Kreis Wesel. Bürgermeisterin, Dezernentin und weibliche Beigeordnete sind in den Verwaltungen im Kreis deutlich in der Minderheit. Was Expertinnen dazu sagen.
Geht es nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamts, leben im Kreis Wesel mehr Frauen (rund 239.000) als Männer (rund 226.900). Die meisten Menschen im Kreis Wesel sind demnach weiblich, die meisten Spitzenpositionen in Kreis- und kommunalen Verwaltungen sind es nicht. Das zeigt ein Blick auf die Organisationseinheiten von Kreis-, Stadt- und Gemeindeverwaltungen – der Fokus liegt hierbei auf den Spitzenpositionen: auf Landrat, Bürgermeisterin beziehungsweise Bürgermeister, den Dezernenten und Dezernentinnen auf Stadt- sowie den Fachbereichsleitungen auf Gemeindeebene.
Das Ergebnis fällt wenig überraschend sehr männlich aus und ist schnell aufgezählt: Bekanntlich sind mit Ulrike Westkamp (Wesel) und Michaela Eislöffel (Dinslaken) lediglich zwei Bürgermeisterinnen im Amt, in Neukirchen-Vluyn ist Margit Ciesielski Kämmerin und Erste Beigeordnete, in Rheinberg wird der Haushalt mit Iris Itgenshorst ebenfalls von einer Frau geleitet, Nicole Johann fungiert als Erste Beigeordnete in Voerde und Gisela Lehmkuhl teilt sich in Hünxe mit Klaus Lehmann einen Geschäftsbereich. Dazu kommt noch Svenja Reinert, die im Kreis seit diesem Jahr neu im Verwaltungsvorstand ist – neben der Polizeiverwaltung zuständig auch für das Immobilienmanagement. Immerhin: eine weibliche Führungskraft, mehr aber nicht. In den restlichen Kommunen lenken derweil nur Männer die Geschicke.
Da es sich hierbei um „Wahlbeamte und Beamtinnen“ handelt, kann Astrid Schupp, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bocholt und zugleich Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Gleichstellungsstellen in NRW hier wenig ausrichten, sie könne es nur einfordern. Es brauche Instrumente. Sie führt aber auch die angespannte Fachkräfte-Situation an, es sei immer schwieriger, jemanden gewinnen zu können, der die Zukunft von Kommunen mitgestalte.
„Frauen wird die Übernahme einer Spitzenposition weniger zugesprochen als Männern“
Natürlich sei aber eine paritätische Besetzung auch bei den Wahlbeamten wünschenswert. Denn schließlich sollten die Aufgaben in solchen Ämtern von Frauen und Männern gelöst werden, die Blickrichtungen aus beiden Positionen heraus sei wichtig, außerdem sollte es auch die Bevölkerung widerspiegeln. Sorge bereite Schupp die generell geringe Bereitschaft von jungen Menschen – Männern wie Frauen – in die Politik zu gehen. Eine Durchmischung auch mit Blick auf das Alter und jüngere Positionen werde benötigt, damit dann mitunter auch mehr Dezernentinnen etwa berufen werden könnten.
„Häufig stecken bei Wahlbeamtinnen politische Karrieren dahinter“, sagt Ulle Schauws (Grüne). Und eben dort sieht die Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Moers/ Neukirchen-Vluyn und zugleich frauenpolitische Sprecherin ebenfalls eine Lücke. Außerdem beobachtet sie: „Frauen wird die Übernahme einer Spitzenposition weniger zugesprochen als Männern“, das sei auch in anderen Bereichen, etwa der Wirtschaft, so. Hinzu kämmen Zurückhaltung oder Bedenken, da in Politik und Wahlamt die öffentliche Kritik oft harsch sei. „Doch dass Frauen diese Aufgaben übernehmen können, steht völlig außer Frage.“
Allerdings spielt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Rolle – und eben hier müsse Frauen mehr Unterstützung zuteil werden, wenn sie in Spitzenämtern gut bestehen wollen, so die Bundestagsabgeordnete. Oft gebe es das Vorurteil, dass Frauen weniger Interesse an Politik haben, „das stimmt nicht“. Schauws führt die politische Struktur an, die Gremienarbeit, die auch auf kommunaler Ebene meist in der Hauptfamilienzeit am frühen Abend stattfindet. Andere zeigten,dass veränderte Zeiten pro Vereinbarkeit gerade für Frauen in der Politik wirken: „In skandinavischen Ländern ist der frühe Abend fixe Familienzeit, da gibt es keine Sitzungen - erst danach wieder.“
Eine politische Entscheidung ist notwendig, sagt Astrid Schupp
Geht der Blick weg von den Wahlbeamtinnen, zeigt sich immerhin: In Neukirchen-Vluyn und Kamp-Lintfort zum Beispiel ist auf der Ebene hinter den Spitzenpositionen deutlich mehr weibliche Führungskraft zu finden. Eine Entwicklung, die auch Astrid Schupp bestätigen kann. „Das wird besser, da sehe ich eine gute Entwicklung und viele Frauen, die Lust haben, in eine Führungsposition zu gehen.“ Sie nennt hierfür auch Modelle, wie geteilte Führungspositionen oder vollzeitnahe Teilzeitstellen, die dabei helfen. Kommunen seien bereit, moderne Wege zu gehen und gut ausgebildete Frauen auch zu halten. „Es braucht eigentlich eine politische Entscheidung“, verweist sie auf Elternzeitmodelle wie in Schweden. Denn hier in Deutschland werde die Familienzeit vorrangig noch immer von Frauen genommen.