Mülheim. In Mülheim-Selbeck schüttelt mancher den Kopf über neue Haltestellen. Sie sind nun barrierefrei, aber schaffen neue Hürden für Fahrrad und Auto.
Barrierefreie Bus- und Bahnsteige sind im Mülheimer Nahverkehr längst noch kein Standard und auch bitter nötig. Ausgerechnet aber sorgen in Selbeck zwei gerade fertig gestellte Bahnsteige bei manchen Selbeckern für verblüfftes Kopfschütteln. Denn der barrierefreie Ausbau führe zu „Behinderungen des Auto- und Fahrradverkehrs“ und - wie manche befürchten - zu einem neuen Unfallschwerpunkt.
Gemeint sind die neuen Bussteige der Haltestelle Stooter Straße, und damit mitten im Ortskern. Im vergangenen November wurden sie um rund 20 und 25 Meter entlang der Kölner Straße verlegt und dort auch neu gebaut. Achtmal in der Stunde hält hier ein Bus. Kostenpunkt: 75.000 Euro, zu 90 Prozent gefördert.
Trotz Umbau: Fußgänger und Radfahrer müssen sich an Haltestelle vorbeiquetschen
2019 wurde die Verlegung politisch nahezu ohne Debatte beschlossen, heute aber wirft sie Fragen und vor allem ungelöste Hürden auf. So müssen sich in Richtung Mülheim die Fahrradfahrer gemeinsam mit Fußgängern auf dem ohnehin schmalen Bürgersteig an den Wartenden und der Haltestelle vorbeiquetschen. Denn der Platz zwischen Bordstein und Wartehäuschen beträgt gerade einmal 1,90 Meter.
Auf die Straße ausweichen dürfen Fahrradfahrer jedoch strenggenommen nicht, denn ein blaues Verkehrszeichen verpflichtet sie, den gemeinsamen Fuß- und Radweg zu benutzen. Noch kurioser ist es für Fahrradfahrer bereits vorher: Denn auf einer Strecke von vielleicht 50 Metern müssen sie auf den ersten 20 Metern auf dem Fuß- und Radweg fahren, danach ist es ihnen für 20 Meter freigestellt, um sie kurz vor der Haltestelle wieder auf den Bürgersteig zu verpflichten.
Konflikt für Autofahrer: Schlechte Einsicht beim Überholen
In Richtung Ratingen wird‘s dagegen für Autofahrer konfliktreich. Durch die Verlegung aus der ehemaligen Haltestellenbucht liegt der neue Bussteig nicht nur etwa zwölf Meter vor der Ausfahrt Stockweg, sondern der Bus hält jetzt auch auf der Straße. Das sorgt dann für Stau.
„Nicht alle halten sich daran, viele Autofahrer versuchen natürlich, den Bus zu überholen“, berichtet ein Selbecker. Obwohl das nicht erlaubt sei - „aber so fahren die Leute halt“, bemerkt er. Das Problem: Die Überholenden können hinter dem Bus nicht sehen, ob jemand aus dem Stockweg auf die Kölner Straße einbiegen will. Und wer aus dem Stockweg kommt, kann wegen des davor stehenden Busses auch nicht sehen, ob ein Auto just überholt.
Auch an diesem Nachmittag ist es so. Zum Glück gibt es diesmal keinen Zusammenstoß, doch für manchen Beobachter ist das nur eine Frage der Zeit.
So antwortet die Mülheimer Verwaltung: Verlegung unvermeidbar
Aus Sicht der Stadtverwaltung war die Verlegung unvermeidbar: Die Bussteige seien an lange Gelenkbusse anzupassen. So müsse der Bussteig „nach Möglichkeit“ 18 Meter lang sein, damit an allen drei Bustüren auch barrierefrei ein- und ausgestiegen werden kann. Stadteinwärts aber standen am alten Standort nur 13 Meter zur Verfügung.
Für die Verwaltung folgt auch die wechselnde Fahrradbeschilderung einer Logik: Denn dort, wo das weiße Schild hängt, soll der Fahrradfahrer auf die Fahrbahn wechseln dürfen, wenn er nach links in die Karl-Forst-Straße abbiegen will. Allerdings ist dort das Einbiegen ausschließlich für Fahrradfahrer erlaubt, so dass Radler dafür ohne eigene Linksabbiegespur mitten auf der ohnehin engen Kölner Straße zwischen geradeaus fahrenden Autos warten müssen.
