Kreis Wesel. Pflegende Angehörige kommen bei psychischen Alterserkrankungen häufig an ihre Grenzen. Was gerontopsychiatrische Beraterinnen für sie tun können.

Pflege kann Angehörige an ihre Grenzen bringen, vor allem dann, wenn zu den körperlichen Altersproblemen psychische kommen: Demenz, Depressionen, Angstzustände. Trotzdem wollen sich viele nicht helfen lassen. „Solange ich das kann, mache ich das selbst“ – das hören die gerontopsychiatrischen Beraterinnen im Kreis Wesel häufig. „Wenn sie nicht mehr können, geht aber nichts mehr“, sagt Bettina Schilling, zusammen mit Claudia Berghaus Beraterin für das linksrheinische Kreisgebiet. Kollegin Kirsten Bovenkerk, zuständig für den rechtsrheinischen Kreis, hat ähnliche Erfahrungen, überlastete Angehörige würden mitunter selbst psychisch krank. „Die Menschen suchen sich meist viel zu spät Hilfe.“ Und helfen können die Beraterinnen, sie tun es täglich, besuchen ihre Klienten auch zu Hause. Und weil der Kreis Wesel ihre Stellen bezahlt, können sie das kostenlos und ohne bürokratische Hürden wie etwa Überweisungen tun. Nur ansprechen müssen Betroffene und Angehörige sie.

Termine und Kontakt

Kerstin Bovenkerk ist gerontopsychiatrische Beraterin für die rechtsrheinischen Kommunen Wesel, Hamminkeln, Schermbeck, Hünxe, Dinslaken und Voerde. Sie ist Angestellte des St. Vinzenz-Hospitals Dinslaken.

Offene Sprechstunden bietet sie mittwochs, 16 bis 18 Uhr, im Evangelischen Krankenhaus Wesel an, eine Anmeldung ist nicht notwendig, Schermbecker Landstraße 88, fünfte Etage. Telefonisch ist sie unter 0281/106-2800 zu erreichen. Um zu prüfen, ob die Beraterin nicht etwa gerade Urlaub hat, hilft vorab ein Blick ins Netz.

In Dinslaken können Interessierte einen Termin am St. Vinzenz-Hospital vereinbaren, 02064/44-1220. Im gesamten rechtsrheinischen Kreis Wesel können auch Hausbesuche mit ihr vereinbart werden.

Für den linksrheinischen Kreis Wesel beraten Claudia Berghaus (02843/179-23305) und Bettina Schilling (02843/179-23303), sie teilen sich die Stelle und sind am St. Josef Krankenhaus Moers angestellt.

Weil beide auch zu Hausbesuchen unterwegs sind, sollten die Termine telefonisch vorab vereinbart werden. Am St. Josef Krankenhaus Moers sind sie freitags, 8 bis 14 Uhr möglich, am St. Nikolaus Hospital Rheinberg montags bis donnerstags, 8 bis 16 Uhr, und am St. Josef Hospital Xanten jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat von 14 bis 16 Uhr.

Unter den Rufnummern können Interessierte auch Hausbesuche in Moers, Kamp-Lintfort, Rheinberg, Neukirchen-Vluyn, Xanten, Alpen oder Sonsbeck vereinbaren.

Beide Stellen finanziert der Kreis Wesel, daher ist das Angebot kostenlos.

Kirsten Bovenkerk kennt die Nöte pflegender Angehöriger. Ein Kernproblem: Demenzkranken fehle die Einsicht, sie wehren sich gegen Hilfe. Auch das ist ein Symptom der Krankheit. „Ich sage dann manchmal: Vertrauen Sie mir, ich kann demenzerisch.“ Tatsächlich, so die Fachfrau, versuchten Angehörige meist, den Erkrankten zu erklären, warum Dinge sich verändern, und stoßen dann auf Widerstand. „Wenn ich stattdessen auf die Gefühle der Menschen eingehe, kann ich auf emotionaler Ebene mit ihnen kommunizieren“, erläutert die 61-Jährige. Etwa sagen, „Mama, das hast Du früher toll gemacht, jetzt brauchen wir aber Hilfe.“ Eine wichtige Unterstützung für Betroffene und Angehörige ist die Tagespflege, da sind sich die Beraterinnen einig. Doch viele Menschen mit Demenz oder Depressionen lehnen das strikt ab. „Therapien können sie aber annehmen. Nennen wir es einen Therapietag die Woche, einen Tag für Dich, dann geht es meist leichter“, sagt Bovenkerk. Man solle die Senioren aber nicht anlügen, sie begleiten und verstehen, „es ist in Ordnung, Angst zu haben“.

