Am Niederrhein. Für Handel und Gastronomie in Moers und Umgebung verschärft die Verlängerung des Lockdowns ihre Lage. Mancher geht neue Wege.
In dem Fotogeschäft an der Niederrheinallee in Neukirchen-Vluyn war schon seit Wochen kein Kunde mehr - eine Folge des Lockdowns. Trotzdem kommt Inhaber Jan-Christian Schneider wie früher jeden Tag in seinen Laden "High Class Photo" - und verdient dort gutes Geld. Schneider, eigentlich ein klassischer stationärer Einzelhändler, hat in den letzten Monaten seinen Online-Handel massiv ausgebaut: "Es läuft erstaunlich gut", sagt er. So gut, dass ihn die Verlängerung des Lockdowns bis Ende Januar nicht mal zu schrecken vermag.
Ohnehin habe er damit gerechnet, "dass wir mit der Schließung der Geschäfte in eine längere Runde gehen würden", erklärt Jan-Christian Schneider, der auch 2. Vorsitzender des Werberings Neukirchen-Vluyn ist: "Ich hoffe, dass alle im Weihnachtsgeschäft ein Polster anlegen konnten, um den Januar und vielleicht auch den Februar zu überstehen." Viele Kolleginnen und Kollegen setzen verstärkt auf das Online-Geschäft und bieten einen Abhol- oder sogar Lieferservice an.
Beim Online-Geschäft hat Jan-Christian Schneider "richtig Gas gegeben"
"High Class Photo" hat in diesem Jahr "richtig Gas gegeben", wie es Jan-Christian Schneider es formuliert. Im Dezember ist sein Webshop online gegangen, mithilfe von Social-Media-Kanälen sorgt der Chef dafür, dass der Shop im Gespräch bleibt. Schneider hat festgestellt: "Die Kunden haben Bock darauf." Wichtig sei, einen Lieferservice anzubieten. Für sein Geschäft ist täglich ein Fahrer unterwegs, der kostenlos Kameras, Zubehör, Wandbilder oder Bilderrahmen ausliefert. Schneider kann sich gut eine Kooperation von mehreren stationären Händlern vorstellen, die gemeinsam einen Fahrer beschäftigen.
Auch in Moers hat kaum ein Ladeninhaber damit gerechnet, jetzt wieder öffnen zu können, weiß Achim Reps, der Vorsitzende der örtlichen Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG). Klar, haben auch in der Grafenstadt etliche Geschäftsinhaber ihre Internet-Aktivitäten verstärkt und auf Kanälen wie Instagram, Facebook und WhatsApp für ihre Angebote geworben. Dennoch werde die wirtschaftliche Situation für die Branche immer schwieriger, zumal die Hürden zu den finanziellen Hilfen des Bundes hoch seien und die Auszahlungen gestockt hätten, berichtet Reps. Schon im vergangenen Jahr sei "der eine oder andere" Hauseigentümer Händlern bei der Miete entgegengekommen, längst nicht alle. Reps rechnet damit, dass nun mehr Kollegen Gespräche mit ihren Vermietern anstreben, um ihre Mieten wenigstens zeitweise zu senken: "Da muss es ein Umdenken geben. Andernfalls werden viele Geschäfte den Lockdown nicht durchhalten."
Handelsverband: "Das ist unfair"
Umdenken fordert die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Niederrhein, Doris Lewitzky, auch von der Politik: „Die Unterstützung ist eine Katastrophe! Erstattet werden sollen nur Fixkosten, keine Umsatzeinbußen - das ist unfair“, so Lewitzky. Man versuche, die Politik wachzurütteln, der Handel müsse gestärkt werden: "Ohne Unterstützung von außen geht das aber nicht."
Diese Unterstützung von außen ist auch in der Gastronomie gefragt. Die kommt sogar an, wie Claudius Albustin weiß: "Das passt schon, mit den Hilfen bekommen wir das hin", so der Wirt der "Röhre" in Moers. Allerdings schränkt Albustin ein: "Teilweise läuft das sehr schleppend." Vier Monate lang hat er im vergangenen Jahr Überbrückungsgeld vorstrecken müssen: "Das kam aus dem Ersparten für meinen Lebensabend." Immerhin sei er dazu in der Lage gewesen, mancher Kollege schaffe das wohl nicht, mutmaßt er. Ende Oktober hat Albustin in der "Röhre" das letzte Bier ausgeschenkt, "seitdem bin ich allein in dem Laden." Seine Angestellte ist auf Kurzarbeit Null, die Mitarbeiter auf 450-Euro-Basis, die sonst bei ihm die Gäste bedienen, verdienen momentan nichts oder haben sich andere Aushilfsjobs gesucht. Der Chef renoviert derweil in seiner Kneipe "alles, was nicht viel Geld kostet." Claudius Albustin, der die Einschränkungen des öffentlichen Lebens übrigens richtig findet, rechnet nicht damit, dass sich die Corona-Lage so schnell ändert: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir im Februar den Betrieb aufnehmen. Vielleicht wird es März. Mit Sicherheit werden wir die letzten sein, die wieder öffnen dürfen."
Die Brautpaare werden schon nervös
Ähnlich unsicher beschreibt die Perspektive auch Eva Welling, die zusammen mit ihrem Bruder Falko das "Parkhotel" in Kamp-Lintfort und die "Linde" in Repelen leitet. Für sie und ihre 160 Mitarbeiter in beiden Häusern sei die Schließung ohnehin "ziemlich katastrophal". Dass man auch für die Zeit nach Januar nicht planen kann, mache die Sache noch schlimmer. Eva Welling hat Buchungen für fast 80 Hochzeiten in 2021: "Aber die Brautpaare werden schon nervös, weil ungewiss ist, ob die Feiern überhaupt stattfinden können." Zumal sich darunter auch Paare befinden, die ihre Hochzeit wegen der Corona-Pandemie vom vergangenen auf dieses Jahr verschoben haben." Man hoffe auf den Sommer und die Wirksamkeit der Impfungen, so die Hotelchefin. Als weiteres großes Problem bezeichnet Eva Welling, dass die versprochenen Finanzhilfen ausbleiben: "Die Unterstützung für November und Dezember ist noch nicht angekommen." So hat das Unternehmen das Kurzarbeitergeld komplett vorfinanzieren müssen.
Auch die Industrie- und Handelskammer meldete sich am Mittwoch zu Wort. Den Lockdown angesichts der ernsten Lage zu verlängern, sei zwar die richtige Entscheidung, stellte Hauptgeschäftsführer Stefan Dietzfelbinger klar. Für die Wirtschaft am Niederrhein, insbesondere das Gastgewerbe, die Reisewirtschaft und den Handel, seien diese Maßnahmen aber hart: "Viele Betriebe kämpfen schon
jetzt mit den Folgen und sind in ihrer Existenz bedroht", so Dietzfelbinger. Die Gefahr von Insolvenzen werde weiter zunehmen. "Die betroffenen Betriebe brauchen jetzt schnell und unbürokratisch Geld. Bund und Länder müssen darum auf die Tube
drücken, damit die zugesagten Fördermittel auch bei den Unternehmen ankommen.“