Neukirchen-Vluyn. Der Neukirchen-Vluyner Bürgermeister Ralf Köpke ist jetzt 100 Tage im Amt. Auf der Agenda standen viele Termine und Themen. Jetzt geht es weiter.

Die vergangenen Monate sind nicht einfach gewesen. Die Corona-Pandemie hat die Bevölkerung weiter herausgefordert. Und Stadt befindet sich in der Haushaltssicherung. In dieser Phase hat Ralf Köpke im November des vergangenen Jahres das Bürgermeisteramt übernommen. NRZ-Redakteurin Sonja Volkmann hat den 60-Jährigen zur Situation befragt.

Die ersten 100 Tage sind rum. Fühlt sich das eher an wie zehn oder wie 1000 Tage?

Ehrlich gesagt bin ich erstaunt, dass die ersten 100 Tage im Amt schon rum sind. Die Zeit ist unheimlich schnell vergangen. Ich war bereits ab dem ersten Tag gefordert, mich mit der Verwaltung und den anstehenden Aufgaben vertraut zu machen und mich einzubringen. Ich habe auf den Kalender geguckt, am 1. November habe ich angefangen, jetzt haben wir Anfang Februar. Das ist eine Herausforderung, der ich mich gerne gestellt habe. Insoweit, wenn Sie mich nach meinen Gefühlen fragen, dann blicke ich auf spannende Wochen, viele Termine und diverse Themen zurück.

Was war in der Zeit das eindrucksvollste Erlebnis?

Eindrucksvoll war, wie positiv ich überall aufgenommen worden bin. Ich wusste, es ist eine große Aufgabe mit ca. 300 Beschäftigten in der Verwaltung. Insofern musste ich in den vergangenen Wochen von Termin zu Termin und von Thema zu Thema springen. Bauprojekte, Ordnungsangelegenheiten und nicht zuletzt alles rund um Corona. Die meisten Gespräche, die ich bislang geführt habe, waren von einer sehr großen Wertschätzung geprägt. Es ist mir daher ein großes Anliegen, diesem Vorschuss an Vertrauen auch gerecht zu werden.

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Welche drängenden Aspekte sind denn auf der Aufgabenliste aufgetaucht, mit denen Sie nicht gerechnet hatten?

Theoretisch habe ich mit vielen Themen gerechnet, aber in der Intensität gleich zu Beginn habe ich das nicht erwartet. Auch wenn ich mir natürlich der Auswirkungen der pandemischen Lage bewusst war, so hat es mich doch erstaunt, wie sehr diese die Arbeit der Verwaltung aktuell prägt und wie viel zeitliche und personelle Ressourcen hierdurch gebunden und gefordert sind.

Erdrückt das?

Nein, das spornt an. Ich bin jemand, der gerne arbeitet und sich in Themen einarbeitet. Das sind alles Herausforderungen. Es ist viel. Ich bin manchmal zehn bis zwölf Stunden im Rathaus oder unterwegs. Aber ich habe den Willen, hier in den nächsten Jahren etwas zu bewirken. Und am Ende des Tages kann ich immer noch lachen, wenn ich zuhause bin. Das ist wichtig.

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Und wie ist die Stimmung im Rathaus?

Die ist richtig gut. Wir haben gute Leute hier. Leider habe ich angesichts der Corona-Pandemie noch nicht mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sprechen können, das finde ich schade. Es ist mir ein besonderes Anliegen, in den nächsten Wochen und Monaten vermehrt auf die Mitarbeitenden zuzugehen und zumindest kurze Austausche zu suchen. Insbesondere will ich natürlich auch nochmal die Außenstellen, wie den Baubetriebshof, aber auch die Kindertageseinrichtungen besuchen.

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Wie steht es Ihrer Meinung nach um die digitale Entwicklung in Neukirchen-Vluyn?

