Mülheim. Kitaschließung, Notgruppen, Diskussionen: Zwei Mülheimer Eltern berichten, wie drastisch sich die unsichere Betreuung auf ihre Familien auswirkt.
Wer sich aktuell die Kitalandschaft anguckt, könnte sich fühlen, als wäre er Beobachter eines kuriosen soziologischen Experiments. Eltern erfahren erst vor der Kita-Tür, ob ihr Kind betreut wird, Dreijährige sitzen mit ihren Eltern auf der Arbeit, Fünfjährige werden früher eingeschult, weil ihre Eltern das Betreuungstetris nicht mehr weiterspielen wollen. Das alles ist aber kein zeitlich begrenztes Experiment, sondern für viele Familien Alltag, auch in Mülheim. Wir haben mit zwei Familien gesprochen, die längst an der Belastungsgrenze sind. Vor allem wollen sie nicht mehr nur aushalten, sondern verlangen entschlossenes politisches Handeln.
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Sarah Datta hat zwei Kinder im Alter von drei und fünf Jahren, die die Kita Heilig Geist besuchen. Seit im August eine Erzieherin der kleinen Einrichtung kündigte, sei die Betreuung instabil. Sechs Mal sei es seitdem zu Notgruppen gekommen. Das bedeutet, es konnte nur ein Teil der Kinder überhaupt betreut werden, der Rest blieb zu Hause. „Mein Mann und ich sind Lehrer. Das hat dazu geführt, dass wir unsere Kinder auch mal mit in den Schulunterricht genommen haben. Da sitzt dann eine Dreijährige eine Doppelstunde lang mit im Unterricht und muss sich still beschäftigen“, erzählt Sarah Datta.
Mülheimerin kritisiert: Vor allem für Frauen ein Rückschritt
An 20 Tagen seien zudem die Betreuungszeiten pro Kind um zehn Wochenstunden verkürzt worden. Kinder mit einem 35-Stunden-Platz hätten dann schon um 12.30 Uhr abgeholt werden müssen. „Welcher berufstätige Mensch kann das schon?“, sagt sie. Besonders ärgert sie, dass die aktuelle Situation vor allem für Frauen einen Rückschritt bedeutet. „Es sind vor allem die Frauen, die Teilzeit arbeiten und jetzt Stunden reduzieren.“ Sie würden mal wieder die Erfahrung machen, dass Familie und Beruf kaum zu vereinbaren sind.
Hendrik Heckhoff ist vierfacher Vater, sein jüngstes Kind besucht aktuell noch die städtische Kita Mandala. Er und seine Frau haben beschlossen, den Fünfjährigen schon im nächsten Jahr vorzeitig einschulen zu lassen und einen entsprechenden Antrag gestellt. Einer der Gründe: die unsichere Betreuungssituation in der Kita. „Vor ein paar Jahren war das eine absolute Vorzeige-Kita, ein Traum. Jetzt fährt man morgens hin und weiß nicht, ob das Kind betreut wird.“ So war es just am Morgen unseres Gesprächs. Ausgerechnet am Geburtstag des Sohnes kam die Nachricht, dass aus Krankheitsgründen nur eine Notbetreuung einzelner Kinder möglich sei. Heckhoffs Sohn durfte bleiben, andere Eltern mussten ihr Kind wieder mit nach Hause nehmen.
