Mülheim. Sie waren glücklich mit ihrem Beruf, doch sie mussten aus ihrer Heimat fliehen. Ukrainer, die nun in Mülheim leben, wollen einen guten Job.

Sie haben ihre Heimat verlassen, weil Bomben dort alles zunichte machen, was ihre Zukunft bedeutet. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, begann ihre Flucht - bloß weg von der Bedrohung, dem Leid. In Mülheim haben sie ein neues Zuhause gefunden und wollen doch mehr: Arbeit - einen Job, mit dem sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, um nicht mehr angewiesen zu sein auf Sozialleistungen. Denn diese Menschen sind hoch qualifiziert, haben in ihrer Heimat als Jurist, Journalistin oder Hebamme gearbeitet. Sie alle wünschen sich nichts sehnlicher, als in Deutschland Fuß zu fassen auf dem Arbeitsmarkt. Doch das gestaltet sich aus ihrer Sicht nicht ganz einfach.

Mehr als 1300 der insgesamt 2514 Geflüchteten aus der Ukraine, die zum Stichtag 31. Dezember 2023 in Mülheim registriert waren, gelten aus Sicht des Jobcenters als arbeitsfähig. Diese Zahlen nennt Oliever Vrabec, Leiter des hiesigen Jobcenters, auf Nachfrage. Drei dieser so genannten erwerbsfähigen Leistungsbezieher sind die Hebamme Tetjana Samina, der Jurist Yevhen Yuvakaiev und die Journalistin Olena Gladskykh. Sie leben heute in der Ruhrstadt, haben Deutschkurse besucht und möchten nun arbeiten.

Ukrainerin, die nun in Mülheim lebt, will wieder als Hebamme arbeiten

Tetjana Samina, die blonde Frau mit den leuchtend blauen Augen, erzählt: „In der Ukraine habe ich 27 Jahre als Hebamme in einem großen Krankenhaus gearbeitet.“ Auch hier in Deutschland sei es ihr erklärtes Ziel, ihren Beruf, den sie über alles liebe, auszuüben. „Aber als Hebamme habe ich hier in NRW wenig Möglichkeiten. Wo ich viele Möglichkeiten hätte, ist als Pflegefachkraft“, berichtet die 49-Jährige. Aktuell absolviere sie einen speziellen Sprachkurs für medizinische Berufe und warte darauf, dass ihre Unterlagen mit ihrem Berufsabschluss anerkannt werden. Aufgeben will sie die Hoffnung noch nicht, wirklich als Hebamme arbeiten zu können, und nicht als Pflegefachkraft.

 Tetjana Salmina ist Hebamme und stammt aus der Ukraine. Seit Kriegsausbruch lebt sie in Mülheim.
 Tetjana Salmina ist Hebamme und stammt aus der Ukraine. Seit Kriegsausbruch lebt sie in Mülheim.

Die Berufe, in denen die Menschen aus der Ukraine gelernt haben, seien in Deuschland eingeordnet in „reglementiert“ und „unreglementiert“, verdeutlicht Jobcenter-Leiter Vrabec. Medizinische Tätigkeiten etwa wie die der Hebamme zählten zu den reglementierten Berufsgruppen, in denen nach Aussage Vrabec zwingend eine Anerkennung vorliegen müsse, um damit in Deutschland tätig zu werden: „Dann muss die Ausbildung im Herkunftsland unserer Ausbildung entsprechen.“ Der Prozess der Anerkennung könne langwierig sein - „und selbst, wenn die Anerkennung dann vorliegt, entscheidet letztlich der Arbeitgeber, ob er die Bewerberin oder den Bewerber einstellt“, gibt Vrabec zu bedenken.

60-jährige Ukrainerin: „Wir haben auch unsere Karrieren in der Ukraine zurückgelassen“

Dass sie eine Arbeit machen möchte, die sie ausfüllt - „auch im Kopf“ -, betont Olena Gladskykh. Die 60-Jährige hat in ihrer Heimat als Journalistin gearbeitet - 40 Jahre lang, schiebt sie hinterher. Gemeinsam mit ihrer Tochter und dem kleinen Enkelkind war sie kurz nach Kriegsausbruch geflohen, hat inzwischen Deutsch gelernt, wiederholt aber gerade einen Sprachkurs, denn: „In meinem Alter lernt man nicht mehr so leicht.“ Entmutigen lassen will sich die 60 Jahre alte Frau mit den raspelkurzen Haaren und den stets gestikulierenden Händen nicht.