Ich freue mich sehr, dass ich die digitale Entwicklung im Hinblick auf das Thema Smart City von Beginn an begleiten und steuern darf. Gleiches gilt natürlich für die Weiterentwicklung des Digitalisierungsprozesses innerhalb der Verwaltung. Die pandemische Entwicklung hat hier deutlich gemacht, wie wichtig der Digitalisierungsprozess ist, aber auch, wo noch große Defizite bestehen. Insoweit begrüße ich es sehr, dass auch von Seiten des Rates die Thematik mit der Einrichtung eines Ausschusses derart aufgewertet wird. Wir haben an dieser Stelle durch den Prozess der „Global Nachhaltigen Kommune“ schon eine gute Basis geschaffen, auf der sich der Digitalisierungsprozess hervorragend aufsetzen lässt. Bei der Frage, wie man eine digitale, vernetzte Stadt der Zukunft gestaltet, muss man insbesondere auch die soziale Teilhabe mitdenken. Wenn zum Beispiel 2500 Menschen in der Stadt über 80 sind und ein Großteil keinen Zugang zur Technik hat, wird klar, dass man die Frage mitnehmen muss, welche Auswirkungen Digitalisierungsprozesse auf die soziale Gerechtigkeit und Teilhabe haben.

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Inwiefern trifft Corona sozial benachteiligte Menschen noch einmal mehr?

Erschreckend für mich sind die langen Schlangen an der Tafel. Ich glaube, dass die Corona-Krise die soziale Ungleichheit hier richtig deutlich zutage treten lässt. Das ist bitter.

Was wird Ihnen vonseiten der Gewerbetreibenden und Arbeitnehmer gespiegelt?

Es ist, wie ich erwartet hatte. Den ersten Lockdown haben noch viele auch finanziell überstanden. Jetzt dauert es aber so lange, dass viele existenzielle Probleme bekommen. Ich habe mit Gewerbetreibenden gesprochen, die mittlerweile ihre Altersvorsorge aufgebraucht haben, um zu überleben. Dazu haben wir Leute, die seit Monaten in Kurzarbeit sind, mit 60 Prozent des Gehaltes auskommen. Das hat enorme Auswirkungen auf die Familien. Dieser soziale Sprengstoff kommt gerade hoch. Das nimmt mich mit, weil ich und die Stadt nicht viel tun können. Wir können die Gewerbesteuer stunden und tun das. Gleichwohl wenden sich die Bürgerinnen und Bürger an mich.

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Was ist Ihnen am schwersten gefallen?

Die Umschreibung „schwer gefallen“ trifft es aus meiner Sicht nicht. Ich habe natürlich lernen müssen, dass man nicht allen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger komplett Rechnung tragen kann. Oft treffe ich hier auf Rahmenbedingungen, die auch mir als Bürgermeister keinen oder nur wenig Handlungsspielraum lassen.

Sprechen wir über Ihren 100-Tage-Plan. Unter anderem hieß es: Strukturen anschauen, mit Nachbarkommunen Kontakt knüpfen, bezahlbaren Wohnraum in den Blick nehmen, den Vertrag für das Kreativquartier abschließen. Wo ist ein Häkchen dran?

Im Hinblick auf den Vertrag für das Kreativ Quartier kann ich lediglich eine unterstützende positive Begleitung des Verfahrens sicherstellen, die Stadt ist hier ja nicht Vertragspartner. Hier habe ich bereits diverse Gespräche geführt, die eine positive Ergebnislage verheißen. An die anderen genannten Punkte können Sie ein Häkchen machen, Gespräche mit Nachbarkommunen und zu bezahlbarem Wohnraum. Gleichwohl ist es natürlich in den ersten 100 Tagen nur möglich, einen ersten Überblick zu gewinnen. Sukzessive werde ich mich jetzt den unterschiedlichen anstehenden Projekten und Themen tiefergehend widmen.

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Ein akutes Thema ist das Neukircher Feld. Die Ratsentscheidung, die Planungen zu stoppen, polarisiert. Wie bewerten Sie die Gemengelage und was sind Ihre nächsten Schritte?

