Mülheim. Hans-Gerd Bachmann war als Geschäftsführer der Mülheimer Medl ein Vordenker der Energiewende. Wo die Stadt beim Handeln nachschärfen muss.

Wie will Mülheim künftig Energie beziehen, wie sich fortbewegen und wie wohnen – und das weitgehend klimaneutral? Ein Klimaschutzkonzept hat die Stadt just aufgelegt, auf das Klimaschützer wie auch Energieexperten seit vielen Jahren gewartet haben. Nun zeigen sie sich in Teilen enttäuscht, denn ihnen fehlen entscheidende Bausteine für eine praxisnahe und rechtzeitige Umsetzung. Mülheim müsste vor dem anstehenden politischen Beschluss zum Jahresende noch einmal deutlich nachschärfen.

„Ich wäre begeistert von diesem Konzept“, schüttet Hans-Gerd Bachmann viel Lob aus für einen Aufschlag der Stadt, der die richtigen Handlungsfelder von Erneuerbare Energie bis Verkehr benennt. Und muss dann relativieren: „Wenn es vor 30 Jahren gekommen wäre.“ Den Mülheimer Energiedienstleister Medl hat der Maschinenbauer und Wirtschaftsfachmann Bachmann einst als Geschäftsführer aufgebaut. Er ist damals nicht nur ein Vordenker der Energiewende gewesen, als in Mülheim noch kaum jemand davon sprach, sondern auch intimer Kenner der Mülheimer Verwaltung und Politik.

Bachmann: „Es liest sich gut, aber das Handeln. . .“

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Sein erstes Fazit: „Es liest sich gut, aber das Handeln. . .“ Was dem Konzept entscheidend fehle, sei eine realistische Umsetzungsstrategie. Aus Bachmanns Sicht gehöre dazu zum einen eine Priorisierung bei der Umsetzung der Maßnahmen. Denn aktuell seien alle Bereiche gleichrangig angeordnet. Klar sei aber schon jetzt, dass die Stadt nur begrenzt Personal und Geld zur Verfügung habe, so dass letztlich die Politik über eine Gewichtung und Reihenfolge entscheiden müsse.

Damit wird auch ein zweiter Schritt deutlich: Die Stadt wird Akteure und Investoren für die Umsetzung brauchen, doch im Konzept werde nicht klar, welche Mülheimer Player die Stadt im Blick hat – und ob diese sich das auch zutrauen. Solche Stellungnahmen zu dem Klimaschutzkonzept, über das die Politik bis Ende des Jahres entscheiden soll, fehlen.

Gibt es Interesse daran, dass Mülheims Klimakonzept scheitert?

Denn manche Dinge können schon an vermeintlichen Kleinigkeiten scheitern, etwa: Reicht der Raum unter Mülheims Straßen aus, um neue Wärmenetze zu legen?

„Hat jemand überhaupt gelesen, was die Stadt vorhat?“, wundert sich der ehemalige Medl-Chef darüber, dass keine Einschätzungen etwa der Medl, der großen Wohnungsbaugesellschaften SWB und MWB, der Sparkasse und der Ruhrbahn vorliegen, obwohl gerade sie eine entscheidende Rolle spielen werden müssen.

Und der jahrzehntelange Kenner mölmscher Politik hält auch mit einer Befürchtung nicht hinterm Berg: Einige in Verwaltung und Politik sähen sich angesichts der vielen Aufgaben bereits überfordert, und manchem Politiker sei ein Scheitern der Klimaschutz-Bemühungen sogar nicht einmal unrecht.

Bachmann fordert: „Jemand muss sich an die Spitze der Klimamaßnahmen stellen“

„Es muss deshalb jemanden geben, der sich an die Spitze der Klimaziele stellt und Vertrauen schafft, dass wir die Ziele erreichen können“, fordert Bachmann. Zum Beispiel ein Oberbürgermeister. Er müsse nicht nur als Multiplikator bei den genannten und weiteren Akteuren werben, sondern – das sei wesentlich – die Mülheimerinnen und Mülheimer überzeugen. Denn am Ende braucht der Klimaschutz private Investitionen in Dämmung und Wärmepumpen.

Als Medl-Chef hatte Bachmann das vorgemacht und vor zehn Jahren mit dem Projekt „Bürgerenergie“ bei Mülheimer Anlegern drei Millionen Euro für erneuerbare Energie und Energieeffizienz einsammeln wollen. Schon am ersten Tag rieselten damals eine Million Euro ein. Solche Projekte müsste die Stadt wieder anstoßen und auch beim Klimaschutz selbst „nach vorne gehen“, fordert Bachmann deshalb. Das fange bei Photovoltaik und Heizen an – hier wäre der Immobilienservice zuständig – und höre beim Mobilitätsverhalten der Mitarbeiter in der Verwaltung nicht auf.

Wer soll das bezahlen? Mülheimer Ressourcen ordnen

Die Stadt muss Vorbild sein, dennoch wird es künftig weiter um Ressourcen gehen, die bekanntlich in Mülheim knapp sind. Aus Bachmanns Sicht ist nicht alles eine Frage zusätzlichen Personals. Die Stadt könne sich intern neu aufstellen, Zuständigkeiten festlegen und die Prioritäten abarbeiten. Welche Aufgaben übernimmt etwa die Stabstelle für Klimaschutz und Anpassung?

Die bisherigen Aufgaben der Einzelberatung und Info-Abende jedenfalls könnten längst vorhandene externe Stellen wie die Verbraucherzentrale, Energieberater, Handwerker oder Medl übernehmen. Auch vorhandene Webseiten wie Altbauneu.de können für solche Beratungen und als Kontaktportale ausgebaut werden.

Und doch wird der Klimaschutz Geld kosten: die Stadt, die beteiligten Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger, weiß Bachmann. Das neue Klimaschutzkonzept sollte deshalb auch Aussagen über die geschätzten Kosten der Maßnahmen enthalten. Der Mülheimer Vordenker ist skeptisch, dass man alles Notwendige wird umsetzen können, um rechtzeitig 2035 klimaneutral zu werden. „Die Transformation wird länger dauern“, schätzt Bachmann. Und doch müsse nun alles getan werden: Ein „Dafür haben wir kein Geld und kein Personal“ als Grund, nicht zu handeln, dürfe es fortan nicht mehr geben.

Mülheim und das Klima – die Debatte