Mülheim. Hunderte Vallourec-Mitarbeiter aus Mülheim und Düsseldorf haben weiter keinen neuen Job. Welche Möglichkeiten die Transfergesellschaft bietet.

Zum 1. Januar stehen Hunderte ehemalige Beschäftigte des nach Brasilien abgewanderten Rohrproduzenten Vallourec ohne neuen Job da. Eine Transfergesellschaft soll ihnen nun helfen. Nicht jeder ist zufrieden mit dem Verfahren. Der Vorwurf: Eine üppige Abfederung über den Sozialplan habe wohl manchen davon abgehalten, sich intensiv um eine neue berufliche Perspektive zu bemühen.

Im November 2022 hatten sich Vallourec und Arbeitnehmerseite auf einen Interessenausgleich samt Sozialplan zur Betriebsstilllegung in Mülheim und Düsseldorf-Rath verständigt. Dieser sah unter anderem vor, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bis Ende 2023 noch keinen neuen Job gefunden haben, für maximal ein Jahr in eine Transfergesellschaft wechseln können. In diesem Jahr erhalten sie neben Kurzarbeitergeld eine Aufstockung seitens Vallourec auf 85 Prozent ihres bisherigen Gehaltes.

630 ehemalige Beschäftigte von Vallourec jetzt in der Transfergesellschaft

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Laut NRW-Arbeitsministerium sind von den Valllourec-Standorten in Mülheim und Düsseldorf rund 630 Beschäftigte zum 1. Januar in eine erste Transfergesellschaft gewechselt, die von „Start NRW“ betrieben wird. Zum 1. Juli und zum 1. Januar 2025 sollen weitere Transfergesellschaften gegründet werden. Hier sollen dann noch diejenigen Beschäftigten unterkommen können, die aktuell noch mit der Abwicklung der Deutschland-Gesellschaft von Vallourec zu tun haben.

In der Transfergesellschaft sollen die verbliebenen Mitarbeiter individuell unterstützt werden auf dem Weg zu einer neuen Anstellung oder einer Existenzgründung. „Das Angebot erstreckt sich dabei zum Beispiel von der Erstellung von Bewerbungsunterlagen über die Suche nach Stellenangeboten bis hin zur Vor- und Nachbereitung von Bewerbungsgesprächen“, so das Ministerum. Zusätzlich möglich: Weiterbildungen.

Welche Qualifikationen die 630 Vallourec-Beschäftigten mitbringen

Erfasst ist auch, welche Qualifikationen die verbliebenen Beschäftigten mitbringen. Auf Nachfrage teilte das Ministerium mit, dass neun Prozent der 630 Betroffenen ohne Berufsabschluss dastünden. Weitere rund 80 Prozent könnten eine Berufsausbildung vorweisen, allerdings sei jeder Achte von diesen Arbeitnehmern bei Vallourec nicht in seinem Ausbildungsberuf eingesetzt gewesen, sondern branchenfremd. Gelernte Tischler seien darunter, Gärtner oder Verkäufer, auch Bankkaufleute oder Restaurantfachleute. Der Rest, rund 11 Prozent der 630 Beschäftigten, könne einen Meisterbrief vorweisen oder einen Studienabschluss. Von den 630 Menschen seien 70 Prozent gewerblichen Tätigkeiten bei Vallourec nachgegangen.

Das Land NRW sieht weiter sehr gute Chancen für ehemalige Vallourec-Beschäftigte, einen neuen Job zu finden. „Viele Unternehmen dürften ein großes Interesse daran haben, Beschäftigte von Vallourec zu übernehmen. Nach uns vorliegenden Informationen haben mehrere größere Unternehmen aus der Region die Absicht, möglichst vielen Mitarbeitenden eine berufliche Perspektive zu eröffnen“, äußerte sich ein Sprecher des Arbeitsministeriums noch kurz vor Start der Transfergesellschaft. Der Arbeitsmarkt sei derzeit „sehr aufnahmefähig“. Der Mangel an Arbeits- und Fachkräften sorge dafür, dass Unternehmen branchenübergreifend händeringend nach Personal suchen.

