Sundern. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach lehnt eine Klinikreform um jeden Preis ab. Alle Häuser seien ohnehin nicht mehr zu retten.

Mindestens ein Viertel der Kliniken in Deutschland steuert auf eine Insolvenz zu, schätzt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Eine umfassende Krankenhaus-Reform in Absprache mit den Bundesländern soll ein massenweises Kliniksterben verhindern. Alle werden offenbar nicht zu retten sein. „Auch mit der Reform ist es unmöglich, alle Kliniken zu retten, dafür kommt sie auch zu spät. Aber wir werden die Kliniken retten, die für die lokale Versorgung notwendig sind“, erklärt der Minister am Samstagmorgen beim Termin in Sundern im Gespräch mit dieser Zeitung.

Lauterbach verspätet sich bei der Ankunft in der Schützenhalle in Sundern-Stockum. Die Sauerland-SPD hat mit ihrem Kreisparteitag unter dem Vorsitz des Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese bereits begonnen. Auch die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel aus Arnsberg ist dabei, schließlich stehen 2024 Europawahlen an. Der Gast, auf den alle warten, ist aber Bundesgesundheitsminister Lauterbach, der über eben diese Reform informieren soll. Klinikschließungen sind überall ein Politikum, nicht nur auf dem Land. Gerade in ländlicheren Regionen ist die Befürchtung aber riesig, dass es in Zukunft keine wohnortnahe medizinische Versorgung mehr geben wird. Darüber stritt sich Lauterbach zuletzt in der vergangenen Woche mit dem bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).

NRW-Lösung bei Fallpauschalen

Bereits im April hatten Holetschek, Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken und der NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (beide CDU) ein Gutachten zum Reformprozess vorgestellt, das den Bundesgesundheitsminister bremsen sollte. Vor allem geht es um die Frage, welche Klinikstandorte erhalten bleiben sollen. Die Hoheit liegt hier bei den Bundesländern, inklusive der Pflicht zum Erhalt und Ausbau der Infrastruktur.

In Nordrhein-Westfalen steht eine Neuordnung des Krankenhaussystems bereits seit Jahren auf der Tagesordnung.Seit 2019 wird im Ministerium an dem Krankenhausplan gearbeitet, gemeinsam mit den Klinikdirektoren, nicht über deren Köpfe hinweg. Vor gut einem Jahr wurden für NRW die Eckpunkte vorgestellt. Inzwischen kursieren recht genaue Anhaltspunkte für die NRW-Kliniken, welche Eingriffe in Zukunft bei ihnen in welchem Ausmaß noch möglich sein sollen. Obwohl einige Häuser bei lukrativen Behandlungen auf null gesetzt werden sollen, bleibt ein Aufschrei bislang aus. 2024 soll die Neuordnung greifen.

Das ist auch Karl Lauterbachs Ziel. Mindestens mit Laumann ist sich der Bundesgesundheitsminister inzwischen in der Sache wohl nähergekommen. „Der Entwurf aus NRW ist keine Blaupause, aber es ist ein wichtiger erster Schritt. Wir haben den Mechanismus übernommen, um die Fälle aufzuteilen und kommen so von 1300 Fallpauschalen auf 63 Fallgruppen. Die Alternative wäre ein Schweizer System gewesen, das dem aus NRW aber nicht überlegen ist. Die Einteilung in Level ist nicht aus NRW. Die machen wir für alle Bundesländer gleich“, erklärt im Gespräch mit dieser Zeitung.

Offenbar eine Annäherung. Allerdings lässt sich Lauterbach nicht davon abbringen, die Struktur und damit auch die Finanzierung der Krankenhäuser einschneidend zu verändern, um die Qualität zu verbessern. „Das jetzige System hilft nur denen, die wie am Fließband mit Rosinenpickerei Geld verdienen“, redet sich der Minister wegen der „Ökonomisierung“ im Gesundheitswesen schnell in Rage.

Der SPD-Politiker kritisiert, dass in der Vergangenheit zu viele Lobbyisten mit am Tisch saßen, wenn es um die Zukunft der Kliniken ging. „Dabei kommt nie etwas heraus. Es ist jedenfalls nicht das, was die Bürger brauchen“, versichert der Minister vor seinen Genossen in der Schützenhalle in Sundern. 20 Jahre sei die letzte Reform her, erinnert er. Ergebnis: „Jetzt ist der Notfall da!“

Droht ländlichen Regionen Versorgung auf niedrigstem Level?

Die Vereinfachung des Abrechnungssystems, wie sie NRW vorschlägt, könnte schon einmal viel am zeitraubenden bürokratischen Aufwand für Ärzte und Pflegekräfte abbauen helfen. Lauterbachs Vorschlag für eine Reform sieht die Einteilung der Kliniklandschaft in drei, eigentlich vier Kategorien vor: Level 3 sind hoch spezialisierte Maximalversorger wie Universitätskliniken. Derzeit gibt es davon laut Minister bundesweit gut 130 Häuser. Level 2 sind Häuser, die über eine Grundversorgung hinaus Leistungen anbieten und von regionaler Bedeutung sind. Davon gebe es derzeit rund 450 in Deutschland. Level-1-Häuser sollen wohnortnah eine Grundversorgung sicherstellen und mindestens eine Chirurgie und eine internistische Abteilung haben. Eine abgeschwächte Variante soll zumindest Akutbetten vorhalten und ambulante Eingriffe anbieten können. Kritiker sehen für abgespeckte Level-1-Häuser wenig Zukunft, selbst auf dem Land. Allerdings will Lauterbach die Finanzierung so ändern, dass nur noch 40 Prozent für die Art der Behandlung fließen (analog zum heutigen DRG-System) und 60 Prozent über eine Vorhaltepauschale.

„Mit der Reform würde die Versorgung bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall auch in ländlichen Regionen verbessert“, glaubt Lauterbach und beruft sich auf Experten für Notfallmedizin. Die Überzeugung des Bundesgesundheitsministers ist, dass ein längerer Transport im Rettungswagen zu einer spezialisierten Klinik dem Patienten mehr helfe als eine wohnortnahe, aber unzureichende Behandlung.

Ob die Reform, wie angestrebt, zum Jahreswechsel kommt, ist für Lauterbach derweil keineswegs ausgemacht: „Für mich ist klar, dass wir sie nicht machen, wenn nicht mehr Qualität ins System kommt. Eine Reform, bei der nur mehr Geld ins System kommt, um Kliniken zu retten, ohne die Qualität zu verbessern, schließe ich aus!“