Mülheim/Düsseldorf. Vallourec hat sein letztes Rohr in Mülheim gefertigt, der Abbau der Maschinen steht an. Wie es um die einst 2200 starke Stammbelegschaft steht.

Seit Mai 2022 ist klar: Die Geschichte der deutschen Rohrproduktion von Vallourec endet in diesem Jahr, der französische Konzern verlagert seine Fertigung aus Kostengründen nach Brasilien. Nun ist im Mülheimer Werk das allerletzte Rohr vom Band gegangen. Wie aber steht es um die Zukunft der ehemals 2200 Menschen starken Stammbelegschaft an den Standorten Mülheim und Düsseldorf-Rath?

Der Moment sei „etwas schneller als geplant“ gekommen, blickt der Geschäftsführer und Arbeitsdirektor von Vallourec Deutschland (VAD), Herbert Schaaff, zurück auf den emotionalen Moment am 24. August, als jenes letzte Rohr, ein 73-Millimeter-Ölfeldrohr, den Produktionsprozess im Werk an der Schützenstraße in Mülheim durchlaufen hatte. Die beteiligten Mitarbeiter hätten an diesem Tag „ein Stück weit Abschied genommen“, ebenso bei den Familienfesten, die das Unternehmen zusammen mit dem Betriebsrat im August organisiert hatte.

Vallourec-Geschäftsführer lobt Belegschaft: „Ein gutes Ende“ sei gelungen

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Die bewegenden Veranstaltungen und die störungsfreie und qualitativ hochwertige Abwicklung der letzten Aufträge markieren laut Schaaff „ein gutes Ende“, die „sehr aufgeheizte Stimmung“ des Vorjahres habe sich verflüchtigt. Nur noch rund 200.000 Tonnen Rohre hat Vallourec in seinen drei deutschen Werken in diesem Jahr produziert – weniger, als früher allein das Mülheimer Werk gestemmt hatte. Schaaff spricht von einem „geplanten Rückbau“, der einkalkuliert gewesen sei. Dass sich Kunden anderweitig am Markt orientiert hätten, sei absehbar gewesen. Für Vallourec stehe am Ende „kein wirtschaftliches Desaster“.

2400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte Vallourec zu jenem Zeitpunkt, als die Pariser Konzernzentrale unter großem Protest der Belegschaft das Aus für die deutsche Produktion zementierte. Sowohl Schaaff als auch der für Mülheim zuständige Arbeitsagentur-Chef Jürgen Koch berichten gleichlautend, dass die vielfältigen Instrumente des Sozialplans schon gute Ergebnisse gebracht hätten – „so traurig“ das Vallourec-Aus auch sei, wie Koch betont.

450 Vallourec-Mitarbeiter bis zu ihrem Renteneintritt freigestellt

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Vallourec-Arbeitsdirektor Schaaff nennt Zahlen: Stand jetzt hätten von ehemals 2200 Stammkräften 450 jene Altersübergangsregelung in Anspruch genommen, mit der sie ab dem 1. Januar bis zu fünf Jahre freigestellt werden. In dieser Zeit erhalten sie 85 Prozent ihres Lohns weiter, um mit 63 Jahren mit Abschlägen in Rente zu gehen. Das Angebot gilt für Beschäftigte ab Jahrgang 1966 und älter.

Darüber hinaus haben laut Schaaff rund 500 Beschäftigte einen Aufhebungsvertrag unterschrieben und das Unternehmen mit einer Abfindung vorzeitig verlassen. Weitere 240 Mitarbeiter werden bis Ende 2024 ein Jahr länger beschäftigt. Sie gehören laut Schaaff zum sogenannten Abwicklungsteam, das den Abbau der Produktionsanlagen durch eine Fremdfirma begleitet. Maschinen würden entweder an andere Vallourec-Standorte verbracht, verkauft oder verschrottet, so der VAD-Geschäftsführer. Einige Mitarbeiter werden auch weiterbeschäftigt in der Personal- und Finanzverwaltung. Wenn die Abwicklung früher endet, werden die Beschäftigen bei vollem Entgelt freigestellt.

Für rund 1000 Beschäftigte ist die Perspektive noch unklar

Herbert Schaaff, Geschäftsführer der Vallourec Deutschland GmbH.
Herbert Schaaff, Geschäftsführer der Vallourec Deutschland GmbH. © Vallourec

Verbleiben aktuell immer noch etwas mehr als 1000 Mitarbeiter, bei denen zumindest keine Perspektive bekannt ist. Schaaff schätzt, dass auch hiervon rund 150 Personen einen neuen Job schon gefunden haben dürften. Man gehe davon aus, dass 860 Beschäftigte, darunter 290 vom Standort Mülheim, noch eine Anschlussbeschäftigung benötigen.

