsmenge kalkuliere man über den Durchschnitt von zehn Jahren, ergänzt Dönnebrink. Allerdings: Geht die Kalkulation nicht auf, wie berechnet, weil die Temperaturen niedriger liegen und mehr geheizt wird, müsse das Unternehmen zukaufen. 2021 etwa habe man in den Herbst-/Wintermonaten Oktober bis Dezember knapp über den Berechnungen gelegen und musste nachkaufen. „Das hat richtig gekostet“, sagt der Medl-Geschäftsführer.

Warum die Medl ihr Gas in der Energiekrise teuer verkaufen musste

Doch im umgekehrten Fall müsse die Medl ihr Gas verkaufen. Und genau das sei 2022 überraschend genau in den Monaten eingetreten, in denen der Gaspreis explodiert sei, verweist Dönnebrink auf die Preisentwicklung: Im August und September sei der Megawattstundenpreis auf bisweilen mehr als 300 Euro gestiegen. Gleichzeitig aber ging der Verbrauch in Mülheim in die Knie auf 34,679 Megawattstunden im August. 2021 und 2020 verbrauchten die Mülheimer Medl-Kunden dagegen jeweils knapp 50 Prozent mehr (rund 51,638 MWh).

Und auch in den Folgemonaten wich der Verbrauch unerwartet hoch von der Prognose ab. Das führte am Ende zu den überraschend positiven Einnahmen: Die Medl konnte das deutlich günstiger erworbene Gas auf dem Markt zu Irrsinnspreisen verkaufen. 1,6 Millionen Euro Differenz erzielte das Mülheimer Unternehmen so am Spotmarkt allein im September, sagt der Geschäftsführer. In den Folgemonaten beruhigte sich der Gaspreis dagegen wieder und fiel auf die Hälfte ab.

Wird in Mülheim nun Kritik am Gaspreis laut?

Aufs Jahr betrachtet, verbrauchten die Medl-Kunden etwa zehn Prozent weniger als im berechneten Zehn-Jahres-Durchschnitt. Geschäftsführer Dönnebrink: „Wir haben einfach Glück gehabt. Es ist aber ein unternehmerisches Risiko, weil ich es immer nur im Nachhinein weiß. Und wäre der September kälter geworden, hätten wir locker zwei Millionen Euro mehr für Zukäufe ausgeben müssen.“

Dass durch den Leak der Jahresbilanz aus anonymer Quelle nun eine Kritik an den Gaspreisen der Medl in Gang kommen könnte, kann Dönnebrink kaum gefallen. Denn immer wieder stellen etwa Vergleichsportale nur die Billigheimer der Branche gut dar, selten aber deren Strategie und Methoden im Ernstfall: „Das rüttelt am Vertrauen. Wir sind aber keine Krisengewinner und haben auch keine Mondpreise. Ich glaube, wir haben die Krise 2022 gut gemeistert, aber nicht auf Kosten der Kunden.“

Medl-Chef Dönnebrink: „Wir sind keine Krisengewinner“

Und noch etwas anderes wurmt den Mülheimer Energiedienstleister an einer solchen Debatte: Mülheim muss spätestens bis Ende Juni 2026 ein kommunales Wärmenetz vorlegen und will ambitioniert bis 2035 klimaneutral werden. Die Geschäftsführung erwarte aufgrund der gesellschaftlichen wie politischen Debatte um die Dekarbonisierung von Energie- und Wärmeversorgung, dass die Medl künftig hohe Investitionen für den Umbau und Ausbau der Energie- und Wärmeversorgung vornehmen müsse, heißt es im Jahresbericht.

Wir haben einen öffentlichen Auftrag zur Gestaltung der Energie- und Wärmewende, den wir gerne annehmen. Aber wer wird diesen Umbau in Mülheim denn stemmen, wenn die Stadt klimaneutral werden will? Ein Internetanbieter wird es nicht sein.
Hendrik Dönnebrink - Medl-Geschäftsführer

Dönnebrink sieht auf das kleine, stadtweit agierende Unternehmen reichlich Verantwortung zukommen: Auch mit Blick darauf habe man einen Teil des Gewinns zurückbehalten als Rücklage für Investitionen. „Wir haben einen öffentlichen Auftrag zur Gestaltung der Energie- und Wärmewende, den wir gerne annehmen“, sagt Dönnebrink: „Aber wer wird diesen Umbau in Mülheim denn stemmen, wenn die Stadt klimaneutral werden will? Ein Internetanbieter wird es nicht sein.“

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