Mülheim. Mit einem vollautomatischen System sollen Handelsschiffe vor Übergriffen von Piraten geschützt werden. Was genau die Technik so innovativ macht.
Es sind martialische Szenen, die sich etwa im Golf von Aden oder in der Straße von Singapur abspielen, wenn Kriminelle ein Frachtschiff auf hoher See kapern - die Angriffe der modernen Piraterie sind verheerend für Reedereien, ebenso für diejenigen Firmen, deren Güter sich auf den bedrohten Schiffen befinden, und vor allem für die Besatzung, die um Leib und Leben fürchten muss. Ein Mülheimer Unternehmen will hier für Schutz sorgen.
Zwar sind Handelsschiffe riesengroß, aber dennoch nicht unbezwingbar. Piraten gelingt es immer wieder, sich Zutritt zu verschaffen, Fracht zu stehlen oder einzubehalten und Lösegelder zu erpressen - auch für entführte Besatzungsmitglieder. Um der Gefahr zu entgehen, fahren manche Schiffe inzwischen lange Umwege, die Fracht ist so deutlich länger unterwegs, der Transport wird teurer.
Erfinder der Piratenabwehr: „Warum können sich die Schiffe nicht verteidigen?“
Dass solche Frachtschiffe sich nicht verteidigen können, keine Abwehr an Bord haben, habe ihn erstaunt, als er im Fernsehen Berichte über die Piraterie sah, erzählt Andreas Golmayer. Bei seinen Recherchen fand der 51-Jährige, der in Moers lebt und gebürtig aus Duisburg stammt, heraus, dass Schiffen, die Einfahrt in internationale Gewässer, Häfen und Kanäle verwehrt werden kann, wenn sie zu ihrer Verteidigung Waffen wie Gewehre mitführen.
Stattdessen versuchten sich Frachter-Mannschaften vor Piratenangriffen zu verteidigen, indem sie Stacheldraht an der Reling anbringen oder Schallkanonen abfeuern - oft nicht sonderlich erfolgreich, berichtet Golmayer. Also begann der gelernte Fahrzeuglackierermeister, der nach eigenen Angaben zuletzt in der Baubranche tätig war und sich selbst als Erfinder bezeichnet, zu tüfteln und an kleinen Schiffsmodellen zu testen, was er erdacht hatte.
Frachtschiffe dürfen keine Waffen mitführen: Erfinder plant daher mit Abwurf, statt Abschuss
„Die erste Idee war, etwas in Richtung der Boote zu schleudern, in denen die Piraten sitzen“, erklärt Golmayer. Aber auch das hätte wieder als Waffe gegolten. Seine Weiterentwicklung, für die er Anfang des Jahres ein Patent eingereicht hat, sieht stattdessen vor, das Stahlzylinder, jeweils 500 Kilo schwer, aus einem Kasten, der sich an einer Schiene unterhalb der Reling bewegt, nach unten rauschen sollen - genau an die Stelle an der Bordwand, wo die Angreifer gerade mit ihren kleinen Booten anlegen und versuchen, das Schiff zu entern. „Dazu ist kein Triebmittel wir etwa Sprengstoff nötig“, will der Erfinder verdeutlichen, warum sein System, „Beyer B-Drop“ genannt, nicht als Waffe gelte.
Mülheimer Firma erwirbt Patent an dem System zur Piratenabwehr
Mit der Mülheimer Metallbaufirma Georg Beyer GmbH hat Golmayer inzwischen einen Partner gefunden, der ebenso von dem Konzept überzeugt ist. Der Betrieb, der seinen Sitz in Styrum hat, hat das Patent für das System erworben, Golmayer hat im Gegenzug die Hälfte der Firmenanteile erhalten. Der Kontakt zwischen dem Erfinder und dem Georg Beyer-Geschäftsführer war über die Baubranche entstanden. Nach eigenem Bekunden ist Georg Beyer-Chef Thomas Kretschmer auch an einer Projektentwicklungsgesellschaft in Duisburg-Meiderich beteiligt.
