Kreis Wesel. Queeres Leben gibt es überall - von der Stadt bis zum Dorf. Zwei Vertreter aus dem Kreis Wesel über den CSD, Anfeindungen, Gewalt und Sprache.

In Neukirchen-Vluyn, Moers, Dinslaken und Wesel sind sie in diesem Jahr durch die Straßen gezogen – und haben farbenfroh die Vielfalt gefeiert: die queere Community und ihre Freunde im Kreis Wesel. Auch im nächsten Jahr soll es hier CSD-Veranstaltungen geben, wie Vera van Oyen (Together Dinslaken) schon mal verrät. Sie und Sascha Roncevic vom SLaM and Friends (Moers) sorgen aber nicht nur zu Anlässen wie dem CSD oder im Pride Month für Sichtbarkeit der LSBT*QI* (lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, queer, inter*), sie bieten offene Treffs an. Im Interview sprechen sie über gesellschaftliche Akzeptanz, Erfahrungen mit Anfeindungen und darüber, was Sprache verändern kann.

Inwiefern trägt der CSD zur Sichtbarkeit der queeren Community auch im ländlichen Raum bei?

Van Oyen: Viele Teilnehmer unserer Demos sind sehr jung und erstmal froh, einen solchen CSD überhaupt erreichen zu können. Denn das stellt für junge Leute schon eine Hürde dar. Wie soll man nach Berlin oder Köln kommen, wenn das Schokoticket nicht dahin reicht?

Roncevic: Queeres Leben ist kein lokales Phänomen, es findet von der Großstadt über die Kleinstadt bis zum Dorf statt. Es ist für viele junge Menschen ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bekommen sie furchtbar viele Informationen in den sozialen Netzwerken, andererseits ist das für sie ein stückweit unerreichbar. Auf einmal merken sie: Ich bin ja doch nicht auf der Insel der Isolation, sondern es findet auch bei mir vor Ort oder in der Nachbarstadt etwas statt. Wenn Leute sogar klatschen, wenn man vorbeigeht, dann ist das für einen jungen Menschen, der sich grad selber findet, ein sehr tolles Gefühl. Aber: CSD – das sind ein paar Veranstaltungen im Jahr in einer Region. Wir brauchen Angebote für queere Menschen das ganze Jahr über, auch in der Fläche.

Welche Entwicklung stellen Sie in der Arbeit mit der LSBT*QI*-Community fest?

Roncevic: Die Buchstabenfamilie ist größer geworden – nicht, weil es die Menschen vorher nicht gab, aber sie sind ins Sichtfeld gerückt.

Van Oyen: Wir sind in der Pflicht, dynamisch zu bleiben. Es ist nach wie vor wichtig, dass die Gruppierungen auch eigene Räume haben. Die Schwierigkeit ist, diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu sammeln und an einem Strang zu ziehen. Bei Demonstrationen wie dem CSD schaffen wir es, gemeinsam für die Vielfalt und Diversität einzustehen. Den jungen Menschen möchten wir genau das sagen: Es ist nach wie vor nicht selbstverständlich, dass wir dieses Recht haben, eine Demonstration anzumelden und rauszugehen auf die Straße – das ist etwas, was wir aktiv nutzen müssen.

Roncevic: Es hat sich natürlich auch etwas im aktivistischen Prozess verändert. Früher war man immer sehr stark in der Offensive, hat etwas erkämpft, erstritten – ein Beispiel ist die eingetragene Lebenspartnerschaft. Seit ein paar Jahren haben wir verschiedene Kräfte, ein Sammelsurium von erzkonservativ bis stramm rechts, die sich aber zusammenschließen, nicht mehr diesen Konsens akzeptieren, sondern das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen wollen. Als Aktivistin und Aktivist muss man da auf einmal auf die Defensive achten.

In diesem Jahr ist ein Transmann beim CSD in Münster zu Tode geschlagen worden, nachdem er gegen Diskriminierung einschritt. Auch am Niederrhein haben Sie beim CSD Anfeindungen erfahren. Wie thematisieren Sie solche Vorfälle? Was erleben Sie?

Van Oyen: Die Anfeindungen, die wir tagtäglich in den Medien als Schlagzeile lesen, die in ihrer Heftigkeit hervorstechen, haben natürlich eine Relevanz. Nicht darüber gesprochen wird, dass es immer noch eine hohe Zahl an Alltagsdiskriminierung und Alltagsgewalt gibt. Wenn junge Frauen vergewaltigt werden, sinngemäß mit den Worten „du musst mal einen richtigen Schwanz fühlen, dann findest du auch Männer toll“. Das sind Dinge, die passieren in der Realität und sehr oft im Stillen. Jede Person, die unsere Zentren besucht, hat schon in irgendeiner Form eine Form von Anfeindung erlebt: von „Du Schwuchtel“ auf dem Schulhof bis hin dazu, dass dir jemand vor dem Jugendzentrum ins Gesicht gespuckt hat. In Kleve hat man versucht, unseren Briefkasten zu sprengen, Böller in unsere offene Tür hineingeworfen.

Roncevic: Es ist wichtig, dass das auch registriert wird. Sonst entsteht der Eindruck – ihr könnt ja jetzt heiraten, dann ist ja auch alles gut. Da muss man auch den Finger in die Wunde legen und sagen: Nein, es ist leider nicht alles gut.

Was kann helfen, für mehr Akzeptanz zu sorgen?

Roncevic: Jeder und jede, indem er oder sie dafür sorgt, dass die Akzeptanz von queeren Menschen im Alltag gesteigert wird, dass man sich über das eigene Wording Gedanken macht. Ob man von Transmenschen oder Transe spricht, macht schon einen Unterschied. Ob man ihre Perspektive teilt und sagt: „Person xy hat jetzt eine Angleichung an ihr eigentliches Geschlecht vorgenommen“, statt abwertend davon zu sprechen, „sie wurde umoperiert“. Es sind ja zwei Säulen: die rechtliche Gleichstellung, die weitestgehend abgeschlossen ist, und die gesellschaftliche Akzeptanz.

Van Oyen: Sprache schafft Realität. Und unsere Präsenz schafft vor Ort eine Veränderung und Bestätigung dieses Themas. Natürlich sind wir nicht die Mehrheitsgesellschaft – das ist in Ordnung. Aber wir sind viele.

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