Mülheim. Architekten und Mülheims Klimabündnis fordern mehr Gebäudesanierung statt Neubau. Richtig bewirtschaftet, könnten Gebäude lange erhalten bleiben.
Um bis im Jahr 2035 klimaneutral zu werden, muss Mülheim im Verkehr, im Energiesektor und beim Wohnen die Weichen stellen. Einen Ansatzpunkt, viel CO₂ zu sparen, bietet die „graue Energie“. Zu einem auch von Mülheimer Fachleuten gut besuchten Themenabend in der vier.zentrale, moderiert vom Mülheimer Klimabündnis, forderten die Architects4future eine Bauwende. Darüber sprachen wir mit Moderatorin und Geodätin Anke Schniewind.
Was genau ist „graue Energie“ und warum ist sie für den Klimaschutz zentral?
Anke Schniewind: Über den gesamten Lebenszyklus wird für jedes Produkt Energie aufgewendet, also für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung. Das ist in der Summe die „graue Energie“ eines Produktes. Für den Klimaschutz ist es daher wichtig, alle Produkte so lange wie möglich in der „Wertschöpfungskette“ zu halten, bevor sie am Ende nach Möglichkeit zerlegt und weiterverwendet werden. Der Bausektor spielt dabei eine besondere Rolle, weil er für etwa 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Die Branche verbaut laut EU-Kommission etwa 50 Prozent der neu gewonnenen Rohstoffe, rund 55 Prozent des Müllaufkommens in Deutschland stammen aus dem Bausektor, von denen nur etwa 7 Prozent im Hochbau Wiederverwendung findet.
Wo in Mülheim sind Beispiele für brachliegende graue Energie zu finden? Über welche Größenordnung sprechen wir?
Leer stehende Wohn- und Gewerbeobjekte sowie ungenutzte städtische Immobilien sind im gesamten Stadtgebiet zu finden. Der Gebäudebestand hat in Mülheim eine große Bedeutung, da beispielsweise rund 90 Prozent der Wohnungen in Mülheim vor 2000 errichtet wurden.
Welche „Größenordnung“ damit verbunden ist, ist eine gute Frage. Die „graue Energie“ fließt bei politischen Entscheidungen noch nicht mit ein, wie das Klimaschutzkonzept zeigt, das der Rat der Stadt beschlossen hat. Das wohl stadtweit bekannteste Potenzial hat es in den bundesweiten Abriss-Atlas geschafft: unsere VHS. Eventuell könnten ja mal die Studenten der Hochschule Ruhr-West die graue Energie überschlagen, die in dem Gebäudekomplex schlummert.
Was müsste Mülheim tun, um die geforderte Bauwende zu steuern?
Richtig bewirtschaftet, können Gebäude lange erhalten bleiben. Wenn sie nicht vermietbar sind, liegt es oft am Umfeld, das nicht mehr zur Miete passt. Um die Sanierungsrate von privaten Haushalten wesentlich zu erhöhen, müssen die Rahmenbedingungen für diese Quartiere verbessert werden – am besten auf der Basis eines nachhaltigen Stadtentwicklungskonzeptes. Dabei könnte Mülheim mit dem Institut für lebenswerte und umweltgerechte Stadtentwicklung in Düsseldorf kooperieren und Erfahrungen aus dem Sanierungsmanagement Heißen-Süd verwerten.
Die Klimaneutralität bis 2035 wäre nach Einschätzung des Klimabündnisses zu schaffen, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen würden. Stadt und Politik haben aber die Maßnahmen von der Finanzierbarkeit abhängig gemacht und für 2024 keine Mittel in den Haushalt eingestellt. Über den Fortschritt wird nur jährlich berichtet. So schafft man keine Transparenz und Multiplikation.
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