Mülheim. Nach Kritik darüber, dass hunderte Vallourec-Beschäftigte noch keinen neuen Job haben, wehren sich Betriebsrat und Gewerkschaften entschieden.

Das war harter Tobak, den die ehemaligen Vallourec-Beschäftigten da lesen mussten: Der Chef der örtlichen Agentur für Arbeit, Jürgen Koch, hatte im Gespräch mit dieser Redaktion über die für die Belegschaft der geschlossenen Werke in Dümpten und Düsseldorf verhandelte Abfederung geurteilt, es sei ein „lukrativer Sozialplan, der nicht zwingend animiere, Arbeit aufzunehmen“. Als Botschaft kam bei vielen Vallourec-Mitarbeitern, die noch keinen neuen Job gefunden haben und in der Transfergesellschaft stecken, an: „Ihr ruht euch in der sozialen Hängematte aus.“ Der Gesamtbetriebsrat spiegelt die Stimmung seiner Kollegen wider: „Das war wie ein Schlag ins Gesicht.“

Von 630 Menschen ist die Rede, die zuvor bei dem nach Brasilien abgewanderten Rohrproduzenten Vallourec beschäftigt waren und nach Schließung der Werke an den Standorten Mülheim und Düsseldorf noch keine neue Anstellung haben. Sie sind zum 1. Januar in eine Transfergesellschaft gewechselt, in der sie maximal ein Jahr lang Kurzarbeitergeld sowie eine Aufstockung auf 85 Prozent ihres bisherigen Gehaltes seitens Vallourec erhalten. Eine hart verhandelte Regelung, wie Vilson Gegic, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Vallourec Deutschland, weiß.

Vallourec-Betriebsrat: „Wir haben drei Jahre lang übelst um den Sozialplan gekämpft“

„Wir haben herausgeholt, was herauszuholen war. Die Abfindungen und die weiteren Regelungen bringen uns nicht unsere Arbeitsplätze zurück – aber sie helfen wenigstens bei der Neuorientierung“, hatte Gegic nach Abschluss der Verhandlungen gesagt. Heute, nachdem längst das letzte Rohr produziert worden ist und die Anlagen an den beiden Standorten nur noch abgewickelt werden, sagt der Betriebsrat: „Darum haben wir drei Jahre übelst gekämpft.“

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Vilson Gegic ist einer der Hauptakteure, die den Interessenausgleich mit Sozialplan und Sozialtarifvertrag ausgehandelt hatten. Mit etwas zeitlichen Abstand sagt er: „Das war eine große Vertrauenslast. Und jetzt kommt einer und sagt ‚Ihr ruht euch darauf aus‘. Dadurch habe ich mich übelst provoziert gefühlt.“ Ihm gehe es ausdrücklich nicht um einen persönlichen Grabenkrieg mit Koch, sondern darum, seine ehemaligen Kollegen zu schützen. „Die haben größtenteils 20, 30 Jahre bei Vallourec gearbeitet - unter Vollleistung bis zum letzten Rohr, und müssen sich jetzt sagen lassen, dass sie den Sozialplan als soziale Hängematte nutzen.“

Die Stimmung unter seinen ehemaligen Kollegen sei dementsprechend mies. Seit Erscheinen des Artikels stünde sein Handy nicht mehr still, Nachrichten ploppten zu Hauf auf, in denen scheidende Vallourec-Beschäftigte sich Luft machten über die Aussagen von Arbeitsagenturchef Jürgen Koch.

