Düsseldorf. So will die Landesjugendpfarrerin der evangelischen Kirche in Rheinland, Tuulia Telle-Steuber, junge Menschen wieder in die Kirchen bekommen.

Zuhören! „Wir müssen Kinder ernstnehmen. Und ihnen Freiräume geben, sich zu entfalten“. Tuulia Telle-Steuber, neue Landesjugendpfarrerin der Evangelischen Kirche im Rheinland, ist überzeugt, dass Kinder und Jugendliche in der Kirche einen Ort der Heimat finden können. Sie selbst wurde durch die Gemeindearbeit, die sie als Kind erlebt hat, sehr geprägt. Die Mutter ist Finnin, „dadurch bin ich zweisprachig und auch in zwei sehr aktiven Gemeinden aufgewachsen“, blickt die 45-Jährige im Gespräch mit der NRZ zurück.

Die finnische Gemeinde in Köln „ist eine sehr lebendige“, sagt die Theologin. Und auch in der evangelischen Ortsgemeinde war Tuulia Telle-Steuber früh mittendrin in der kirchlichen Jugendarbeit: Ferienfreizeiten, deutsch-finnische Jugendtreffen, Bandleben.

Über den Tellerrand schauen

Auch während ihres Studiums blieb Finnland eine wichtige Station für sie. Ein Jahr studierte sie in Helsinki. In dem skandinavischen Land werde die Bürgerbeteiligung groß geschrieben. Der Blick über den Tellerrand ist Tuulia Telle-Steuber wichtig, „um zu sehen, was woanders gelungen ist, um daraus zu lernen.“ Im englischen Norfolk etwa, so erfuhr sie bei einem Fachtag, ginge Jugendbeteiligung so weit, dass Kinder und Jugendliche sogar bei Personalentscheidungen mitreden. „Warum sollten nicht auch wir mehr Partizipation wagen?“, so Telle-Steuber. Der neuen Landesjugendpfarrerin, die seit Mai im Amt ist, coronabedingt aber jetzt erst in Düsseldorf offiziell in ihr Amt eingeführt wurde, ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche ihre Perspektive in den Gemeinde-Prozess einbringen können.

Durch den offnen Ganztag und lange Schultage fällt viel freie Zeit weg

Letzteres werde schwieriger, weil sich die Struktur des Alltag der Kinder verändert hat. „Wenn sie im offenen Ganztag sind, bis in den Nachmittag Schule haben, fällt viel freie Zeit weg.“ Ein komplett durchgetakteter Tag sei schon für Erwachsene schwierig. Für Kinder umso mehr. Deshalb sei es Aufgabe der Kirche zu schauen, „wie wir in diesen Alltag mit unserer Jugendarbeit hineinkommen“, sagt die Landesjugendpfarrerin, selbst Mutter zweier Kinder. Wie ist das Miteinander von Schule und der evangelischen Jugendarbeit? Können Angebote der Kirche in den offenen Ganztag integriert werden? Fragen, auf die in den 37 Kirchenkreisen der evangelischen Kirche im Rheinland Antworten zu finden sind.

Ein erster Ansatz, dass Jugend in der Kirche sichtbarer wird, sei: Jedes Presbyterium soll seit März diesen Jahres zusätzlich einen jungen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren berufen. Dies erfordere auch ein Umdenken in der Planung von Sitzungen, „ein 14-Jähriger kann natürlich nicht bis Mitternacht tagen.“ Aber Schritte wie diese, seien wichtig für eine Kirche, die sich für junge Menschen öffnet. Offenheit sei ein grundlegendes Kennzeichen evangelischer Jugendarbeit.

Es geht nicht nur Bibelgeschichten

„Die jungen Menschen sollen sich in den Jugendräumen entfalten können, einfach mal was ausprobieren, ohne ein Ziel zu haben, dass sie erfüllen müssen“, erklärt Tuulia Telle-Steuber. Wie gut dies klappen kann, zeige sich bei den Krippenspielen zu Weihnachten. „Da machen oft junge Menschen mit, die sonst stiller sind, und sich nie trauen würden, auf eine Bühne zu gehen.“

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In der Jugendarbeit gehe es gar nicht so sehr um Bibelgeschichten, sondern vielmehr auch um „Hausaufgabenhilfe, Sozialarbeit und manchmal auch ein warmes Mittagessen.“ Vieles von dem fiel im Corona-Jahr weg. Erste Studien zeigen: Die Zahl von Kindern, die Depressionen bekommen haben, ist gestiegen. „Die Bedürfnisse der Kinder wurden erst gar nicht gesehen. Rituale zu erleben und eine feste Formen von Gemeinschaft, die trägt, ist für Kinder wichtig“, sagt Tuulia Telle-Steuber, die auch Leiterin des Amtes für Jugendarbeit der evangelischen Kirche im Rheinland ist. Sie erzählt von ihrer Tochter, die aus der Kita kam und sagte: „Mama es ist ein Wunder geschehen. Wir durften heute wieder unser Essen alleine auftun.“ Wieder selbst bestimmen können, wie viel man essen will – Kinder ernst zu nehmen, fange mit kleinen Dingen an.

Parcours statt Gottesdienst

Die Landesjugendpfarrerin sieht sich als „Sprachrohr für die Jugend“ – auch in Gesprächen mit der Politik. Rund 665.000 Mitglieder zählt die Evangelische Kirche im Rheinland in der Altersklasse bis 29 Jahren. Sie sollen den „christlichen Glauben als eine Kraft erfahren, die mitten ins Leben gehört.“ Sprache und Formen müssten zu Jugendlichen passen. In Aachen und Düsseldorf gebe es eine sehr aktive Jugendkirche. Diese biete in Düsseldorf beispielsweise einen Parcours mit spirituellen Aspekten an. Gottesdienste mit Predigten und klassischer Orgelmusik seien für viele Jugendliche nicht mehr ansprechend. Es gebe viele Ausdrucksformen von Spiritualität. Die Kirche müsse neue Wege gehen - auch vor dem Hintergrund von Zusammenlegungen von Gemeinden, schwindenden Kirchensteuereinnahmen und unbesetzten Stellen in den Pfarrgemeinden. Ohne das ehrenamtliche Engagement von 120.000 Aktiven in der Evangelischen Jugendarbeit im Rheinland wäre vieles nicht möglich.

Ein Erschwernis: Nicht selten bleiben Gemeindepädagogen-Stellen länger unbesetzt. „Man muss aber auch sehen: 15 Stunden auf zwei Jahre befristet, das ist nicht attraktiv, da findet man keinen“, sagt die Wuppertalerin. Hinzu komme: „Es gibt nicht viele Unis, die im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit speziell ausbilden.“ Hier will Tuulia Telle-Steuber ansetzen. Qualifikation und Weiterbildung könnten jungen Menschen berufliche Wege öffnen. Schließlich habe das jüngst verabschiedete Positionspapier 2030 der evangelischen Kirche im Rheinland die „Stärkung der jungen Gemeinde festgelegt“.

Das Kirchturmdenken von einst funktioniere nicht mehr: „Wir müssen größer denken, Experimente wagen, neue Erprobungsräume schaffen. Mit den Jugendlichen. Gleichberechtigt.“