Rhein und Ruhr. Pfarrer Christian Böckmann leitet zwei Mülheimer Großpfarreien und ist für 30.000 Katholiken zuständig. Ein Gespräch über das Priesterdasein.

Nur 13 Priesterweihen 2020 in ganz NRW: „Als ich 1990 in Köln zum Priester geweiht wurde, hatten wir allein nur für das Erzbistum Köln 25 Priesterweihen“, erinnert sich Christian Böckmann. Der 58-Jährige gebürtige Gelsenkirchener leitet seit drei Jahren zwei Großpfarreien in Mülheim. Er weiß, dass es für die katholische Kirche schwieriger wird, junge Männer für den Priesterberuf zu gewinnen. Die Arbeit hat sich verändert – auch angesichts der Entwicklung in den Gemeinden vor dem Hintergrund steigender Zahlen von Kirchenaustritten und sinkender Kirchensteuereinnahmen. Allein im Ruhrbistum wurde die Zahl der Pfarreien von rund 270 durch Fusionen auf 42 Großpfarreien verringert. Pfarrer Böckmann hat den Priesterberuf noch anders erlebt.

„Auf Kohle geboren“ wuchs er in Buer auf, war Messdiener, mit 16 im Pfarrgemeinderat, an Philosophie und Theologie interessiert. „Damals zählten etwa 3000 Katholiken zur Gemeinde, es gab zwei Priester“, erinnert sich Christian Böckmann. Er hat ist heute als Leiter von St. Mariä Himmelfahrt in Saarn und St. Barbara in Dümpten für 30.000 Katholiken zuständig. Dass er da nicht 18 Gottesdienste, die an einem normalen Sonntag in elf Kirchengemeinden anstehen, selbst halten kann, versteht sich. Zwei Pastoralteams mit neun Leuten stehen ihm zur Seite.

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Wie im Bistum Essen müssen auch die anderen Bistümer in NRW neue Wege finden, dem Priestermangel entgegen zu wirken. Im Bistum Aachen etwa gab es im Jahr 2000 noch 489 Priester, heute sind es 216. Auch im Bistum Münster ist die Zahl der Priester deutlich zurückgegangen, von 800 auf 380. „Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2030 noch etwa 200 Diözesanpriester im aktiven Dienst tätig sein werden und im Jahr 2040 noch 100“, erklärt ein Bistumssprecher. Dies wirkt sich auf die Arbeit der Priester in den Pfarreien aus. Im Bistum Münster wird erstmals eine Pfarrei, die St. Willibrord-Pfarrei in Kleve von haupt- und ehrenamtlichen Mitgliedern, Männern und Frauen, geführt. Im Bistum Essen leiten zwei Gemeindereferentinnen die St. Josef-Pfarrei. Kirchenrechtlich notwendige Aufgaben übernimmt ein Priester einer anderen Pfarrei.

Weniger Kontakt zu den einzelnen Gemeindemitgliedern

Beispiele wie diese zeigen, wie sich die Pfarreiarbeit gewandelt hat. Auch für Pfarrer Christian Böckmann ist der Blick ein anderer geworden. Ihm ist es aber wichtig, in allen Gemeinden trotz aller Aufgaben präsent zu sein. „Ich versuche, in jeder Kirche einen Gottesdienst zu halten“ – im Wechsel. Natürlich habe er nicht mehr den Kontakt zu allen Gemeindemitgliedern. Eine Nähe, wie er sie in seinen Anfangsjahren als Kaplan und auch in seiner ersten Pfarrei erlebt hat, kann es nicht geben. „Als ich früher samstags um 8.30 Uhr in Buer auf den Markt ging, war ich nachmittags erst wieder zu Hause gewesen. Für fünf Teile, die ich gekauft habe. Aber man ist schnell ins Gespräch gekommen, wurde auf einen Kaffee eingeladen, kam ins Plaudern“, erzählt Christian Böckmann. „Das Überschaubare ist heute nicht mehr“, bedauert der Pfarrer. Der Stress nehme zu, „wenn man fünf Beerdigungen hat, hat man auch fünf Kondolenzgespräche“, nennt Pfarrer Böckmann nur ein Beispiel.

