Kreis Wesel. Die Zahl schwerer Unfälle im Kreis Wesel nimmt zu. Die Polizei betrachtet die Lage mit Sorge. Ablenkungen oder Leichtsinn seien Hauptursachen.

Es vergeht kein Tag mehr ohne Unfälle im Kreis Wesel - einige davon verlaufen schwer, wie zuletzt in mehreren Kommunen, manche mit Todesfolge. Dass es immer häufiger kracht auf den Straßen zwischen Moers und Hamminkeln, Sonsbeck und Dinslaken, bestätigt die Kreispolizei auf Nachfrage und geht nicht davon aus, dass sich die Zahlen im Laufe des Jahres bessern. 6650 Unfälle hat die Polizei in der ersten Hälfte dieses Jahres im Kreis Wesel verzeichnet, davon 692 mit Personenschaden. Und allein diese Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent an. 2021 hatte es zwischen Anfang Januar und Ende Juni 6113 Unfälle gegeben, bei 536 davon kamen Menschen zu Schaden.

Auch die Zahl der Todesfälle ist deutlich gewachsen. Kam in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres noch ein Mensch ums Leben, sind in diesem Jahr im gleichen Zeitraum bereits sechs Personen infolge eines Verkehrsunfalls gestorben, darunter drei junge Männer, die mit dem Auto ins Weseler Hafenbecken gestürzt waren und eine Radfahrerin, die im Mai in Hamminkeln von einem Zug erfasst wurde.

Fünf Männer waren Anfang des Jahres mit einem Auto ins Weseler Hafenbecken gestürzt. Zwei konnten sich befreien, die drei anderen jungen Männer starben.
Fünf Männer waren Anfang des Jahres mit einem Auto ins Weseler Hafenbecken gestürzt. Zwei konnten sich befreien, die drei anderen jungen Männer starben. © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

Allerdings müsse man bei allen gestiegenen Zahlen auch den Corona-Effekt berücksichtigen, sagt Kreispolizeisprecherin Andrea Margraf. Durch Lockdown, Homeoffice und hohe Infektionsquoten war die Zahl der Verkehrsunfälle in den Jahren 2020 und 2021 zurückgegangen, doch ein Blick auf die Vor-Corona-Zeit macht deutlich, dass die aktuellen Zahlen sogar noch geringer sind als in den Jahren 2018 und 2019. Damals hat es laut Polizei 7725 verzeichnete Unfälle in der ersten Jahreshälfte 2019 und 7761 Unfälle im gleichen Zeitraum 2018 gegeben.

Grund zur Freude ist das nicht, zumal sich die Polizei um die noch folgenden viereinhalb Monate des laufenden Jahres sorgt. Grund unter anderem: der vergangene Mittwoch.

Quasi im Minutentakt gingen da die Meldungen in der Kreisleitstelle ein. In Hamminkeln stürzte ein betrunkener Rollerfahrer mittags in einen Graben und kam ein 27-jähriger Motorradfahrer aus noch ungeklärter Ursache von der Fahrbahn ab - beide verletzten sich schwer; in Wesel fuhr ein Mann ohne Führerschein ein Kind an und flüchtete; in Moers musste ein Busfahrer einem SUV ausweichen, das auf die Gegenfahrbahn geraten war, und fuhr in fünf geparkte Autos; in Hünxe schwebte eine Pedelec-Fahrerin nach einem Sturz zunächst in Lebensgefahr - sie trug keinen Helm.

So ein geballtes Aufkommen wie am Mittwoch habe man in den vergangenen acht Jahren nicht gehabt, sagt Pressesprecherin Andrea Margraf. Und das seien auch nur die Unfälle mit Verletzten gewesen. „Die Leute waren gestern irgendwie durch den Wind“, sagt Margraf einen Tag später und appelliert an die Besonnenheit der Menschen: „Sammeln Sie sich vor der Fahrt und lassen Sie sich bitte nicht ablenken.“ Und: „Ein Pedelec-Kurs bei uns macht auch nicht dümmer.“

„Die Leute passen nicht auf, sie lassen sich ablenken“, sagt die Kreisverkehrswacht Wesel

Die Kurse mit den elektrounterstützten Fahrrädern bietet die Polizei mit der Kreisverkehrswacht Wesel mehrmals im Jahr an. Das generell hohe Unfallaufkommen im Kreis erklärt der Pressesprecher der Verkehrswacht, Bernd Störmer, zum einen mit dem grundsätzlich hohen Verkehrsaufkommen. „Wir sind einer der verkehrsreichsten Kreise in ganz Deutschland“, sagt Störmer. Laut Kreisverwaltung sind insgesamt 393.068 Fahrzeuge zugelassen. Bei rund 460.000 Einwohnern eine beachtliche Quote. In manchen Haushalten gebe es drei oder mehr Fahrzeuge, so Störmer, „hinzu kommen Fahrräder, Roller und Leichtkrafträder“.

Diese Zahlen lassen den Verkehrsraum im Kreis plötzlich sehr klein erscheinen. Erschwerend kommt laut Störmer das in vielen Fällen veränderte Fahrverhalten hinzu. „Die Leute passen nicht auf, sie lassen sich ablenken“, so der ehemalige Leiter des Verkehrsdienstes der Kreispolizei.

Selbstüberschätzung, Sorglosigkeit, Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit machen Polizei und Verkehrswacht als wesentliche Gründe für viele schwere Unfälle aus. Auslöser, die besonders gut gedeihen, wenn die Kontrolle fehlt. „Die Verkehrsdisziplin nimmt ab, sobald der polizeiliche Druck nachlässt“, sagt Bernd Störmer, ohne den Beamtinnen und Beamten einen Vorwurf machen zu wollen. „Im Kreis Wesel macht die Polizei viel in Sachen Verkehr.“ Sie habe aber auch schon einmal mehr machen können.

Hauptadressat ist daher der Innenminister. Der habe für die innere Sicherheit viel bewirkt, sagt Bernd Störmer. Dadurch hätten sich aber auch die Schwerpunkte verschoben. Wenn man die Unfälle in Land und Kreis aber reduzieren wolle, so Störmer weiter, „dann braucht die Polizei einen besseren Personalstamm“.

>>> Die Kreisverkehrswacht Wesel<<<
Neben den Pedelec-Trainings gemeinsam mit der Polizei bietet die Kreisverkehrswacht Fahrsicherheitstraining für Motorradfahrer und Senioren an. Generell richte sich das Angebot an die besonders gefährdeten Verkehrsgruppen, so Bernd Stoerme: Fußgängerinnen Fußgänger, Radfahrende, Senioren und Kinder, zum Beispiel mit Broschüren zum Schulstart. In der kommenden Vorstandssitzung werde man sich darüber unterhalten, ob man das Angebot anpassen müsse.

Mehr Informationen sind im Internet unter kreis-verkehrswacht-wesel.de zu finden.