Wesel. Vorstände sind in der Regel männlich dominiert - in Wirtschaft wie Verwaltung. Warum das so ist? Wir haben mit zwei Karrierefrauen gesprochen.
Vorstände sind in der Regel männlich – in Unternehmen wie öffentlichen Verwaltungen. Zum Verwaltungsvorstand des Kreises Wesel beispielsweise gehören ausschließlich Anzugträger. Anders in Wesel: Mit Bürgermeisterin Ulrike Westkamp und Dezernentin Annabelle Brandes sind zwei von vier Vorstandsmitgliedern Frauen, in der Ebene der Fachbereichsleitungen sind es vier von neun.
Woran liegt es, dass Frauen auch anno 2021 nicht den Weg nach oben finden? Dort werden sie durchaus geschätzt: Frauen, sagt Bürgermeisterin Westkamp, lassen andere Sichtweisen einfließen. „Das liegt daran, dass die Sozialisation in Teilen immer noch unterschiedlich ist.“ Sie bevorzugt daher einen gemischten Vorstand, Kompetenz und Qualifikation immer vorausgesetzt.
Frauen haben mehr Selbstzweifel und stellen ihre Defizite in den Vordergrund
Obwohl sich in der Stadtverwaltung Wesel mehrheitlich junge Frauen im Wettbewerb um Ausbildungsplätze durchsetzen, ändert sich das später. „Frauen haben mehr Selbstzweifel“, sagt Annabelle Brandes, die als Dezernentin auch für das Personal zuständig ist. „In den Bewerbungsgesprächen bringen sie häufig eher ihre Defizite und Schwächen in den Vordergrund. Männer dagegen bluffen selbstbewusst.“
perspektive-weiblich - jetzt den neuen Newsletter abonnierenZudem verließen viele Frauen ungern ihren Komfortbereich: „Manchmal fehlt der nötige Mut. Sie wollen den Arbeitgeber nicht wechseln oder sich auch mal auf eine Tätigkeit bewerben, die ihnen anfangs eine Nummer zu groß erscheint“, sagt die 40-Jährige, obwohl sie hineinwachsen würden.
Ein anderer Aspekt ist die Familientauglichkeit: Dezernentin in Teilzeit? „Es gibt viele Abendveranstaltungen, man weiß nie wann es zu Ende ist“, sagt Ulrike Westkamp. Und Brandes rät: „Augen auf bei der Partnerwahl!“ Ein hohes Maß an Unterstützung sei notwendig, und Flexibilität.
Obwohl viele junge Frauen in der Verwaltung anfangen, sind sie in den oberen Etagen schwach vertreten. Ein Grund sehen Westkamp und Brandes im traditionellen Rollenverständnis: Frauen kümmern sich um die Familie, Männer kommen weiter im Beruf. „Das hat sich in den vergangenen Jahren wieder verstärkt“, hat Westkamp beobachtet. Immer mehr haben einen anderen Lebensentwurf, sie entscheiden sich bewusst für die Familie. Andere, auch kinderlose, setzen ihren Schwerpunkt auf die Work-Life-Balance, nach dem Motto „arbeiten um zu leben, nicht leben um zu arbeiten“.
Morgens Chefin, nachmittags im überfüllten Hörsaal
Westkamp und Brandes strahlen gelassenes Selbstbewusstsein aus - beide haben bereits mehrfach ihre Komfortzone verlassen. Annabelle Brandes begann im Jahr 2000 bei der Bundesagentur für Arbeit eine Ausbildung zur Diplomfachwirtin, von einem Studium an der Fachhochschule des Bundes in Mannheim flankiert. „Mit 22 war ich fertig und habe mir gesagt: Das kann doch nicht alles gewesen sein!“
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Sie schrieb sich an der Ruhruni Bochum im Fach Sozialwissenschaften ein - Bereich Personal, Arbeit, Organisation, ein Vollstudium. „Ich habe einen Antrag auf Teilzeit im Beruf gestellt. Die sind fast vom Stuhl gehüpft.“ Vor 20 Jahren war das ungewöhnlich. Mit Unterstützung des Personalrats schaffte sie es und erklomm neben dem Studium die Karriereleiter.
„Ich war morgens Chefin, bin in die Uni gegangen, habe mich umgezogen und im Hörsaal auf der Treppe gesessen.“ Sie arbeitete sich hoch und schloss parallel ihr Studium in neun Semestern ab. Es folgten Stationen in Nürnberg, Köln: Immer ein neuer Sprung ins kalte Wasser. Vor die Wahl gestellt, ob sie Geschäftsführerin in ihrem vertrauten Bereich oder einem völlig neuen werden will, nahm sie den erneut unbequemen Weg und ging nach Dortmund. „Ein schönes Gefühl, mit Blick aufs Stadion zu arbeiten“ - klar, Brandes ist BVB-Fan.
Vor eineinhalb Jahren dann der Arbeitgeberwechsel, Brandes wurde Dezernentin in Wesel - ein Wahlamt ohne Sicherheit. Nach acht Jahren wird sie bestätigt oder abgewählt. Macht ein solches Leben nicht einsam? „Keineswegs. Man muss den richtigen Partner haben und man muss ihn pflegen“, sagt sie und lächelt.
„Ich wollte mir alle Möglichkeiten offen halten“
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Ulrike Westkamp, gebürtige Weselerin, hat nach dem Politologiestudium in Aachen Verwaltungswissenschaften in Speyer studiert. „Ich wollte eine adäquate Arbeit und die Arbeitslosigkeit unter Akademikern war groß.“ Es folgten glückliche Jahre als Dozentin an der Akademie Klausenhof in der Jugendarbeit. „Das war eine tolle Stelle, aber das Führungsteam war mittleren Alters und männlich.“ Ohne Aufstiegsmöglichkeiten, wechselte sie zur Bundesagentur für Arbeit in den höheren Dienst, ihre erste Führungsposition war Referatsleiterin in Düsseldorf. Stationen in Wesel, Direktorin in Coesfeld und Essen als stellvertretende Direktorin folgten, „ich war Geschäftsführerin mit 600 Mitarbeitern“. Und nun Bürgermeisterin in ihrer Heimatstadt.