Die gerontopsychiatrische Beraterin Kerstin Bovenkerk rät, sich früh Hilfe zu holen. Die Fachfrau berät für den rechtsrheinischen Kreis Wesel.
Die gerontopsychiatrische Beraterin Kerstin Bovenkerk rät, sich früh Hilfe zu holen. Die Fachfrau berät für den rechtsrheinischen Kreis Wesel. © FUNKE Foto Services | Karl Banski

Immer wieder ein Thema: Wie bringe ich Vater bei, dass er nicht mehr Auto fahren soll? Die Heilpädagogin rät von Tricks, wie die Batterie abzuklemmen, ab. „Das ist nicht von Dauer, sie wenden sich an eine Werkstatt oder kaufen ein neues Auto.“ Es brauche einen Buhmann, einen Arzt oder zur Not auch Bovenkerk selbst „Dann muss ich nicht erklären, sondern kann mitfühlen. ‚Dass Du nicht mehr fahren kannst, ist doof‘“. Häufig gehe es darum, den Erkrankten die Chance zu geben, ihr Gesicht zu wahren. Wenn die Handtasche mal wieder verschwunden scheint und Angehörige beschuldigt werden, sie genommen zu haben. Auch hier: Erklärungen helfen nicht, „helfen Sie beim Suchen, zeigen Sie, dass Sie verstehen, wie ärgerlich das ist“.

So früh wie möglich zur Beratung kommen

Es geht nicht allein um die Hilfe zur Kommunikation: Die gerontopsychiatrischen Beraterinnen können so viel mehr leisten. „Kommen Sie so früh wie möglich, auch ohne Diagnose“, bitten sie. Welche Unterstützung Angehörigen und Erkrankten zusteht, welche Hilfsangebote es gibt und wie man sie beantragt, gehört zu ihrer Arbeit. Auch die Weiterleitung zu medizinischer Behandlung bei Bedarf. „Ich will helfen, dass Menschen so lange wie möglich miteinander zu Hause sein können“, sagt Bovenkerk. Nicht immer sei das möglich. Wenn ein Heim unumgänglich ist, empfiehlt sie, sich so früh wie möglich dafür zu entscheiden, damit sich die Menschen noch einleben können. Für Depressive sei ein Heim mitunter eine gute Lösung, weil sie nicht mehr allein zu Hause sitzen. Allerdings ist das, und Bovenkerk weiß es, häufig auch eine finanzielle Frage.

Bettina Schilling, zusammen mit Claudia Berghaus für das linksrheinische Kreisgebiet zuständig, bedauert, dass das Angebot der gerontopsychiatrischen Beraterinnen noch zu wenig bekannt ist. Dabei fährt sie beispielsweise auch nach Sonsbeck, damit pflegende Angehörige, häufig selbst betagt, nicht in den Bus steigen müssen, um nach Moers oder Rheinberg zur Sprechstunde zu kommen. Durch Unkenntnis würden viele ambulanten Hilfen nicht genutzt, „das ist schade“, denn Tagespflege beispielsweise helfe den Betroffenen, aber auch ihren Angehörigen. Und mit einem Pflegegrad gibt es Anspruch darauf. „Kaum jemand redet mit den Angehörigen, nur wenige Ärzte tun es“, sagt Schilling. Ohnehin sei es schwierig, psychische Probleme zu diagnostizieren, die Hausärzte seien zunächst auf körperliche Probleme konzentriert. „Häufig dauert es lange, bis herauskommt, dass die chronischen Rücken- oder Bauchschmerzen, über die jemand klagt, ein Symptom der Depression sind.“

Bettina Schilling (links) und Claudia Berghaus beraten für das linksrheinische Kreisgebiet.
Bettina Schilling (links) und Claudia Berghaus beraten für das linksrheinische Kreisgebiet. © NRZ | St. Josef Krankenhaus Moers

In Gesprächskreisen können sie ihre Erfahrungen austauschen oder einfach jemanden finden, der zuhört. Gesprächskreise für pflegende Angehörige gibt auf beiden Rheinseiten, in Rheinberg, demnächst auch am St. Josef Krankenhaus in Moers, außerdem am Evangelischen Krankenhaus in Wesel und am St. Vinzenz-Hospital Dinslaken. Die beratenden Fachfrauen und Angebote wie Gesprächskreise sorgen dafür, dass pflegende Angehörige an ihren Problemen nicht verzweifeln müssen.