An sie richtet sich nun das neuerliche Angebot von Jobmessen am 9. September von 10 bis 16 Uhr mit rund 90 Unternehmen in der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle und am 16. September von 10 bis 16 Uhr in Mülheims Westenergie-Halle, wo nach jetzigem Stand 90 beziehungsweise 60 Arbeitgeber mit potenziellen Bewerbern zusammenkommen wollen. Kleine Handwerksbetriebe seien ebenso vertreten wie Großunternehmen à la Deutsche Post, Telekom oder Bahn, so Schaaff. Auch Mülheimer Betriebe sind zahlreich vertreten, etwa die Friedrich-Wilhelms-Hütte, Ancofer Stahlhandel, die Gesellschaft für Nuklear-Service, die Rheinisch-Westfälische Wasserwerksgesellschaft, die Betriebe der Salzgitter AG oder Siemens Energy.

Agentur-Chef Koch zur Jobvermittlung: Einiges „noch in der Pipeline“

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Zu Jahresbeginn hatte Agentur-Chef Koch die Vermittlung von Aberhunderten Vallourec-Beschäftigten noch zum Lackmus-Test erklärt für das Klagen der Wirtschaft über einen breit gestreuten Fachkräftemangel. Heute sieht Koch bestätigt, dass nicht nur die Klagen laut sind, sondern auch die tatsächliche Nachfrage „immens“. Zahlreiche Unternehmen hätten ihr Interesse an Vallourec-Beschäftigten über Arbeitsagentur, Vallourec selbst oder die Wirtschaftsförderungen bekundet. So sei es gelungen, viele schon in neue Jobs zu bringen. Einiges sei auch „noch in der Pipeline“.

Insgesamt klopfen sich Agentur und Vallourec schon jetzt gegenseitig auf die Schulter. Für Koch ist die Zusammenarbeit „herausragend“, Vallourec spiele die „ganze Klaviatur“, um seinen Beschäftigten einen Anschluss zu verschaffen; es seien auf Kosten des Unternehmens auch schon zahlreiche Qualifizierungen angelaufen. Das habe er in seiner neunjährigen Geschäftsführertätigkeit für die Arbeitsverwaltung so noch nicht erlebt. Vallourec-Manager Schaaff kontert das Lob: Die Agentur für Arbeit werde oft gescholten, ihr Engagement in dieser Sache sei lobend zu erwähnen. Sie sei „proaktiv unterwegs“.

Appell an Beschäftigte in Mülheim und Düsseldorf: „Den Ernst der Lage erkennen“

„Überrascht“ nimmt Schaaff allerdings zur Kenntnis, dass sich ein Teil der Beschäftigten trotz lange schon klarer Verhältnisse erst spät auf die Jobsuche gemacht habe. Das stellt auch Agentur-Chef Koch fest. Er appelliert an die Betroffenen, nicht darauf zu setzen, sich am 1. Januar für maximal ein Jahr in die Transfergesellschaft fallen zu lassen, sondern jetzt aktiv zu werden und „den Ernst der Lage zu erkennen“.

Jürgen Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit für Essen, Oberhausen und Mülheim.
Jürgen Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit für Essen, Oberhausen und Mülheim. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Auch wenn die Transfergesellschaft Kurzarbeitergeld und eine Aufstockung auf 85 Prozent des einstigen Vallourec-Gehaltes verspreche, sei im Zweifel bei der beruflichen Neuorientierung doch ein Jahr verloren. „Jetzt kommen wir in die entscheidende Phase“, so Koch. Auch Arbeitnehmer der Generation Ü50 seien am Arbeitsmarkt gefragt. Einen besonderen Fokus müsse man indes auf Beschäftigte ohne Ausbildung legen, um sie fit zu machen für einen neuen Job.

Zögern Beschäftigte wegen möglicher Lohnverluste und langer Arbeitswege?

Arbeitsdirektor Schaaff glaubt, die Gründe für manch zögerliches Handeln der Beschäftigten zu kennen. Einerseits täten sich einige schwer, Abstriche bei ihrem bislang guten Tariflohn zu akzeptieren. Andererseits zeigten sich Menschen auch „nicht besonders mobil“. Lange Fahrtstrecken zu einer möglichen neuen Arbeitsstätte ließen auch manch einen zaudern.

Das Vallourec-Aus in Mülheim – eine Chronik: