Kreis Wesel. Einen Mini-Christopher-Street-Day feierten junge queere Menschen aus dem ganzen Kreis Wesel in Moers, Wesel und Dinslaken. Sie fordern Akzeptanz.

Sichtbar sein, bemerkt werden – das ist den zumeist jungen queeren Frauen und Männern am Samstag gelungen, als sie zum Christopher Street Day die Regenbogenfahne im bunten Demozug nach Moers, Wesel und Dinslaken brachten. Wohlwollend bis skeptisch von Passanten beäugt, bauten die Aktiven auf Einladung von Together Dinslaken und dem Verein SlaM and Friends Moers vor jedem der drei Bahnhöfe eine Mauer auf, die sie getreu dem Motto „Smash your Walls!“ – zerschlagt eure Mauern – dann auch niederrissen, und in die Innenstädte zogen.

Vera van Oyen begüßt die Demonstrierenden.
Vera van Oyen begüßt die Demonstrierenden. © FUNKE Foto Services | Gerd Hermann

Müssen Lesben und Schwule, Bisexuelle, Trans* und Intergeschlechtliche* (LSBT*I*) tatsächlich noch für Toleranz und ihren Platz in der Gesellschaft demonstrieren, die in der Medienwelt bereits ihre feste Rolle erkämpft haben und dort so alltäglich sind? Sie müssen, sagt Sascha Roncevic, Vorsitzender von SlaM and Friends Moers. Akzeptiert und gesehen werde die Community nur in den Metropolen wie Köln und Berlin. „Es gibt uns aber auch auf dem Land, in kleineren Städten wie Moers, Rheinberg, Wesel…“

Vera van Oyen, Kulturpädagogin bei Together Dinslaken und Organisatorin der Demos, präzisiert, dass viele Lesben und Schwule mit Anfeindungen privat und bei der Arbeit leben müssen, in Rechtfertigungszwang gedrängt werden, unter Depressionen, mitunter Selbstmordgedanken leiden. Sie wollen Normalität, „dass niemand mehr hinterherschaut, wenn zwei Männer oder Frauen händchenhaltend durch die Stadt gehen“.

Bei den Demos schauten zumindest alle hin, und das war gewollt. Ein junger Demonstrierender verteilt Kusshändchen – und bekommt sie von lächelnden Passantinnen erwidert. Ein älteres schwules Paar schaut besonnen dem kunterbunten Treiben zu, Kinder winken, Seniorinnen lachen den häufig in Regenbogenfahnen gehüllten jungen Leuten zu. Das ist die häufigste Reaktion, doch in Moers tut ein älterer Mann den Aktiven, die die Mauerreste abräumen, kund: „Wenn es Hitler noch gäbe, gäbe es Euch nicht!“ Im vergangenen Jahr, erinnert sich Sascha Roncevic, hat jemand in Geldern gerufen „Ihr gehört vergast!“ Auch das ist noch die Realität im Leben queerer Menschen. Und schlimmeres. „Im Herbst ist ein Transmädchen in Herne ins Koma geprügelt worden“, sagt Sascha Roncevic.

Emotionale Momente und ein langer bunter Tag

Von überall her am Niederrhein sind sie gekommen, um friedlich und fröhlich zu demonstrieren. „’Bah, du bist lesbisch’“, hat es an meiner alten Schule geheißen“, sagt eine junge Weselerin. Leeh ist 18 und hat sich mit 15 geoutet, „das war kein Ding“, sagt sie heute schulterzuckend. Avan (16) musste sich schon ein „Scheiß Lesbe“ gefallen lassen, und Sam (21), die sich mit 14 geoutet hat, präsentiert stolz ihren Studentenausweis: „Studierende*r“ steht darauf, sie lernt im Placidahaus in Xanten.

Dass das Leben trotz der bunten Szene so einfach nicht ist, zeigt ein emotionaler Moment vor dem Weseler Bahnhof: Ein junger Mensch, zierlich und auf den ersten Blick nicht klar männlich oder weiblich, steht schüchtern, fast ängstlich neben einer Freundin. Sie erzählt, dass sie in einer Wohngruppe leben und die Betreuer ihn konstant mit ‘Chantal’ ansprechen, obwohl er inzwischen Ayden ist. Die ganz normale Alltagsdiskrimierung, „sie müssen lernen, dass nicht jeder Mensch binär ist“, fordert die junge Frau, dass also nicht jeder und jede klar einem Geschlecht zugeordnet werden kann.

Um 12 Uhr mittags hat der Tag unter der Regenbogenflagge am Moerser Bahnhof begonnen, gegen 20 Uhr bittet Vera van Oyen die letzten Feiernden im Hexenhaus Dinslaken, nach Hause zu gehen. Ein langer, emotionaler und farbenfroher Christopher Street Day ist zu Ende. In Moers sind rund 60 Demonstrierende mitgezogen, in Wesel mehr als 100 und in Dinslaken um die 90, schätzt van Oyen.