Kreis Wesel. Besonders Viehhalter geben auf, Kinder übernehmen den elterlichen Hof nicht. Woran das liegt, erklärt der Vorsitzender der Kreisbauernschaft.
Lange Arbeitszeiten, hohe Betriebskosten, ständiger Druck aus der Politik, wenig Entlohnung, Perspektivlosigkeit: Das sind nur einige der Gründe, die Johannes Leuchtenberg, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Wesel, dafür nennt, dass viele junge Leute den elterlichen Hof nicht übernehmen. „Die Höfe sterben, und es wird noch schlimmer werden“, prophezeit der Neukirchen-Vluyner, „die jungen Bauern laufen weg“. Immer wieder werde er von Kollegen gefragt: „Wie sieht deine Exitstrategie aus?“
Neben all den wirtschaftlichen Gründen nennt er das Misstrauen, das den heimischen Lebensmittelproduzenten entgegen gebracht wird. „Das ist seit 20 Jahren so, irgendetwas war immer und immer sind die Landwirte daran schuld“, sagt er. Eine Art Dauerpranger, an den sich die Bauern gestellt fühlen. Das hat dünnhäutig gemacht. Wenn ausgerechnet Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir dann Pflanzenschutzspritzen als „Pestizidmaschinen“ bezeichnet, mache das die Lage auch nicht besser. „Es hat sich in den Köpfen der Landwirte festgesetzt: Egal was Du machst, es ist sowieso falsch.“
Treckerdemos haben unter dem Strich nichts gebracht
„Wir sind vor drei Jahren nicht umsonst auf die Trecker gestiegen“, sagt Leuchtenberg – die Fernsehbilder von den demonstrierenden Bauern sind noch gut im Gedächtnis. Gebracht habe das nichts. „Man hat uns zwar endlich einmal zugehört. Am Ende, vor den Wahlen, hat die Politik trotzdem gegen uns entschieden.“
Besonders hart trifft es die Tierhalter. Sauenhalter beispielsweise müssen investieren, wollen sie die – durchaus sinnvollen – Tierschutzvorgaben erfüllen. Allerdings fehlt die Verlässlichkeit politischer Beschlüsse. Wer neue Ställe baut, benötigt ein anderes Baurecht. Und die Sicherheit, dass der neue Stall nicht demnächst bereits von gestern ist. Um im Bild zu bleiben: Alle paar Jahre wird rechtlich eine neue Sau durchs Dorf getrieben, die Landwirte sehen sich damit wirtschaftlich überfordert.
Weiteres Problem ist die EU: 40 bis 60 Prozent des bäuerlichen Einkommens sind Subventionen, so Leuchtenberg. „Dafür werden wir häufig kritisiert. Sie sind aber notwendig, um mit den Niedriglohnländern mithalten zu können“, argumentiert er. Thema Schweinehaltung: Es gebe immer weniger Sauenhalter, aber immer mehr Ferkel auf dem Markt. „Sie kommen aus Dänemark und Holland und niemand fragt, wie sie dort kastriert und gehalten werden.“ Der freie Handel in Europa honoriert den Tierschutz nicht und zum Teil kommen die Waren – Eier beispielsweise – auch von außerhalb in die EU. Wie die Tiere dort gehalten werden – im Discounter kräht danach kein Hahn mehr.
IT NRW kann die Einschätzung mit Zahlen untermauern
Klagen die Bauern ohne zu leiden, wie es ihnen gerne vorgeworfen wird? Der Landesbetrieb IT NRW kann Zahlen aus den Jahren 2010 bis 2020 nennen, aktuellere hat er noch nicht. Demnach gab es im Kreis Wesel im Jahr 2010 noch 951 Höfe mit Viehhaltung, 2016 waren es 808 und 2020 nur noch 748 heimische Produzenten. 203 Bauern haben also in zehn Jahren das Handtuch geworfen. Von den 234 Schweinehaltern im Jahr 2010 sind 2020 noch 143 übrig, allerdings haben die verbliebenen Höfe vergleichsweise mehr Schweine. Zuchtsauen halten statt 93 Betrieben im Jahr 2010 zehn Jahre später nur noch 43 Bauern, weniger als die Hälfte. Nicht ganz so dramatisch nehmen die Geflügelbetriebe ab.
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Was fordern die Bauern? „Wenn die Landwirtschaft umgebaut werden soll, muss der Staat dafür aufkommen“, sagt Leuchtenberg – die Betriebe könnten es nicht allein stemmen, die Verbraucher ebenso wenig. Hat der Krieg in der Ukraine nicht den Sinn für heimisch produzierte Lebensmittel geschärft? Leuchtenberg lacht. „Hatten wir das nicht schon wegen Corona angenommen?“ Die Politik, fordern die Bauern, soll verlässlich benennen, was sie will. Und ermöglichen, dass es auch umgesetzt werden kann.