Arbeiten wolle sie bis zur Rente, „viele von uns wollen trotz des Alters weitermachen“, sagt sie und betont: „Frauen in meinem Alter hatten in der Ukraine schon viel erreicht, haben Karriere gemacht - auch das haben wir zurückgelassen.“ Die Journalistin charakterisiert ihre Landsleute mit einem Blick in ihre Geschichte: „Mit dieser Gruppe hat Deutschland Menschen gewonnen, die gelernt haben, zu überleben.“ Die Stichwörter Tschernobyl, der Ukraine-Konflikt 2014 und Covid fallen.

Ukrainer in Mülheim kritisiert: „Statt Job bekomme ich nur Sprachkurse angeboten“

Um zu überleben, ist auch Yevhen Yuvakaiev aus seiner Heimat geflohen. Seit etwa einem Jahr lebt der 46-Jährige in Mülheim, berichtet er, zuvor war er bereits in Spanien und Portugal. Jurist habe er einst gelernt, in den vergangenen 15 Jahren als Selbstständiger gearbeitet. Er sei „bereit für jeden Job, gerne auch handwerklich - ich möchte mit Menschen zusammenarbeiten, um die Sprache besser zu lernen. Denn ich bin überzeugt, dass das besser geht, als in jedem Sprachkurs“, schildert Yevhen Yuvakaiev. Ein paar Bewerbungen habe er schon verschickt - bislang allerdings vergeblich. Vom Jobcenter habe er nur wieder einen neuen Sprachkurs angeboten bekommen - „den habe ich abgelehnt, weil ich arbeiten will.“

 Yevhen Yuvakaiev ist aus der Ukraine geflohen. Der Jurist sucht einen Job in Mülheim - „in jedem Bereich, auch handwerklich.“
 Yevhen Yuvakaiev ist aus der Ukraine geflohen. Der Jurist sucht einen Job in Mülheim - „in jedem Bereich, auch handwerklich.“

Am Spracherwerb aber führe kein Weg vorbei, ordnet Jobcenter-Leiter Vrabec ein. „Es gibt inzwischen auch Sprachkurse, die berufsbegleitend belegt werden können.“ Den Unmut mancher Ukrainerinnen und Ukrainer, nicht direkt in einem adäquaten Beschäftigungsverhältnis starten zu können, findet Vrabec nachvollziehbar. Doch es ändere nichts an der Tatsache, dass man alles daran setzen müsse, so schnell wie möglich in Arbeit zu kommen, wenn man eine Sozialleistung wie Bürgergeld bezieht.

Vrabec wirbt dafür, den ersten Schritt in den Arbeitsmarkt auch unterhalb des jeweiligen Qualifikationsniveaus zu wagen: „Wenn man eine Tätigkeit zur Überbrückung annimmt, etwa bis alle Unterlagen da sind oder die Sprachkenntnisse ausgebaut sind, ist das ein Einstieg. Und nirgendwo lernt man besser Deutsch als im Job.“ Lehne man hingegen weiterhin eine zumutbare Tätigkeit ab, bedeute das, dass die Sozialgemeinschaft weiter für denjenigen aufkommen müsse, gibt Vrabec zu bedenken. Wer erst einmal einen Job angenommen habe, könne sich dort beweisen: „Wenn der Chef sieht, dass man mehr kann, ist vielfach ein nächster Schritt zu einer hochwertigere Tätigkeit möglich.“

Petra Seidemann-Matschulla (li.) und Olena Saksonova (re.) betreuen mehrere Menschen, die aus der Ukraine stammen, inzwischen in Mülheim leben und nun Arbeit finden wollen.
Petra Seidemann-Matschulla (li.) und Olena Saksonova (re.) betreuen mehrere Menschen, die aus der Ukraine stammen, inzwischen in Mülheim leben und nun Arbeit finden wollen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Vrabec sieht vor allem eine weit verbreitete Sorge unter Ukrainerinnen und Ukrainer: Viele seien verunsichert, was passiere, wenn der vom Jobcenter angebotene erste Job gekündigt werde oder einfach nicht passe: „Viele fragen sich, ob sie dann überhaupt noch einen Anspruch haben, ob sie ihre Wohnung verlieren, das Kind aus der Schule genommen werden muss.“ Vrabec will diese Befürchtungen ausräumen: „Das ist alles nicht so.“ Sehr wohl registriere das Jobcenter Arbeitsaufnahmen aus dem Kreis der Ukrainerinnen und Ukrainer, die positiv stimmten: „Das ist ein Vervielfältiger mit großer Dynamik: Hat meine Nachbarin, mein Nachbar es geschafft, dann schaffe ich es auch.“

Letztlich müssten sich beide Seiten darauf einlassen, meint Vrabec und richtet einen Appell an die Arbeitgeber: „Probiert es aus - es gibt Unterstützungsmöglichkeiten wie Einarbeitungszuschüsse und die Möglichkeit, während der Beschäftigung weiter zu qualifizieren. Das sind ja Menschen, die Erwerbsbiographien mitbringen.“

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