Mülheim. Traurig aktuell ist ein Stück, das die Theatergruppe KGI bei „Rausch 2“ zeigt. Das Thema: Antisemitismus. Warum die Zuschauer VR-Brillen tragen.
Das Thema, dem sich die Theatermacher von KGI („Büro für nicht übertragbare Angelegenheiten“) in ihrem neuen Stück widmen, hat gerade wieder traurige Aktualität erlangt. In „Escaping Heldenplatz“ geht es um den Antisemitismus. Der Blick richtet sich allerdings auf den Skandal, den ein Theaterstück von Thomas Bernhard 1988 in Wien entfachte. Der Autor klagt darin am Beispiel einer jüdischen Familie das immer noch große Ausmaß des Antisemitismus in Österreich an. Die Uraufführung von KGI findet im Theater an der Ruhr im Rahmen des Festivals „Rausch 2“ statt.
Die Inszenierung wagt sich an unbekannte Darstellungsformen, tragen die Zuschauer im letzten Drittel doch eine Virtual-Reality-Brille. KGI hat erstmals mit dieser neuen Technologie experimentiert – und sie, wie die Generalprobe zeigt, gewinnbringend angewandt. Zunächst jedoch nutzt man Auszüge aus Bernhards Text für konventionelles Spiel. Der Ort des Geschehens: das Speisezimmer der jüdischen Familie Schuster in Wien. Das Ereignis: ein Trauerfall. Prof. Schuster hat sich umgebracht, ist aus einem Fenster seiner Wohnung auf den Heldenplatz gesprungen.
Uraufführung in Mülheim: Virtual Reality im Theater
Auch interessant
Dieser Platz vor dem Wiener Burgtheater spielt eine zentrale Rolle in der Produktion: Dort verkündete Hitler 1938 vor der jubelnden Menge den „Anschluss Österreichs“, dort sollten 1988 auch die Proteste stattfinden gegen Bernhards zeitkritisches Drama „Heldenplatz“, das das österreichische Volk und den heimischen Kulturbetrieb der fortdauernden Judenfeindlichkeit bezichtigt. Prof. Schuster und seine Frau werden beim Blick aus dem Fenster tagtäglich an das Geschrei der Massen auf dem Heldenplatz erinnert, das hier stellvertretend für Judenhass und -verfolgung steht. Vergessen können die Eheleute nicht. Andere Juden verdrängen Vergangenheit (und Gegenwart), aber auch sie – wie etwa Onkel Robert Schuster – meinen: Der Antisemitismus ist „kein einmaliger Vorfall, sondern eine chronische Krankheit“ in der Alpenrepublik.
Die Produktion nutzt die Studiobühne im Theater an der Ruhr in ihrer ganzen Größe, auf Gazé-Vorhänge werden Texte oder Bilder projiziert, zwischendrin agieren die sechs Darsteller treffsicher, wenige Requisiten deuten die Wohnung der Familie Schuster an. Die Zuschauer sind nah dran am Geschehen, sitzen irgendwann sogar mit am Esstisch und essen Suppe. Das schafft eine spannende Unmittelbarkeit.
[ +++ Hier geht es zum Mülheimer Freizeitkalender. +++ ]
Installation als Dokumentation gehört zu Mülheimer Aufführung
Zum Schluss setzen die Zuschauer die VR-Brille auf und erleben so etwas wie einen surrealen Traum. Sie finden sich auf dem Heldenplatz wieder und im Foyer des Burgtheaters, wo ein Wolf herumstreift und getötete Nazis liegen. Mit ihrem Joystick können die Besucher sogar selbst handeln. Das ist unterhaltsam, aber manchmal auch erschreckend. Nach dem „rauschhaften Trip“ kann man auch noch eine installative Dokumentation in einem Nebenraum anschauen, sich noch weiter in das Thema vertiefen, das KGI multimedial und anschaulich auf die Bühne bringt.
Die Premiere am Donnerstag ist ausverkauft. Weitere Vorstellungen: 10. und 11. November, 20 Uhr, und 12. November, 18 Uhr. Die Besucherzahl ist begrenzt, man sollte rasch Karten kaufen unter Tel. 5990188, im Theater am Raffelberg oder der Touristinfo, Schollenstraße 1. Infos: www.theater-an-der-ruhr.de.