Das deutsche Patent- und Markenamt erklärt auf Anfrage dieser Redaktion, keine weiteren Auskünfte zum Projekt „Beyer B-Drop“ geben zu können, denn: „Grundsätzlich müssen Anmeldungen, die in den letzten 18 Monaten eingereicht wurden, aufgrund gesetzlicher Bestimmungen die ersten anderthalb Jahre nach Anmeldetag geheim gehalten werden. Zu laufenden, nicht offen gelegten Verfahren können wir daher keine Auskünfte geben.“
An der Styrumer Neustadtstraße ist man indes guten Mutes, dort sollen in den Hallen der Georg Beyer GmbH künftig die Zylinder sowie der Kasten, aus denen die bolzenförmigen Metallteile beim „Beyer B-Drop“ hinab fallen, hergestellt werden. Die Fachleute der Mülheimer Firma waren an der Feinabstimmung des Systems beteiligt, blickt Geschäftsführer Thomas Kretschmer auf den Entwicklungsprozess zurück: „Unsere Meister haben daran mitgearbeitet, das Gewicht des Containers, in dem die Bolzen stecken, zu reduzieren, und haben danach Muster gebaut.“
Die Bolzen ähnelten Wellen, die sein Betrieb für den Mülheimer Ruhr-Giganten Europipe herstelle, zieht Kretschmer einen Vergleich zum bestehenden Portfolio der Georg Beyer GmbH. Die Kosten des vollautomatischen Abwehrsystems liegen laut Erfinder Golmayer bei rund drei Millionen Euro, je nach Ausstattungsvariante.
Achterbahn-Hersteller liefert Schienen, Mülheimer Betrieb produziert Abwehrbolzen
Die Schienen für den hoch oben an der Bordwand fahrenden Schlitten, der mit den Abwurf-Zylindern bestückt ist, soll ein Achterbahn-Hersteller zuliefern, der normalerweise Freizeitparks ausstattet, auch die Sensorik werde zugekauft, schildert Kretschmer. „Wenn sich die Piratenabwehr etabliert, wäre das für uns ein super zweites Standbein. Damit wären wir nahezu konjunkturunabhängig“, blickt Kretschmer in die Zukunft. Zuletzt hatte sein 17 Köpfe großer Betrieb die Folgen der Rezession zu spüren bekommen und deutlich weniger Aufträge erhalten. Auftrieb dürfte das Projekt zur Piratenabwehr gebe: Aktuell führten sie erste Gespräche mit potenziellen Kunden, geben die Geschäftspartner Golmayer und Kretschmer an.
Nicht nur die Fracht will Andreas Golmayer mithilfe seiner Erfindung beschützen, sondern allen voran auch die Besatzung der Schiffe, die nicht selten als Geiseln genommen werden und Gräueltaten ertragen müssen. Sein System sieht vor, dass der Kapitän im Falle eines Piratenangriffs nur einen Alarm auslöst, die Mannschaft sich daraufhin in einen Schutzraum zurückzieht und die Piratenabwehr anschließend vollautomatisch mittels Messsensoren und Lasertechnik das sich nähernde Piratenboot verfolgt, mehrere Warnungen absendet, bevor die Abwurfvorrichtung genau über den Booten platziert und die Bolzen ausgelöst werden.
Dass das System selbstständig agiere, nachdem der Kapitän den Alarmknopf gedrückt und sich gemeinsam mit seiner Besatzung in Sicherheit gebracht hat, habe vor allem auch einen ethischen Hintergrund, verdeutlicht Golmayer: „Sonst wäre er derjenige, der verantwortlich dafür wäre, dass die Angreifer im äußersten Fall umkommen.“ Daher sagt der Erfinder auch: „Mein großer Traum wäre es, dass so viele Schiffe damit ausgerüstet sind, dass die Piraterie von selbst aufhört, ohne dass der B-Drop einmal ausgelöst werden musste.“
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