Mülheim. Margaryta (24) aus der Ukraine ist Tänzerin und liebt Ballett. Nun lebt sie in Mülheim und nutzt jede Chance, um zu tanzen. Doch Heimweh bleibt.

Leichtfüßig steigt Margaryta auf ihre Fußspitzen. Jede Bewegung ist perfekt einstudiert, jeder Muskel ist gespannt und doch verrät ihr sanfter Gesichtsausdruck, dass es genau das ist, was sie liebt: Ballett! Stolz trägt sie die „Vyshyvanka“, eine traditionelle Bluse, die bei ukrainischen Volkstänzen getragen wird. „Dazu gehört eine traditionelle Kette und ein Haarbogen“, erklärt die junge Frau.

Margaryta-Viktoriia Zaitsera, 24 Jahre alt, ist wegen des Ukraine-Krieges nach Deutschland geflohen. Ursprünglich stammt sie aus der Stadt Donezk im Osten des Landes. Im Alter von sieben Jahren hat sie ihre Leidenschaft zum Ballett entdeckt und seitdem immer getanzt.

Ballett-Tänzerin flüchtete über Umwege nach Mülheim

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Während sie die Schule besuchte, nahm sie sechsmal pro Woche, zwei bis drei Stunden täglich, Ballettunterricht. Neben der Schule hat Margaryta ein Tanzstudium abgeschlossen und ging mit 19 Jahren mit einem Ensemble auf Tour nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz. Einen Monat lang führte sie den „Nussknacker“ und „Schwanensee“ auf. Danach arbeitete sie zweieinhalb Jahre am Theater in Charkiw und absolvierte parallel ein Fernstudium in Kiew zur Ballett-Regisseurin. „Viele Prüfungen musste ich online machen, da der Krieg ausgebrochen war.“

In Charkiw hatte sie im Februar 2022 den Ausbruch des Krieges miterleben müssen. Von ihrem Fenster aus konnte sie die nahen Einschüsse und Brände beobachten. „Es wurde einfach zu gefährlich“, berichtet Margaryta. Die Familie beschloss zu fliehen. Mit nur wenig Gepäck, ihren beiden Brüdern und drei Katzen zog sie im März 2022 nach Tscherkassy in der Zentralukraine. „Wir konnten nicht viel mitnehmen“. Ihre Mutter und ihre Oma kamen nach.

„Wichtig war mir nur, mit der Familie zusammenzubleiben“

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Nachdem sie von Oktober 2022 bis Februar 2023 mit einem ukrainischen Ensemble eine weitere Tour durch Europa gemacht hatte, überlegte man, wie es nun weiterging. Die Großmutter, zu der Margaryta eine besonders enge Verbindung hat, war Deutschlehrerin an der technischen Universität in Donezk und oft in Deutschland. Deshalb beschlossen sie, nach Deutschland zu fliehen „Ich wusste nicht viel über Deutschland, hatte auf der Tour aber ein paar positive Eindrücke gewonnen, und Oma hat viel Schönes über das Land erzählt“, so Maragryta. „Wichtig war mir nur, mit der Familie zusammenzubleiben.“

Im März 2023 sind sie dann mit dem Zug und einem Auto nach Mülheim gekommen und haben zwei Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft in Saarn bezogen. „Mülheim hat mir direkt gefallen. Sowohl die Stadt als auch die Natur.“ Nachdem sie sich etwas eingelebt hatte, begann sie ihr neues Leben anzugehen. „Ich habe mich sofort für einen Deutschkurs angemeldet.“ Dann sah sie das Tanzstudio gegenüber der Flüchtlingsunterkunft: „Ich bin zur Turnerschaft Saarn gegangen und habe gefragt, ob ich hier trainieren darf“, erzählt Margaryta.

Margaryta darf im Studio der Turnerschaft Saarn kostenlos trainieren

Die Angst, ihre Mobilität zu verlieren und ihren Beruf als Ballett-Tänzerin nicht mehr ausüben zu können war größer, als in einem fremden Land Menschen um Hilfe zu bitten. Die Eigeninitiative wurde belohnt. „Gerne haben wir ihr freie Zeiten im Studio zur unentgeltlichen Nutzung überlassen“, sagt Ingrid Siekmann, 1. Kassenwartin der Turnerschaft Saarn. Auch während der Flüchtlingswelle 2015/16 hatte der Verein sich bereits engagiert und Kindern aus der Flüchtlingsunterkunft kostenlose Sportstunden angeboten. „Wir freuen uns sehr, wenn wir ein wenig Starthilfe für Margaryta leisten konnten und sind sehr stolz auf sie.“

Um zusätzlich Kontakt zu Menschen aus Mülheim zu bekommen und die Sprache besser zu lernen, besucht Margaryta auch eine langjährige Jazztanzgruppe, die in dem Studio trainiert. Auch, wenn es sportlich keine Herausforderung für sie darstellt, freut sie sich über den Kontakt zu den Hobbytänzerinnen. „Ich bin sehr herzlich aufgenommen worden.“ Auch anderswo schaute sie sich nach Trainingsmöglichkeiten um. Sie sprach bei der Mülheimer Ballettschule Spohr vor, deren Inhaberin Simone Spohr ebenfalls bereit war, ihr das Studio in freien Zeiten kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

Familie lebt jetzt in einer eigenen Wohnung in Mülheim-Broich

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Im April zog Margaryta mit ihrer Familie aus der Flüchtlingsunterkunft in Saarn in eine Sozialwohnung nach Broich. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fühlt sie sich jetzt dort sehr wohl. „Wir haben uns etwas eingerichtet und mehr Privatsphäre geschaffen. Jetzt fühle ich mich gut.“ In Broich steht auch ein Helfer bereit, der die Familie bei Übersetzungen oder Arztbesuchen unterstützt. Mit seiner Hilfe und dank Simone Spohr hat Margaryta Kontakt zum Aalto-Ballett in Essen aufgenommen, wo sie nun mit der Company trainieren darf. „Ich bin sehr glücklich und dankbar für alles.“

Margaryta wirkt sehr bescheiden. „Ich habe viele nette Leute kennengelernt und alle sind sehr hilfsbereit. Ich fühle mich wie ein willkommener Gast - aber nicht zu Hause.“ So gut es ihr hier auch gehe, sie vermisse ihre Heimat, ihre Freunde, Musik, das Essen. „Vor allem das Gefühl, zu Hause zu sein.“ Was die Zukunft bringt, ist offen. Die nächsten Schritte stehen jedoch schon fest: Sie möchte ihren Deutschkurs beenden, weiter trainieren, ihr Fernstudium mit dem Master abschließen. „Bis Januar werde ich gut beschäftigt sein. Danach würde ich am liebsten wieder als Tänzerin arbeiten.“ Margaryta hat, wie ihre Oma, einen starken Glauben an Gott. „In den schlimmsten Momenten habe ich gebetet. Auch bei meiner Zukunft vertraue ich auf Gott.“

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