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Früher hatte er als Priester die kleine Gemeinde alleine geführt: Finanzen, Personalfragen, Seelsorge, Beerdigungen, Hochzeiten, Taufen… „Heute habe ich zwar die Verantwortung für die Finanzen, aber es gibt in jeder Pfarrei eine Verwaltungsleitung, die mich da entlastet. Ich bin ja auch kein Kaufmann.“ Und: Er manage auch kein Unternehmen. Er sei zwar zuständig für etwa 40 Leute, aber im Sinne des „christlichen Geistes“. Nach wie vor will er aus seinen beiden Pfarrbüros, eines im Kloster Saarn und eines in Dümpten, den Kontakt in die Gemeinden halten.

Strukturveränderungen verantwortet der Bischof

Lange war Christian Böckmann nicht klar, dass er Priester werden würde. Während des Theologiestudium, unter anderem in Regensburg und Köln, überwog aber neben der Wissenschaft doch die geistliche Frage und der Wunsch, „für die Menschen da zu sein“. Dies war er lange Jahre zunächst als Gemeindeseelsorger in Buer und als Krankenhausseelsorger am Uni-Klinikum in Essen, ein für ihn „starker Bereich der Seelsorge, in dem man vielen Menschen in Krisen begegnet“.

Christian Böckmann weiß, dass es noch ein langer Weg für die Gemeinden ist, sich in den neuen Strukturen zu finden. 2007 wurde die erste Phase der Strukturveränderungen im Bistum Essen „von oben“ angestoßen. „Und das ist gut so. Die Verantwortung hatte der Bischof.“ Nicht alle Kirchenmitglieder waren begeistert. Doch der Schritt sei notwendig gewesen. Genauso wichtig sei nun, dass die Gemeinden im 2014 begonnenen Pfarrei-Entwicklungsprozess vor Ort entscheiden, wie sie ihr Christsein unter den neuen Bedingungen leben möchten, welche Schwerpunkte die Pfarreien setzen wollen.

Pfarrer Christian Böckman hat als Leiter zweiter Großpfarreien in Mülheim, St. Mariä Himmelfahrt in Saarn und St. Barbara in Dümpten, auch zwei Pfarrbüros, eines ist im Kloster Saarn.
Pfarrer Christian Böckman hat als Leiter zweiter Großpfarreien in Mülheim, St. Mariä Himmelfahrt in Saarn und St. Barbara in Dümpten, auch zwei Pfarrbüros, eines ist im Kloster Saarn. © FFS | Foto: Lars Heidrich

Es sei schmerzhaft, wenn Kirchengebäude aufgegeben werden müssen, „weil wir uns die nicht mehr leisten können. Und wir haben in dem Prozess viele Mitglieder verloren“. Aber manche Gründe könne er nicht nachvollziehen, beispielsweise „wenn jemand sagt, ich will meinen Gottesdienst um 10 Uhr sonntags haben’ und nicht akzeptiert, dass die Messe künftig um 11 Uhr stattfinden muss.“ Die große Aufgabe sei es, zur Eigenständigkeit und Verantwortung zu befähigen, zum Beispiel für Wortgottesfeiern, Begräbnisdienste. Kirche lebe „stark vom Engagement der Frauen und Männer“. Er habe die Pfarreien „sehr selbstbewusst“ erlebt, sagt Pfarrer Böckmann. „Ich wünsche mir, dass es da weitergeht, dass den Frauen von der Kirche mehr zugetraut wird. Die Entwicklung vor Ort ist viel weiter als in der öffentlichen Wahrnehmung.“

Angemietete Wohnung statt Pfarrhaus

Gut verstehen könne er den „Unmut“ über den Missbrauchsskandals und dessen Aufarbeitung. Die Austrittswelle der vergangenen Monate sei „schmerzhaft.“ Vor 30 Jahren habe man sich erklären müssen, „wenn man aus der Kirche ausgetreten ist, heute, wenn Sie in der Kirche sind“, spitzt Christian Böckmann zu. Ein bisschen vermisse er es, nicht in allen Kirchen so präsent sein zu können, wie er es zu Beginn seines Berufslebens gelebt hat. Eine seiner wichtigsten Aufgaben nun sieht er darin, „für die Einheit in elf Kirchen zu sorgen“. Und weil er für alle gleich da sein will, hat er sich auch gegen eine Wohnung in einem Pfarrhaus entschieden und sich eine Wohnung angemietet. Es solle nicht der Eindruck entstehen, „dass ich eine Gemeinde bevorzuge“.