Neukirchen-Vluyn/Kreis Wesel. Im Stadtgespräch beleuchteten Verwaltung, Landwirte, Bürgerinitiative und BUND alle Probleme, die mit einem erweiterten Kiesabbau im Kreis drohen.
In der Debatte um die massive Erweiterung der Kiesabbauflächen im Kreis Wesel kämpfen die Konfliktparteien um die Deutungshoheit. Kurz vor der Abgrabungskonferenz in Essen am Mittwoch, 6. Oktober, informierte die Stadt Neukirchen-Vluyn über die Gefahr, die von dem RVR-Landesentwicklungsplan besonders hinsichtlich der Ausweitung der Abgrabungsflächen auf Stadt- und Kreisgebiet ausgeht. In dem mit der VHS entwickelten Format „Stadtgespräch“ beleuchtete Bürgermeister Ralf Köpke gemeinsam mit Landwirten, der BUND-Kreisgruppe Wesel und der Bürgerinitiative „Mitgestalten-NV“ sämtliche Gefährdungen durch den Kiesabbau.
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Petra Schmidt-Niersmann von der BUND-Kreisgruppe Wesel etwa stellte die Filterwirkung von Kies- und Sand heraus, die für die hohe Qualität des Rohwassers, das zu Trinkwasser aufbereitet wird, sorgt und zitierte aus dem Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das von der Bundesregierung unter anderem fordert, dass ein „verantwortungsvoller Umgang mit endlichen Ressourcen unverzüglich umzusetzen“ sei. Das Urteil sei eingeschlagen wie „eine Bombe“ und müsse auch in der Klage des Kreises und der Städte gegen das Land berücksichtigt werden, so Schmidt-Niersmann weiter. Ralf Köpke sagte in dem Zusammenhang, dass sich alle Bürgermeister mit dem Landrat einig seien, dass man eine mündliche Verhandlung wünsche. Das Oberverwaltungsgericht Münster, dessen Erster Senat über die Klage befindet, hatte allen Parteien angeboten, ein Urteil ohne Verhandlung zu fällen. Das wolle man aber nicht, so Köpke, zumal das Urteil laut Bürgermeister letztinstanzlich wäre.
Schmidt-Niersmann fordert darüber hinaus ein einheitliches EU-Abbaurecht für die Kiesgewinnung. Diese Art des Kiesabbaus sei in den Niederlanden gar nicht möglich, dafür gründeten niederländische Firmen deutsche Gesellschaften und bauten Kies am Niederrhein ab, so das BUND-Mitglied weiter, das auch auf die Ökologie abstellte, die „in hohem Maße zerstört“ werde. Bei den Kompensationen könne man nie von „Renaturierung, sondern nur von Rekompensierung“ sprechen, durch die beheimatete Tiere vertrieben und neue Tierarten angesiedelt würden. Und das führe zu weiteren Problemen.
Zum Beispiel für die Landwirtschaft, wie André Krohn erklärte. Durch die künstlichen Seen siedelten sich Gänse und andere Vögel an, die die Felder durch Fraß und Kot zerstörten, so der Landwirt. Abgesehen davon, dass die derzeitige Planung „auf einen Schlag“ 180 Hektar sehr wertvolle Agrarfläche allein in Neukirchen-Vluyn zerstöre, auf der alle gängigen Ackerkulturen angebaut werden könnten. Im gesamten Kreis Wesel könne auf einmal eine riesige hochwertige Ackerfläche für den Anbau von regionalen Lebensmitteln verschwinden.
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Auch dass viele Landwirte gar nicht mehr Eigentümer, sondern Pächter der Flächen sei, nennt Krohn als Problem. Von denjenigen, die noch im Eigentum von Flächen seien, gebe es zwar schon noch einige, die einen Verkauf kategorisch ablehnten. Wie viele Flächen am Ende aber doch im Verkauf landeten, könne man nicht sagen. Der Bürgermeister befindet sich laut eigener Aussage indes bereits im Gespräch mit Eigentümern. Bislang gebe es noch keine verkauften Flächen, so Ralf Köpke, der allerdings von bereits kursierenden Gerüchten über angebliche Vorverträge berichtete.
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Um die Stadt vor dem weiteren Kiesabbau zu bewahren, wäre der Bürgermeister auch bereit, Flächen zu kaufen. Eine Frage aus dem Publikum quittierte Ralf Köpke mit einem eindeutigen „Ja“ und holte sich per Kopfnicken die Zustimmung der Ratsfraktionen, die ebenfalls zum Stadtgespräch gekommen waren.
„Die meisten Mitglieder im Ruhrparlament interessieren sich nicht die Bohne für den Kiesabbau“, sagte Bürgermeister Ralf Köpke beim Stadtgespräch und kündigte einen engen Schulterschluss zwischen Stadt, Fraktionen, Landwirten und Bürgerinitiative an, um den weiteren Abbau zu verhindern. Unter anderem gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich fortwährend mit dem Thema befasst. Auch weitere juristische Schritte werden demnach geprüft.
„Wir brauchen die Flächen für unsere Zukunft“ und nicht mehr für eine Industrie, die Milliarden bekomme und nichts zurückgebe, bekräftigte Nadia Riggio von der Bürgerinitiative „Mitgestalten-NV“.
Wenn am Mittwoch, 6. Oktober, die Abgrabungskonferenz tagt, treffen sich alle Bürgerinitiativen, die sich unter „Niederrheinappell“ zusammengeschlossen haben sowie Bürgermeister, Politiker und Bürgerinnen und Bürger von 16 bis 18 Uhr zu einer Gegenveranstaltung auf dem Rathausplatz in Kamp-Lintfort, um über die Kiespläne und die damit einhergehenden Gefahren informieren.