Kreis Wesel. Es gibt ab Juli mehr Stellen für Pflegekräfte in den Heimen, doch die können auch im Kreis Wesel nicht besetzt werden. Die Suche nach Lösungen.
Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er bewegen sich auf das Rentenalter zu: Menschen, die in den nächsten zehn bis 20 Jahren auf Hilfe aus dem Pflegesystem angewiesen sein werden. Das Dilemma: Schon jetzt fehlen Pflegekräfte in den stationären Einrichtungen der Altenpflege. Wie kann das weitergehen?
Zwar dürfen vom 1. Juli an die Träger der Heime mehr Pflegepersonal abrechnen, 475 neue Stellen wären das allein im Kreis Wesel. Doch solches Personal ist nicht auf dem Markt. Ulrich Petroff, Koordinator im Bereich Hilfen für ältere Menschen, und Kreisdirektor Ralf Berensmeier als zuständiger Dezernent für die Heimaufsicht des Kreises Wesel sind mit dem Problem befasst. „Es wird einige Jahre dauern, bis wir das Maximum erreichen“, so Berensmeier, „alle Einrichtungen leiden im Prinzip unter Personalnotstand.“
Problem Leiharbeit für die Belegschaften
Aktuell stopfen die Häuser die Lücken mit Leiharbeit – eine Lösung, die laut Berensmeier und Petroff große Probleme in den Einrichtungen schafft. „Leiharbeitskräfte verdienen bis zu 50 Prozent mehr, sie können sich die Schichten aussuchen“, so Petroff – im Pflegebereich ist das Kräfteverhältnis zwischen Stammpersonal und Zeitarbeit anders als in anderen Wirtschaftsbereichen. Das störe das Klima in der Belegschaft. Und: Die Mehrkosten durch Zeitarbeit bekommen die Träger nicht refinanziert, sie steuern auf massive wirtschaftliche Schwierigkeiten zu.
Hinzu kommt: „Ständig wechselndes Personal ist für die Bewohner eine Belastung“, erläutert Berensmeier. Fachlich mache Zeitarbeit nur Sinn, um kurzfristige Löcher zu stopfen – Krankheitsfälle oder Elternzeit etwa. Als Teil des Systems gehöre sie abgeschafft, darin seien sich Fachleute einig. Doch dann reichen die Stammteams nicht aus.
„Wenn Sie mit Pflegekräften sprechen, nennen die nicht in erster Linie das Geld als Problem, obwohl jeder gern gut verdient. Sie wünschen sich sichere Schichtpläne, verlässliche Wochenenden und häufig genug Zeit für die Menschen, damit sie ihren Beruf so ausüben können, wie sie ihn erlernt haben“, sagt Ulrich Petroff.
Pflegeschulen finden nicht genügend geeignete Kandidaten
Ohne die Pflegeschulen kann es nicht gelingen, die neuen Möglichkeiten des Bundesgesetzgebers auszuschöpfen. „Die Abbrecher abgezogen, verlassen etwa 500 Pflegefachkräfte die Pflegeschulen. Das ist ein relativ guter Wert“, sagt Petroff für den Kreis Wesel. Die neue einjährige Assistentenausbildung absolvieren aktuell 252 Nachwuchskräfte. „Wir müssen noch mehr ausbilden.“ Nicht für alle Schulplätze für examinierte Krankenpflegende gibt es geeignete Interessenten, zudem ist die Abbrecher-Quote auf 30 Prozent gestiegen. Eine Ursache ist die neue, generalistische Ausbildung. Früher haben sich viele mit Abitur für die Ausbildung im Krankenhaus entschieden, in der Altenpflege reichte der Hauptschulabschluss. Inzwischen gilt für beide die Mittlere Reife.
Um mehr ausgebildetes Personal zu bekommen, setzt man auf Qualifizierung: mehr ungelernte Hilfskräfte in die einjährige Assistenzausbildung bringen und ausgebildeten Assistenten den Weg zur examinierten Fachkraft ebnen, der dreijährigen Ausbildung. Häufig reicht aber die geringere Ausbildungsvergütung nicht zum Leben - bei Alleinerziehenden etwa. Hier springt das Jobcenter ein und zahlt die Differenz zum bisherigen Lohn, um die Qualifizierung möglich zu machen. „Wir stoßen an Grenzen, wir benötigen mehr Heime und mehr Personal“, sagt Ulrich Petroff.
Organsiation in der Pflege umgestalten
Wie soll es weitergehen? „Wir müssen mit dem Rückgang des Personals umgehen lernen“, sagt Berensmeier. Möglich sei das, wenn examinierte Pflegekräfte intensiver für die Aufgaben eingesetzt werden, für die ihr Wissen erforderlich ist und es für die anderen mehr Pflegeassistenzkräfte gibt.
Dürfen die Babyboomer noch darauf hoffen, qualifizierte Hilfe im Alter zu bekommen? „Ja, wenn wir Prozesse anders sortieren und das Organisationsgefüge umgestalten“, sagt Petroff. Er gehört selbst zu den geburtenstarken Jahrgängen.
Die aktuelle Lage im Kreis Wesel in Zahlen:
- 56 stationäre Pflegeeinrichtungen mit 5056 Plätzen gab es am Stichtag 1. Januar im Kreis Wesel. Laut Heimaufsicht sei es bislang möglich, einen Platz zu bekommen, wenn auch nicht immer den am gewünschten Ort. Auch werde der geforderte Standard gehalten, nachdem 50 Prozent des pflegenden Personals examiniert sein muss.
- Stand Juni 2021 gab es 1741 Pflegekräfte im stationären System des Kreises, zur einen Hälfte Fachkräfte, zur anderen Hilfskräfte. Vom 1. Juli 2023 an könnten die Träger 475 Mitarbeitende zusätzlich finanziert bekommen, das wären zusammen 2216.
- In den neun Pflegeschulen des Kreises laufen jährlich 25 Kurse für die dreijährige Ausbildung mit je 25 bis 28 Teilnehmern. Die Abbrecher abgezogen, verlassen etwa 500 Pflegefachkräfte die Pflegeschulen.
- Die Assistentenausbildung ist neu, sie musste erst aufgebaut werden. Acht Schulen im Kreis Wesel bieten sie an, mit zusammen neun Kursen. 252 Nachwuchskräfte befinden sich in der Ausbildung.