Mülheim. An Mülheims Rembergschule will man möglichst allen Kindern eine Stimme geben. In der Projektwoche zeigten die Förderschüler, was in ihnen steckt.
Ein Interview mit einer Journalistin? Das ist spannend, findet Fiona. „Ich bin aufgeregt, was für Fragen Sie mir stellen.“ Die zehnjährige Schülerin der Rembergschule schaut erwartungsvoll, grinst herausfordernd und fängt schon mal an zu quatschen. Auch ihr Freund Emir und Freundin Alexandra erzählen von ihrem Alltag und der tollen Projektwoche mit dem Kinderliedermacher Heiko Fänger, die in der vergangenen Woche an der Förderschule mit Schwerpunkt Geistige Entwicklung lief. Beim Pressetermin mit am Tisch sitzen auch Benno, Jason und Bin. Sie allerdings sprechen kaum oder gar nicht. Doch das heißt nicht, dass sie nicht kommunizieren können. Die moderne Technik ist für sie ein Segen.
Jason zum Beispiel, der das Down-Syndrom hat und, wie seine Lehrerin Petra Metelmann lächelnd anmerkt, „ganz gern mal im Mittelpunkt steht“, bedient sich eines sogenannten Talkers. Das ist ein kleines, handliches Tablet mit bunten Zeichen auf dem Display. Zu sehen sind zum Beispiel Symbole für Menschen, Tiere und Pflanzen, aber auch eine Sonne, ein Hammer, ein Herz oder ein grasgrüner Apfel. Den drückt Jason nun und er weiß auch ganz genau, welche Zeichen er noch anklicken muss, um der Reporterin zu berichten, dass er zum Frühstück „am liebsten Salami-Brötchen“ isst.
Kinder von Mülheims Rembergschule profitieren von Computern mit Sprachausgabe
Auf die Frage „Wie gefällt dir die Musik in eurem Projekt?“ gibt er erneut via Maschine die Antwort: „Die Musik ist Spaß.“ Wenn Jason auf die passenden Bildchen getippt hat, gibt er dem Talker den Befehl, seinen Satz laut vorzulesen. Der Automat ersetzt die Stimme. Und erzählt zum Beispiel, dass „Oma“ zum großen Auftritt aller Kinder am Ende der Projektwoche kommt. Und dass der Künstler Heiko „cool“ ist. Dadurch, dass Kinder wie Jason - oder auch Benno - die Maschinen immer und immer wieder bedienen, prägen sie sich die Bedeutung der Zeichen und die notwendigen Kombinationen ein. „Die Talker sprechen das motorische Gedächtnis an“, erklärt Metelmanns Kollegin, Stephanie Schulz, Fachfrau für die sogenannte „Unterstützte Kommunikation“.
Bei Bin auf der gegenüberliegenden Tischseite verläuft die Unterhaltung rudimentärer. Metelmann schaut dem Jungen über die Schulter und hilft ihm, Stück für Stück den kleinen „Plauderplan“ abzuarbeiten, den sie für ihn vorbereitet hat. Mittels eines elektronischen Helfers, einer Art Buzzer, nimmt der Junge Kontakt zum Gegenüber auf. Er haut auf den Knopf und schon schickt die vorab von den Lehrern programmierte Maschine ein „Hallo“ auf den Weg. Der Gesprächspartner erwidert den Gruß. Nun sagt Bin über den Buzzer „Schön, dich zu sehen“. Erneut bekommt er ein Feedback; es entwickelt sich ein freundliches Hin und Her. Bin fragt via Taste „Weißt du, was wir gerade hier in der Schule machen?“, erwähnt kurz darauf Heiko und dessen schöne Lieder über Tiere.
„Er lernt auf diese Weise, wie man miteinander spricht, wie man einander zuhört“
Der konkrete Dialog entstammt dem Kopf der Lehrerin. Und es ist davon auszugehen, sagt sie, dass der Achtjährige gar nicht alles vom Sinn her versteht. „Doch er lernt auf diese Weise, wie man miteinander spricht, einander zuhört.“ Für die zum Teil stark geistig beeinträchtigen Schützlinge sei es ein Erlebnis, überhaupt eine Unterhaltung anstoßen und eine Reaktion des Gegenübers bewirken zu können. „Viele haben die Sprache ja auch im Kopf, aber ihnen gelingt der Output nicht. Oder sie verstehen nicht, warum man überhaupt sprechen soll, weil ihnen nicht klar ist, dass wir nicht wissen, was sie gerade denken.“ Die Sonderpädagogen der Rembergschule, die sich parallel auch immer der Gebärdensprache bedienen, seien jedenfalls große Fans der Unterstützten Kommunikation.
Alexandra, Fiona und Emir, Benno, Bin und Jason sind sechs der rund 80 Kinder der Primarstufe. Sie fiebern dem Höhepunkt ihrer Projektwoche entgegen. Zum Abschluss der tollen Tage mit Heiko, der mit ihnen seine Bühnenshow „Ingas Garten“ eingeübt hat, kommen Verwandte und Freunde in die Rembergschule. Alexandra, die in ein paar Tagen elf wird, freut sich sehr darauf, „dass wir dann aufgerufen werden und tanzen“. Sie liebt die Bühne, sagt sie. Und schön ist auch, dass ihre Mutter dabei sein wird und vielleicht auch deren Freundin. Ganz ähnlich wie damals beim Bandfestival der Schule, „da hat sie sogar gefilmt“.
Fiona schlüpft in die Haut einer Spinne und wird auf der Bühne auch zur Ameise
Das Mädchen geht mit Emir und Fiona in die Löwenklasse, in Heikos Projekt ist sie Teil der Spinnengruppe. Spinnen? Für Fiona ein Reizwort: „Vor denen habe ich Angst, die sind unheimlich“, erzählt sie, aber grinst dabei schon wieder breit. Dass sie nun selbst zum Krabbeltier werden wird, ist natürlich nicht schlimm. Im Gegenteil, sie freut sich riesig. „Ich hoffe, dass Mama und Papa und auch meine Nachbarin kommen.“ Emir findet das Projekt auch super: „Weil wir was mit Tieren machen.“ Gemeinsam mit Fiona ist er auch noch Teil von Heikos Ameisen-Heer.
Für jedes Tier hat Fänger ein Stück geschrieben, zu hören sind die Kinderlieder auch auf den CDs „Ingas Garten“. Seit 2018 führt er im Ruhrgebiet und darüber hinaus Workshops mit Kita-Kindern durch. Jetzt ist er erstmals in Mülheim und erstmals arbeitet er mit behinderten Jungen und Mädchen. Er habe Sorge gehabt, gibt er zu, „dass ich Abstriche machen muss vom Programm“. Doch das sei ganz und gar nicht der Fall gewesen: „Es gibt nicht den geringsten Unterschied. Manches läuft sogar besser als in den Kitas. Und die Kinder hier haben eine viel höhere Begeisterungsfähigkeit.“
Auch Sonderpädagogin Metelmann ist happy: „Alle waren vorher aufgeregt - aber sie kommen super klar miteinander.“ Ihr gefällt, wie unbefangen und frei der Musiker mit den Remberg-Kindern umgeht, wie er sie auf sie zugeht, sie anspricht. Miteinander kommunizieren, das ist ja etwas, worauf sie an dieser Schule besonders achten.
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