Moers. Die Stimmung in Moers ist durch den Nahost-Krieg angespannt. In einer hitzigen Diskussion konnten Christen und Muslime ihrer Wut Luft machen.

Mit seiner Einladung zum Bürgermeistergespräch unter dem Titel „Christen, Muslime, Juden: Wege zur Vermeidung von Konflikten in Deutschland“ scheint Christoph Fleischhauer einen Nerv getroffen zu haben: Bis auf den letzten Platz füllte sich der 80 Personen fassende Rittersaal des Moerser Schlosses am Mittwochabend – die Zahl der Anfragen war sogar noch höher. Vertreterinnen und Vertreter der Moerser Kommunalpolitik, der muslimischen Ditib-Gemeinden, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und zahlreiche Bürgerinnen und Bürger aus Moers folgten dem Aufruf zur gemeinsamen Gesprächsrunde.

Emotional sollen die bis zu 90 Sekunden langen Redebeiträge werden, manchmal dürfen sie sogar weh tun – allerdings immer über der Gürtellinie, forderte Fleischhauer. Er selbst zeigte sich „geschockt“ über den spürbaren Hass in der Gesellschaft, etwa bei den Demonstrationen in Essen oder Düsseldorf. Den Austausch über Community-Grenzen hinweg sieht der Moerser Bürgermeister als einzigen Weg, den Krieg aufzuarbeiten. „Es gibt Verluste auf beiden Seiten, in dieser großen emotionalen Last sehe ich eine Gemeinsamkeit.“

Israel-Flagge vor Moerser Rathaus: Wunsch nach Palästina- oder Friedensfahne

Hiernach musste sich Fleischhauer gleich der Frage stellen, warum er vor dem Moerser Rathaus einzig die israelische Flagge hissen ließ, nicht aber die palästinensische oder eine Friedensfahne. „Diese Entscheidung ist ein Grund für die Wut vieler Menschen. So fühlt sich Ihr Mitgefühl für die Opfer beider Seiten nicht echt an“, äußerte sich etwa eine Moerserin muslimischen Glaubens. Der Bürgermeister entgegnete, er habe nach dem größten Genozid an den Juden seit dem Dritten Reich aus historischer Verantwortung und persönlicher Überzeugung keine andere Möglichkeit gesehen und stehe weiter zu seinem Beschluss.

Die Zerstörung der israelischen Flagge nach nicht einmal einem Tag verurteilten die anwesenden muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger scharf und übereinstimmend. „Das ist eine Beleidigung für den Stolz des Volkes Israels“, formulierte es eine Gesprächsteilnehmerin exemplarisch.

Vandalismus an Moerser Kirche: „Inakzeptabler Angriff gegen Gotteshaus“

Gesprächsbedarf boten ebenso die Schmierereien an der katholischen Martinuskirche in Repelen. Vor etwa einem Monat hatten Unbekannte unter anderem die Botschaft „Der Islam wird siegen“ auf die Kirchtür gesprüht. Als Reaktion auf die Hassbotschaften hatte Konrad Göke auch die muslimischen Gemeinden in Moers zu einer gemeinsamen Friedensandacht eingeladen. „Ich habe es sehr bedauert, dass sich die Ditib-Moscheen nicht an der Andacht beteiligt haben“, sagte der SPD-Ratsherr.

Der Vorsitzende der Ditib-Moschee an der Römerstraße, Ergin Orhan, bezeichnete den Vandalismus an der Martinuskirche als „inakzeptablen Angriff gegen ein Gotteshaus“. Eine abschließende Begründung für die Andacht-Absage lieferte das etwa zweieinhalbstündige Gespräch aber nicht. Ein anderer Teilnehmer lieferte aber zumindest einen Erklärungsansatz: „Wir Muslime sind für den Dialog. Aber wir werden oft unter Generalverdacht gestellt und fühlen uns zu einer Rechtfertigung gedrängt, wenn wir uns gegen Gewalt positionieren sollen.“

Moerser Muslime verurteilen Hamas – und kritisieren Regierung Israels

Die anwesenden Moerserinnen und Moerser muslimischen Glaubens betonten mit großem emotionalen Nachdruck, die Taten der Terrororganisation Hamas zu verurteilen. Gleichwohl forderten sie die Möglichkeit ein, auch das Handeln der Regierung Israels kritisieren zu dürfen, ohne gleich als Antisemiten abgestempelt zu werden.

„Auf beiden Seiten fehlt es anscheinend an Mitgefühl“, lautete das Fazit einer Moerserin. Ratsfrau Anja Reutlinger, die in Meerbeck in regem Kontakt mit der muslimischen Community steht, resümierte, dass sich die gesamte Stadtgesellschaft stärker gegen Islamfeindlichkeit wehren müsse. Zuvor hatte eine Bürgerin angesprochen, dass sie in Moers zunehmend für das Tragen ihres Kopftuchs angefeindet werde.

Zwar verließen einige Teilnehmer, die auf ein konkretes Konzept für friedliches Zusammenleben der verschiedenen Religionen gehofft hatten, das Gespräch mit enttäuschten Erwartungen. Der Großteil der Gäste im Rittersaal bedankte sich allerdings für die Einladung zum Dialog. Für die Erarbeitung eines Konzeptes will der Bürgermeister Anfang 2024 zu einer weiteren Veranstaltung einladen.