Kreis Wesel. Patienten mit Demenz sind im Krankenhaussystem nicht vorgesehen. Das verursacht großes Leid und Stress. Was machen die Kliniken im Kreis Wesel?

Eine ältere Frau liegt im Krankenhaus, sie ist gestürzt, verletzt und leidet unter Schmerzen. Und sie hat Angst, versteht nicht, was mit ihr geschieht, an welchem Ort sie ist, die Gesichter um sie herum sind ihr fremd: Alltag in den Kreis-Weseler Krankenhäusern. Auf Menschen mit Demenz ist das System nur unzureichend eingestellt. Das Dilemma verursacht bundesweit enormes Leid und es wird angesichts der alternden geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren dringender, auch am Niederrhein.

„Wir wissen aus der Praxis, von unseren Mitgliedern, dass Demenzkranke im Krankenhaus häufig verwahrt und auch leider mit Medikamenten ruhig gestellt werden. Die Versorgung ist vor allem nachts unzureichend gesichert“, kritisiert Horst Vöge, VdK-Vorsitzender am Niederrhein, Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen und Vizepräsident des VdK Deutschland. „Oft bleibt bei der Versorgung ihrer Hauptdiagnose, beispielsweise einer Fraktur oder Herzerkrankung, die Demenz unerkannt oder wird nicht beachtet beziehungsweise unterschätzt.“ Es fehle auch an fachlich qualifiziertem Personal.

Krankenhäuser haben Konzepte, stoßen aber an ihre Grenzen

Dabei ist es nicht so, dass die Krankenhausleitungen gedankenlos wären. „In den Krankenhäusern ist das Thema seit Jahren angängig, es ist bekannt, dass vornehmlich die Primärerkrankung im Blick ist. Die Akteure tun sich schwer mit demenziell Erkrankten“, sagt Andreas Fateh, Kreisgruppengeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und Sprecher der AG Wohlfahrt im Kreis Wesel. „Ohne es belegen zu können, bin ich aber davon überzeugt, dass die Krankenhäuser das im Blick haben.“

Das haben sie, stoßen aber an Grenzen. Beispiel Bethanien Moers: Damit das Problem nicht unerkannt bleibt, werde bei Patienten vom 65. Lebensjahr an ein Screening durchgeführt, um eine etwaige Demenz festzustellen. Zwei Alltagsbegleiterinnen kümmern sich um Patienten mit Demenz, helfen eine Tagesstruktur zu erstellen, erläutert das Haus auf Anfrage. Eine tragende Rolle kommt Angehörigen zu – man biete ihnen an, im Krankenhaus zu übernachten und ihre Angehörigen rund um die Uhr zu begleiten. Das setzt Menschen voraus, die das leisten können.

Finanzierung, Personal und Räumlichkeiten nennt Bethanien die Grenzen, die seinen Bemühungen gesetzt sind. Und auf Wünsche angesprochen: „Dass solche Dienste wie unsere Alltagsbegleiterinnen für eine Klinik voll refinanziert werden. Wünschenswert wäre es, dass jede Station über solche Begleiter:innen verfügt.“

Es gibt Lösungskonzepte, doch das System finanziert sie nicht

Im Evangelischen Krankenhaus Wesel bemüht man sich, den Maßgaben eines demenzsensiblen Krankenhauses gerecht zu werden, zu diesem Thema forscht beispielsweise die Robert-Bosch-Stiftung. Ein Fokus liege dabei auf einer guten Delirprävention auf der EHK-Intensivstation: Ältere Menschen haben nach Operationen häufig Schwierigkeiten, sich zurecht zu finden. Hier setze das Haus an.