In Richtung Ratingen gab es zwar eine Haltebucht, doch auch diese sei nicht lang genug gewesen. Pläne der Verwaltung zeigen jedoch, dass an dieser Stelle durchaus 18 Meter zwischen den Einfahrten vorhanden sind. Ein Wartehäuschen wäre dann möglich gewesen, wenn man die Bucht verbreitert hätte. Und auch für Fußgänger und Fahrradfahrer hätte diese Lösung mehr Platz geschaffen, räumt das Amt für Verkehrswesen ein.
Mülheims SPD: „Umsetzung nicht nachvollziehbar“
Warum man das nicht umsetzte? Es hätte - laut Amt - den Autoverkehr eingeschränkt, für den an dieser Stelle viel Platz für eine Linksabbiegespur in die Stooter Straße eingeräumt wird.
Hat man bei der Planung des barrierefreien Umbaus zu wenig an die alten wie neuen Barrieren für die übrigen Verkehrsteilnehmer gedacht? Für den verkehrspolitischen Sprecher der SPD, Daniel Mühlenfeld, ist „nicht nachvollziehbar, was dort gemacht wurde“. Auf mögliche Folgeprobleme des Umbaus und seine Alternativen sei damals nicht hingewiesen worden - das aber sei Aufgabe der Fachleute aus der Verwaltung.
So ist der Fall politisch „wohl so durchgelaufen“, muss Mühlenfeld allerdings auch einräumen. „Im Zweifelsfall muss man hier nachbessern“, schlagt der SPD-Sprecher vor, „es wäre nicht das erste Mal“.
CDU-Sprecher: „Ein notwendiger Kompromiss“
Doch mit Nachbesserungen stößt Mühlenfeld nicht überall auf offene Ohren: Sein Fachkollege in der CDU, Siegfried Rauhut, sieht bei diesem begrenzten Straßenquerschnitt die Notwendigkeit für „Kompromisse“ zwischen Fahrradfahrern, Fußgängern und Busverkehr: „Stadteinwärts war auch die vorherige Situation für die Radfahrer nicht besser.“
In Richtung Ratingen sieht Rauhut durch die Verlegung des Bussteigs sogar Verbesserungen für Radler und Fußgänger, die nun mehr Platz hätten. Der Konflikt für Autofahrer entstehe „hingegen nur bei verkehrsregelwidrigem Verhalten. Daher haben wir auch am Ende dieser Lösung zugestimmt“. Bei vier Bussen, die den Bussteig in der Stunde anfahren, stellt sich Rauhut zudem die Frage, ob es einer politischen Lösung überhaupt bedürfe, zumal das Problem ja durch „regelwidriges Verhalten“ der Autofahrer entstünde.
Grüne: „15 Sekunden Wartezeit für Autofahrer ist zumutbar“
Ähnlich sieht das der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Axel Hercher: „15 Sekunden Wartezeit“ wegen des Ein- und Ausstiegs sei für nachfolgende Fahrzeuge zumutbar. Für Radfahrer Richtung Stadt könnte man die Bürgersteig-Regelung aufheben und die Straße freigeben. Dies hätte Vorteile für Radler, die an der Karl-Forst-Straße links abbiegen, weil sie dann schon auf der Straße seien.
So bleibt fraglich, ob die Stadt nachbessern wird oder, wie bislang, auf einsichtige Autofahrer setzt, die „nur vorsichtig“ am Bus vorbeifahren oder abwarten - „das sollte die eigene Sicherheit wert sein“, heißt es aus dem Verkehrsamt. Und darauf, dass der Bus nur „maximal vier Mal in der Stunde für wenige Augenblicke“ dort hält. Beschwerden, so die Verwaltung, lägen hierzu jedenfalls nicht vor.
So steht es um den barrierefreien Ausbau in Mülheim
- 201 Bussteige in Mülheim sind aktuell barrierefrei ausgebaut, ein weiteres Drittel aber - rund 100 - müsste die Stadt noch angehen.
- Das sind längst nicht alle Haltepunkte, und eigentlich fordert das Personenbeförderungsgesetz ein, dass bereits zum 1. Januar 2022 alle Bahn- und Bussteige vollständig barrierefrei gewesen wären.
- Doch kein Gesetz ohne Ausnahme: Die können Kommunen selbst festlegen. In Mülheim gilt daher, dass Haltestellen mit weniger als 75 Ein- und Ausstiegen pro Tag nicht barrierefrei umgebaut werden. Das sei „wirtschaftlich nicht darstellbar“, heißt es.
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