Eltern streiten vor der Kita-Tür, welches Kind rein darf
„Vor der Tür geht dann das Gehacke los. Wer hat mehr Recht auf Betreuung? Die mit der Vollzeitstelle oder mit dem Neugeborenen zu Hause?“ Er fragt sich, wie Alleinerziehende diesen Spagat meistern. „Wenn die keinen verständnisvollen Arbeitgeber haben, landen die in der Armut.“ Sarah Datta kann ebenfalls von unschönen Diskussionen berichten: „Da wird dann von anderen Eltern gefragt, wie man Kinder kriegen kann, wenn man ausschließlich auf institutionelle Betreuung angewiesen ist.“
„Das ist eine enorme Belastung für die Eltern, aber vor allem haben die Kinder einen stabilen Alltag verdient, ohne sich ständig fragen zu müssen, wer sie heute betreut“, sagt Daniela Heimann, die als Vorsitzende des Stadtelternrates mitbekommt, was an den Mülheimer Kitas los ist. Sieht sie einen Silberstreif am Horizont? Daniela Heimann winkt ab. „Das Land verweist auf die Kibiz-Reform. Die ist für 2026 angekündigt.“
Kurzfristig sieht sie vor allem zwei Stellschrauben, um die Situation zu entspannen. Die Personalverordnung sollte überarbeitet werden, um neben Erzieherinnen auch andere pädagogische Kräfte anrechnen lassen zu können. Daneben appelliert sie regelmäßig an die Stadt, die Berechnung der Kita-Beiträge zu überdenken.
Auch das ist bei Datta und Heckhoff ein enormer Frustpunkt. „Die Betreuung setzt aus, aber die Kita-Gebühren laufen weiter“, sagt der vierfache Vater. Einzige positive Entwicklung aktuell ist, dass die Finanzierung der Alltagshelfer erstmals für mehrere Jahre im Voraus gesichert ist. Aber auch da gibt es einen Kritikpunkt, den Sarah Datta erwähnt. Dadurch, dass der Maximalbetrag gesenkt wurde, seien in ihrer Kita manche Alltagshelfer möglicherweise dazu gezwungen, ab Januar Stunden zu reduzieren.
Mülheimer Eltern nehmen Erzieher-Teams in Schutz
Beide Eltern und auch Daniela Heimann sprechen unisono davon, dass eine frühkindliche Bildung in den Kitas schlicht nicht mehr stattfinde. „Das ist Aufbewahrung“, sagen die beiden Eltern unabhängig voneinander wortgleich. „Von Bildung spreche ich schon gar nicht mehr, sondern von Betreuung“, sagt Daniela Heimann vom Stadtelternrat.
Sarah Datta und Hendrik Heckhoff betonen beide, dass die Erzieher und Erzieherinnen in den Einrichtungen ihr Bestes geben. Die Probleme würden nicht in den Kitas gemacht, sie würden dort nur ausgebadet. Sarah Datta hat gemeinsam mit anderen Eltern ihrer Einrichtung eine Petition auf den Weg gebracht. Darin fordern die Eltern die Aufstockung personeller und materieller Ressourcen der Kindertageseinrichtungen und eine Rücknahme der Budgetkürzungen für Alltagshelfer.
Sowohl Kita-Leiterin Sabine Jansen als auch der Kita Zweckverband als Träger teilen auf Nachfrage mit, dass sie die Petition unterstützen. Als Träger bemühe man sich sehr, Fachkräfte zu finden. „Der Einsatz von Erziehern und Erzieherinnen aus dem Ausland ist eine von vielen dieser Maßnahmen. In allen Kindertageseinrichtungen werden Ausbildungsmöglichkeiten eröffnet, um junges Personal frühzeitig zu binden. Der Verband prüft unterschiedliche Arbeitszeitmodelle sowie Führung in Teilzeit. Außerdem unterstützt er die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams. Er betreibt digitales Recruiting“, heißt es dazu. An die Politik formuliert er den Wunsch, Quereinsteigern den Weg zu ebnen.
Mülheimerin sorgt sich: 2026 wird es noch enger
Sarah Datta sorgt sich, dass der Beruf der Erzieherin oder des Erziehers immer unbeliebter wird. Zudem fürchtet sie, dass sich die Probleme noch verschärfen, wenn 2026 der Rechtsanspruch auf OGS-Betreuung in den Schulen kommt und auch dort massenweise Fachkräfte gebraucht werden. Sarah Datta sagt: „Die Politik will doch, dass wir arbeiten. Wir sind elf Millionen Eltern in diesem Land. Wenn wir alle einen Tag lang nicht zur Arbeit gehen, vielleicht tut sich dann was.“
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