Dabei müsse Koch sich selbst fragen lassen, meint der Gesamtbetriebsratsvorsitzende, wie erfolgreich der dreimonatige Einsatz von Beratern der Agentur für Arbeit direkt in den Werken gewesen sei: „Die habe da ihre Leistung erbracht, aber Zahlen, wie viele vermittelt worden sind, nennen sie nicht.“

Vallourec-Gesamtbetriebsrat betont Verbundenheit der Belegschaft zu ihren Werken

Was er aber wisse, betont Gegic: Nahezu alle, die nun in der Transfergesellschaft gemündet sind, hätten sich auf freie Stellen beworben. „Aber die Rückmeldungen kommen oft schleppend, das dauert drei, vier Monate.“ Viele Kollegen hätten unbedingt bis zum Schluss bleiben wollen, sind geblieben, weil sie an ihrem Job, am Werk, an den Kollegen hingen. „Die konnten sich nicht vorstellen, eher wegzugehen, bevor das letzte Rohr fällt.“

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Zufriedenstellend findet Gegic die bisherigen Vermittlungen. Fast 700 der rund 2400 Beschäftigten, die von der Schließung der Werke in Mülheim und Düsseldorf betroffen waren, hätten inzwischen neue Stellen gefunden. Hinzu kämen rund 450 Menschen, die das Altersübergangsmodell in Anspruch nehmen. „Damit sind wir bei über 1000, deren Perspektive klar ist“, sagt der Betriebsrat und betont, dass die Transfergesellschaft nicht nur der finanziellen Absicherung diene, sondern eine Chance zur Qualifizierung in den Markt sei. Warum Arbeitsagenturchef Jürgen Koch dieses Instrument nun kritisiere, kann der Betriebsrat nicht nachvollziehen.

Mülheimer Gewerkschaftsvertreter: Kritik an Sozialplan ist gesellschaftspolitisch gefährlich

Mindestens genauso irritiert von den Aussagen Kochs sind Filip Fischer und Dirk Horstkamp, die örtlichen Vertreter von DBG und IG Metall. „Da wird das Werkzeug Sozialplan infrage gestellt, das finde ich gesellschaftspolitisch gefährlich“, ordnet DGB-Stadtverbandsvorsitzender Fischer ein. Es sei keinesfalls verwerflich, in eine Transfergesellschaft zu münden, betont IG Metall-Gewerkschaftssekretär Dirk Horstkamp. Die Gewerkschafter sagen über die Vallourec-Belegschaft: „Das sind Menschen mit einer geschlossenen Erwerbsbiografie, die nun zum ersten Mal in ihrem Leben gezwungen sind, Leistungen in Anspruch zu nehmen.“

Filip Fischer, Vorsitzender des DGB-Stadtverbands in Mülheim, nimmt Stellung zum Vorwurf gegen Vallourec-Beschäftigte, sie würden sich durch den Sozialplan in der sozialen Hängematte ausruhen.
Foto: Martin Möller /Funke Foto Services
Filip Fischer, Vorsitzender des DGB-Stadtverbands in Mülheim, nimmt Stellung zum Vorwurf gegen Vallourec-Beschäftigte, sie würden sich durch den Sozialplan in der sozialen Hängematte ausruhen. Foto: Martin Möller /Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Gesamtbetriebsratsvorsitzender Gegic weiß ziemlich genau, was aus seinen ehemaligen Kollegen geworden ist und in welcher Phase sie sich gerade befinden - lange Listen zeugen davon. Er wirbt für Realismus und fragt: „Wieso soll jemand, der 30 Jahre von Dinslaken nach Mülheim gependelt ist, den erstbesten Job annehmen, der im Zweifel wieder weit weg und zudem schlechter bezahlt ist.“ Auch der Verdienst war ein Aspekt in der Kritik von Jürgen Koch. Der Chef im hiesigen Bezirk der Arbeitsagentur hatte im Gespräch mit dieser Redaktion gesagt: „Viele tun sich schwer, weniger Lohn zu akzeptieren“. Betriebsrat Gegic stellt sich entschieden vor seine Kollegen: „Warum sollten unsere Leute einen geringeren Stundenlohn hinnehmen - mit ihrem Knowhow?“

Das Vallourec-Aus in Mülheim – Mehr zum Thema:

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