Grundsätzlich bringe ich viel Verständnis auf für demokratische Prozesse und hieraus resultierende Entscheidungen. Im Ergebnis verbleibt mir hier ja auch nur, die politischen Beschlüsse umzusetzen. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass man die Angelegenheit in einem ersten Schritt mit allen Beteiligten erörtert, um möglichst eine einvernehmliche Lösung zu finden. Jetzt hat der Rat mehrheitlich die Planungen gestoppt. Meine Einflussnahme auf das weitere Verfahren reduziert sich nunmehr auf die Abwicklung weiterer Beschlusslagen.

Sie wollten das Thema Wirtschaft zur Chefsache machen. Haben Sie das? Was heißt das eigentlich konkret? Und was steht als nächstes auf der Liste?

Ich habe mit dem Technischen Beigeordneten zunächst geschaut, welche Gewerbeflächen wir hier haben. Mein Ziel ist es, mehr Unternehmen nach Neukirchen-Vluyn zu holen. Wir haben nicht viele, aber wir haben noch Gewerbeflächen. Im November bin ich zur Unternehmerschaft Niederrhein nach Krefeld gefahren. Die vertreten 800 Unternehmen am Niederrhein. Wirtschaftsförderung ist Chefsache: Wir müssen den ansässigen Unternehmen gute Rahmenbedingungen bieten und neue ansiedeln. Ich habe ein langes Gespräch mit der IHK geführt und soweit es coronabedingt geht, einige Unternehmen besucht. Wir brauchen ein Klima, in dem sich die Unternehmen wohlfühlen. Gerade in der Haushaltssicherung benötigen wir natürlich auch die Wirtschaftskraft.

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Wo gibt es noch Flächen?

Auf Niederberg ist ein bisschen Rest vorhanden. Genend ist zu 95 Prozent voll. Und was noch da ist, ist reserviert. Wir haben noch Flächen auf der gegenüberliegenden Seite von Toom. Und es gibt Ideen und Vorstellungen. Bei Gesprächen mit den Wir4-Städten. Hier sind Flächen identifiziert worden, in Moers und Kamp-Lintfort zum Beispiel. Vielleicht hilft das Konstrukt von Wir4 zur gemeinsamen Strategie und Umsetzung ähnlich wie im Genend. Wir sind eine global nachhaltige Kommune. Den Prozess finde ich super. Das heißt: Wenn wir Gewerbe ansiedeln, werden wir nicht nur die Klimarelevanz, sondern die Nachhaltigkeit einbeziehen. Solardächer sind denkbar oder die Begrünung von Dächern. Wir können auch helfen mit Förderprogrammen. Das Bild rein versiegelter Flächen müssen wir aus den Köpfen bekommen.

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Verhalten sich die Menschen in Ihrem Umfeld Ihnen gegenüber eigentlich jetzt anders?

Meine Familie ist weiterhin ein großer Halt für mich. Natürlich haben viele Menschen jetzt Erwartungen an mich. Die habe ich im Wahlkampf angesprochen, es ist mir wichtig, mich daran messen zu lassen. Ich bedauere es sehr, dass es mir momentan coronabedingt nicht möglich ist, den persönlichen Kontakt mit den Menschen hier vor Ort zu pflegen. Ich hoffe, dass das im Sommer wieder eher machbar sein wird und freue mich schon jetzt auf einen angeregten Austausch.

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Abschließend: Wo steht das rote Sofa?

Das rote Sofa habe ich jetzt gegen ein buntes eingetauscht. Nein, mal im Ernst, es ist mir wichtig, Bürgermeister für alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von einer politischen Ausrichtung zu sein. Wichtig ist, Entscheidungen zum Wohle der Stadt zu treffen. Das ist mein Ziel und ich sehe es als meine Aufgabe an, diesen Prozess wo immer sinnvoll und notwendig zielorientiert zu begleiten und zu unterstützen.