In der Ausbildung des Pflegepersonals – das betrifft beide der beispielhaft angesprochenen Häuser – nimmt Demenz mehr Raum ein. Auch in Wesel arbeitet eine ausgebildete Demenzbegleiterin mit den Patienten, ein Projekt, das der EVK-Förderverein angestoßen hat. Für all das gibt es Grenzen – als eine nennt das EVK Menschen mit sogenannten Hinlauftendenzen: Desorientiert gehen sie los und bringen sich in Gefahr. „Einer Fixierung am Krankenbett sind aus gutem Grund enge rechtliche Vorgaben vorgeschaltet“, so Sprecherin Maren Esser. Man versuche das Problem mit Zuwendung zu lösen, angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege ein Vorhaben mit wenig Aussicht auf Erfolg. Mit Blick auf die Zukunft, in der mehr dieser Arbeit notwendig wird, „wäre hier eine grundsätzliche Unterstützung im Sinne der bundeseinheitlichen Rahmen- und Finanzierungsvorgaben wünschenswert“.

Da ist wohl die Bundesregierung gefragt. Horst Vöge (VdK) kritisiert das System der Vergütung per Fallpauschale, es sei verbunden mit hohen Wirtschaftlichkeitsdruck. „Hier muss sich dringend etwas ändern – Krankenhäuser sollen keine Gesundheits-Kaufhäuser sein, sondern am Menschen orientiert und qualitativ hochwertig versorgen.“

Ob und wann dieses Vergütungssystem sich ändert, bleibt ungewiss. Gibt es regionale Ideen um den Menschen zu helfen – nicht alle haben Angehörige – und die Pflegekräfte in den Krankenhäusern zu unterstützen? „Das medizinische Personal und die Pflegekräfte in Krankenhäusern stellt die medizinische und pflegerische Versorgung von Menschen mit altersbedingten Einschränkungen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit vor große Herausforderungen“, sagt der Kreis Wesel. Obschon originär nicht zuständig, führe man Gespräche.

Eine Lösungsidee für die Region wäre nicht teuer

Eine Idee, wie der Kreis das Problem selbst angehen könnte, bringt Caritasdirektor Michael van Meerbeck ein. Für die Demenzberatung in der Region sorgt aktuell rechtsrheinisch die Caritas für die Dekanate Dinslaken und Wesel, linksrheinisch die Grafschafter Diakonie, Diakonisches Werk Kirchenkreis Moers. Die beiden Wohlfahrtsverbände könnten Ehrenamtliche im Umgang mit demenziell Erkrankten ausbilden, der nicht immer einfach ist. Die fachliche Kompetenz sei vorhanden. „Auf Anfrage der Krankenhäuser würden die Ehrenamtlichen Patenschaften für bis zu 14 Tagen übernehmen“, schlägt van Meerbeck vor.

Was bräuchten Caritas und Diakonie, um einen solchen Plan umzusetzen? Das wäre mit einer halben Stelle pro Rheinseite und Jahr zu schaffen, rechnet der Caritasdirektor vor, macht etwa je 45.000 Euro. Allerdings wachsen Leute, die sich ehrenamtlich engagieren, nicht aus dem Boden. Van Meerbeck widerspricht bei diesem Punkt: „Wir Menschen am Niederrhein sind in echten Nöten gut ansprechbar, davon bin ich fest überzeugt.“

Hilfen für Angehörige und Leitfäden für Kliniken

„Schon jetzt werden nach Angaben der Robert-Bosch-Stiftung täglich rund 76.000 Patienten , die an einer Demenz oder einer verwandten kognitiven Erkrankung leiden, in den Krankenhäusern bundesweit stationär behandelt“, sagt Horst Vöge (VdK). Ihre Zahl wird ansteigen.

Gemeinsam haben die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Selbsthilfe Demenz, eine Broschüre mit Informationen für Angehörige herausgegeben: „Mit Demenz im Krankenhaus“. Sie steht zum kostenlosen Herunterladen auf der Internetseite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft unter Broschüren.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat unter dem Stichwort „Blickwinkel Demenz“ eine Projektreihe angestoßen, die demenzsensible Konzepte in Kliniken verstetigen soll: Krankenhäusern werden gezielte Handlungshilfen auf einzelne Funktionsbereiche zugeschnitten gegeben.