Agentur-Chef: Fachkräftemangel bietet Vallourec-Beschäftigten gute Perspektiven

Das sieht auch der Chef im hiesigen Bezirk der Agentur für Arbeit so: Jürgen Koch legte zum Jahreswechsel dazu Arbeitsmarktdaten vor. Der Maschinenbau zählte etwa zu den Treibern für ein kräftiges Plus bei der Zahl sozialversicherungspflichtiger Jobs in Mülheim bis zum Frühjahr vergangenen Jahres. Auch aktuell seien Fachkräfte Mangelware in Produktions- und Fertigungsberufen. Einschränkung dabei: Etwa in der Maschinenbau- und Betriebstechnik fehlt es laut Agentur für Arbeit nicht so sehr an Fachkräften; vielmehr seien Qualitäten darüber hinaus nachgefragt, sogenanntes Expertenwissen. Einen Mangel an Facharbeiterinnen und -arbeitern macht die Agentur derzeit insbesondere etwa in der Fahrzeug- und Energietechnik sowie in der Speisenzubereitung aus.

Agentur-Chef Koch hatte schon im Spätsommer 2023, als das letzte Vallourec-Rohr in Mülheim gefertigt war, an die Vallourec-Beschäftigten appelliert, nicht darauf zu setzen, sich am 1. Januar für maximal ein Jahr in die Transfergesellschaft fallen zu lassen, sondern aktiv zu werden, „den Ernst der Lage zu erkennen“ und nicht ein Jahr zu verlieren für die berufliche Neuorientierung. Schon damals hatte Koch wegen des Fachkräftemangels ausreichend Alternativjobs für Vallourec-Beschäftigte gesehen. Auch Arbeitnehmer jenseits der 50 seien gefragt.

Agentur-Chef sieht bisherige Hilfsangebote nicht von Erfolg gekrönt

Doch trotz einiger Jobbörsen und Extra-Beratung gar auf dem Werksgelände sind hunderte Beschäftigte heute noch ohne Job. All die Hilfen, die man in der ersten Phase geboten habe, seien „nicht sehr erfolgreich“ gewesen, „wir hatten uns mehr versprochen“, stellte Koch jetzt ernüchtert fest. Der Agentur-Chef spricht sogar von etwas mehr als 900 unversorgten Vallourec-Beschäftigten. Zum Start der aktuellen Transfergesellschaft fänden dort 222 aus dem Mülheimer Werk eine Anstellung.

Der aus Kochs Sicht „lukrative Sozialplan“ sei sicher ein Grund dafür. „Er hat nicht zwingend animiert, Arbeit aufzunehmen.“ So hätten viele „erst mal festgehalten“, da ihnen für dieses Jahr weiterhin 85 Prozent ihres Gehaltes zugesichert seien. „Viele tun sich auch schwer, weniger Lohn zu akzeptieren“, so der Agentur-Chef. Psycho-soziale Gründe spielten ebenso eine Rolle.

Der lukrative Sozialplan hat nicht zwingend animiert, Arbeit aufzunehmen.
Jürgen Koch

Hohe Kosten: Mülheims Agentur-Chef sieht Transfergesellschaft kritisch

Das Instrument, Beschäftigte nachgelagert in einer Transfergesellschaft aufzufangen, sieht Koch in Zeiten des Fachkräftemangels kritisch. Bei Massenarbeitslosigkeit habe es sich bewährt, aktuell sei es zu hinterfragen, auch wenn grundsätzlich zu begrüßen sei, wenn ein Arbeitsplatzabbau wie bei Vallourec sozialverträglich vonstatten gehe. Koch sieht im Fall Vallourec Anlass dafür, über „kürzere Transferphasen mit höheren Anreizsystemen“ für die Aufnahme neuer Jobs nachzudenken.

Denn am Ende belaste ein solch langwieriges Verfahren wie bei Vallourec die Allgemeinheit: Auch wenn Vallourec selbst die Kosten für die Transfergesellschaft an sich trage. Das Kurzarbeitergeld fließt aus den Töpfen der Sozialversicherung, laut Koch kommt die Agentur für Arbeit auch für die Hälfte der Kosten für Qualifizierungen in der Transfergesellschaft auf. Wie viel die Transfergesellschaft die Sozialversicherung am Ende kosten wird, ist laut NRW-Arbeitsministerium noch unklar. „Die Kostenberechnung ist noch nicht abschließend erstellt“, heißt es.

Das Vallourec-Aus in Mülheim – eine kleine Chronik:

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