Kreis Wesel. Der Bausektor befindet sich im Krisenmodus, auch im Kreis Wesel. Immer weniger Neubauten und Kurzarbeit. Das sagen Verbände und Gewerkschaften.
Wer sich bei den Bauverbänden.NRW am Telefon durchstellen lässt, wird mit einem eingängigen Schlager unterhalten: „Wir sind die Leute vom Bau, ohne uns läuft nichts, das wissen wir genau.“ Ein Text, der in der aktuellen Situation auch wie eine Mahnung klingt. Denn der Baubranche geht es schlecht. Die Zinsen steigen, Förderprogramme werden gestrichen, das Baumaterial ist teuer – das alles macht das Bauen für Investoren zunehmend unattraktiv. Als größtes Beispiel kündigte Vonovia den Baustopp für 60.000 Wohnungen an, andere Unternehmen zogen nach und verstärken die Unsicherheit in der gesamten Branche.
Noch würden Bauunternehmen ihre Auftragsbücher abarbeiten, die durch den Bauboom aus den vergangenen Jahren gut gefüllt gewesen seien, sagt Dirk Berkemeyer, Pressereferent der Bauverbände.NRW. Doch mittlerweile kämen bei vielen kaum noch Aufträge rein. Einem Unternehmer seien innerhalb einer Woche Aufträge für ein Sechs- und ein Vierfamilienhaus weggebrochen, so Berkemeyer weiter, der den wirtschaftlichen Teufelskreis erheblich weiter fasst und eine dunkle Gleichung aufstellt: Ohne Steine gebe es schließlich auch keine Fliesen, keine Elektrik und keinen Trockenbau.
Bauen im Kreis Wesel: Baugenehmigungen fallen um 73 Prozent
„Im Herbst wird’s düster“, prognostiziert Berkemeyer, der bereits jetzt steigende Kurzarbeiterzahlen im Bausektor vernimmt. Wie es weitergehe, sei noch nicht absehbar. Man sei noch nicht am Abgrund, „aber man kann ihn schon sehen“.
Laut Agentur für Arbeit gibt es im Kreis Wesel 1269 Betriebe des Baugewerbes mit insgesamt 10.324 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Zahlen zur Kurzarbeit seien bislang unauffällig, sagt die Agentur für Arbeit – auf „weniger als drei“ beziffert sie die Zahl der Kurzarbeitanzeigen aus dem Bausektor im vergangenen August. Die Arbeitsagentur macht in dem Zusammenhang auch darauf aufmerksam, dass nicht jede angezeigte Kurzarbeit tatsächlich realisiert werde. Ist es die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm?
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Im Moment sei die Bauwelt im Kreis Wesel noch größtenteils in Ordnung, sagt Holger Benninghoff. Der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Wesel (KHW) war in dieser Woche drei Tage in Berlin. „Viel geredet“ habe man, die Stimmung sei schlecht, die Verunsicherung groß. Optimismus herrsche momentan so gut wie gar nicht in der Branche, so der KHW-Geschäftsführer weiter. Das private Bauen komme quasi zum Erliegen, die meisten Betriebe sähen „dunkle Wolken“ auf sie zukommen und die Angst, dass „es richtig runtergeht“, sei allgegenwärtig. Mittlerweile bekommt er auch immer mehr Anrufe aus den 80 Mitgliedsbetrieben, die sich über die Kurzarbeit informieren. „Wo finde ich nochmal die Unterlagen?“, sei eine der häufigsten Fragen.
Eine große Anspannung nimmt auch die Bezirksvorsitzende der IG Bau Duisburg-Niederrhein, Karina Pfau, wahr. Die Anmeldung der Kurzarbeit sei sicher ein geeignetes Mittel, um Arbeitsplätze zu halten, aber je länger die Phase dauere, desto mehr Abwanderungen gebe es, ähnlich wie bei der Gastronomie während Corona. „Diese Kräfte sind weg und kommen nicht mehr zurück.“ Was man brauche, seien Wohnungen und die geeigneten Voraussetzungen, sie zu bauen, so Pfau.
Viel hängt auch vom 14-Punkte-Plan der Bundesregierung ab, der unter anderem Steuervorteile für Bauherren, Förderprogramme und ein Beibehalten bisheriger Energiestandards vorsieht, um die Bautätigkeit wieder zu steigern.
Auch die Eigenheimförderung für Familien soll steigen. Ob der Eigenheimbau dann wieder erschwinglicher wird, bleibt abzuwarten. Zuletzt ist die Bautätigkeit auch im Kreis Wesel stark zurückgegangen. Das sollen Zahlen der Regionalanalyse belegen, die das Pestel-Institut im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) erstellt hat.
Demnach habe es im ersten Halbjahr dieses Jahres lediglich 66 Baugenehmigungen für neue Ein- und Zweifamilienhäuser im Kreis Wesel gegeben, im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres seien es noch 244 Genehmigungen gewesen.
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„Der Traum vom eigenen Haus, von der eigenen Wohnung – er platzt gerade in Serie. Wenn es um das Anschaffen von Wohneigentum geht, ist auch der Kreis Wesel quasi in eine Schockstarre verfallen“, sagt Katharina Metzger vom BDB. Nur wenige Menschen könnten sich die eigenen vier Wände heute noch leisten. „Hohe Zinsen, hohe Baulandpreise, hohe Baukosten, die vor allem auch durch hohe Klimaschutz-Auflagen nach oben getrieben werden: Wohneigentum scheitert am Geld“, so Metzger.
In dem Zusammenhang bewerten die Bauverbände.NRW positiv, dass die Bundesregierung die Energie-Effizienz-Standards bei Neubauten doch nicht erhöhen möchte. Ursprünglich sollte ab 2025 die Effizienzklasse EH 40 als Standard greifen. Das hätte bedeutet, dass bei einem Gebäude nur noch 40 Prozent der Energie eines Vergleichsneubaus verbraucht werden dürften. Die damit verbundenen Kosten hätten den Hausbau noch viel teurer gemacht als ohnehin bereits. Auch dies sei eine Folge vermurkster Kommunikation gewesen, sagt Dirk Berkemeyer. Die Ampelregierung habe es nicht geschafft, „ihre Klimapolitik vernünftig zu verkaufen und die Bevölkerung mitzunehmen“.