Mülheim. Seit 1961 lebt Adelgunde Zinkann in ihrer Mülheimer Wohnung. Zeitweise arbeitete sie heimlich als Tagesmutter. Dann kam ihr Ehemann dahinter.
Der Mietvertrag, der am 1. Mai 1961 in Kraft trat, lautet auf die „Eheleute Friedhelm Zinkann“. Es war die Zeit, in der oft nur die Namen der Männer auf den Klingelschildern standen, obwohl die Frauen ungleich häufiger zu Hause waren. Allein daran lässt sich ablesen, dass 62 Jahre eine wirklich lange Spanne sind. Adelgunde Zinkann wohnt immer noch im selben Haus auf der Auerstraße. Zweites Obergeschoss, rechts. Seit rund drei Jahrzehnten ist sie verwitwet.
Die Monatsmiete für 52 Quadratmeter betrug anfangs 67,30 D-Mark. Das junge Paar war überaus froh, ein gemeinsames Zuhause gefunden zu haben. „,Wir mussten heiraten, um eine Wohnung zu kriegen“, sagt Adelgunde Zinkann. Auch nach der Hochzeit - 1958 - lebten sie noch getrennt in ihren jeweiligen Elternhäusern. Bis es dann für viele gemeinsame Jahre nach Eppinghofen ging.
Mülheimerin zog 1961 in das Mehrfamilienhaus auf der Auerstraße
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Die Vermieterin, Karin Tremer, wohnt im ersten Obergeschoss. Sie kennt die Historie des Hauses, das einst ihr Großvater kaufte, und das im Krieg zerstört wurde. Beim Wiederaufbau, Mitte der fünfziger Jahre, habe es finanzielle Unterstützung der Stadt Mülheim gegeben sowie von Siemens und Thyssen, die im Gegenzug einzelne Wohnungen als Werkswohnungen nutzten. Bis in die späten 80er-Jahre hinein. Als Zinkanns einzogen, waren die Spuren der Bombenangriffe in diesem Bereich von Eppinghofen kaum noch sichtbar. „Vieles war schon wieder aufgebaut. Die Ecke hier war wirklich schön“, erinnert sich Adelgunde Zinkann (88).
Hinter der gegenüberliegenden Häuserzeile, zwischen Auerstraße und Bergischer Straße, liegt ein riesiger Garten oder winziger Park, wie man’s nimmt. Dort spielten die zahlreichen Kinder, die hier aufwuchsen. Auch das Haus, in dem Zinkanns wohnen, hat einen Garten, mittlerweile wurden auf allen Etagen Balkons angebaut. 1965 kam ihre Tochter Petra zur Welt, für die das Ehepaar später ein zusätzliches Mansardenzimmer anmietete.
Viele inhabergeführte Geschäfte gab es in Eppinghofen
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Das ehemalige Eppinghofen und die frühere Mülheimer Innenstadt mit vielen inhabergeführten Geschäften hat Adelgunde Zinkann noch lebhaft in Erinnerung. „Die Nahversorgung war super.“ Nebenan in der Falkstraße habe es eine Bäckerei und einen Metzger gegeben, gleich gegenüber ihrer Wohnung einen Lebensmittelladen, verschiedene Fachgeschäfte in den Bahnbögen - „und der Wochenmarkt war wirklich noch ein Markt“.
Die Familie, wie viele andere, lebte einfach, auf engem Raum. Das Badezimmer war anfangs mit einem Kesselboiler ausgestattet, in den Zimmern standen Kohleöfen. In späteren Jahren wurden sie erst durch Nachtspeichergeräte ersetzt, dann durch eine Fernwärmeheizung. Adelgunde Zinkann hatte während der sechs Jahrzehnte häufig Handwerker im Haus. Die Tochter sagt: „Ich habe hier eine wunderbare Kindheit verlebt. Wir hatten keine Computer, es gab kaum Autos, wir haben viel auf der Straße gespielt, und wir hatten Eltern, die sich immer gekümmert haben. Wir haben nichts vermisst.“
„Wir gucken uns nicht in die Pötte, aber wir helfen uns“
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Auch die Nachbarschaft sei eng und harmonisch gewesen, das Zusammenleben im Viertel anderes als jetzt. Ihre Mutter formuliert es so: „Wir gucken uns nicht in die Pötte, aber wir helfen uns gegenseitig.“ Vermieterin Karin Tremer erinnert sich an einen Herrn aus der Nachbarschaft, der ständig auf einem Stuhl an der Straße saß, dem nichts entging. „Er war die Zeitung von der Auerstraße.“ Mittlerweile sind etliche Häuser verkauft. „Die Menschen, die hier wohnen, haben viele unterschiedliche Nationalitäten“, sagt Petra Zinkann. „Wenn man da nicht was aus dem Boden stampft, zum Beispiel ein Nachbarschaftsfest, dann bleiben die Leute für sich.“
Eine ganz besondere Verbindung hatte Adelgunde Zinkann zur Familie ihres Hausarztes. Dessen Tochter arbeitete als Lehrerin und brauchte eine Tagesmutter für ihre kleinen Kinder. „Ich habe sie erst heimlich betreut“, berichtet die 88-Jährige. Ihr Mann, Maschinenschlosser, hatte ihr nach Geburt der gemeinsamen Tochter verboten, berufstätig zu sein. Auch das keine Seltenheit in der damaligen Zeit. Viele Frauen fügten sich. Dass Adelgunde Zinkann sich um die Enkelkinder des Hausarztes kümmerte, gegen Geld, kam durch einen Anruf heraus, den ihr Ehemann zufällig entgegennahm. Er war nicht begeistert. „Aber ich hab’ trotzdem weitergemacht. Dem fehlte doch gar nichts. Mittags, wenn er nach Hause kam, stand das Essen auf dem Tisch.“
Mit Rollator kommt die 88-Jährige noch bis an die Ruhr
Sie war damals schon eine gestandene Frau, Mitte Vierzig. Es sei eine schöne Zeit gewesen, jeden Tag mit den Kleinen auf den Spielplatz zu gehen. Die eigene Tochter war bereits ein Teenager. Mittlerweile ist der Bewegungsradius für Adelgunde Zinkann enger geworden, das Gehen recht mühsam, doch mit Rollator und einigen Pausen tragen ihre Beine sie noch bis in die Mülheimer City, bis hinunter an die Ruhr.
„Frau Zinkann ist für uns ein Glücksfall“, sagt die Vermieterin. Die 88-Jährige wirkt gutmütig und positiv, keine Frau, die sich ärgert und beklagt. Momentan kann sie das täglich beweisen, denn direkt über ihr wohnt eine junge Familie mit drei kleinen Kindern. Man hört sie oft toben, trappeln und klappern. Die Vermieterin findet das störend. Adelgunde Zinkann sagt nur: „Sind doch Kinder...“
Wir suchen die „dienstältesten“ Mieterinnen und Mieter in Mülheim. Wohnen Sie auch schon sehr lange im selben Haus, länger als Adelgunde Zinkann? Dann sind wir gespannt auf Ihre Geschichte. Schreiben Sie uns per Mail an redaktion.muelheim@waz.de oder an die WAZ-Redaktion, Wallstraße 3a, 45468 Mülheim, Telefon-Kontakt: 0208-44308-31.
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