Bonn. Landwirte aus ganz Deutschland protestieren gegen die Agrarpolitk. Einen vereinbarten Traktorstellplatz hatten viele nicht akzeptiert.

Der Verdruss sitzt tief: Tausende Bauern aus ganz Deutschland haben an diesem Dienstag, 22. Oktober 2019, in Bonn friedlich gegen das Agrarpaket der Bundesregierung, eine Düngeverordnung, das Mercusor-Handelsabkommen, vor allem aber für mehr Respekt für ihren Berufsstand demonstriert. Viele waren mit dem Trecker angereist, mitunter waren sie die ganze Nacht durch gefahren.

Die Polizei sprach am Mittag kurz vor Ende der Kundgebung in der Stadtmitte von 5500 Teilnehmern und 2000 im Stadtgebiet abgestellten Traktoren, Tendenz: noch weiter steigend. „Es treffen immer noch einige Teilnehmer ein“, sagte ein Polizeisprecher. Am Morgen hatte es ein Verkehrschaos in der Innenstadt gegeben. Demoteilnehmer hatten einen verabredeten Traktorenstellplatz, drei Kilometer von der City entfernt, nicht akzeptiert.

Viele junge Bauern waren gekommen - Äpfel wurden verteilt

Der Polizeisprecher lobte den insgesamt friedlichen Demoverlauf.„Redet mit uns, nicht über uns“, „Farmers for Future“ und „Wir sind die wahren Klimaschützer“ stand auf den Plakaten, die bei der Kundgebung auf dem Münsterplatz in die Höhe gereckt wurden. Aufgerufen hatte das Bündnis „Land schafft Verbindung“.

Vor allem viele junge Bauern waren gekommen, einige hatten ihre Familien mitgebracht. An Passanten wurden Äpfel verteilt. Heike Franken, die mit ihrer Familie einen Ackerbau- und Milchvieh in Elten bei Emmerich betreibt, war mit dem Zug gekommen. „Wir sind nicht gegen Insektenschutz, wir sind auch für sauberes Grundwasser“, stellt sie im Gespräch mit der Redaktion klar. Nur, sachgerecht müsse die Diskussion sein, sachgerecht müssten die Maßnahmen sein.

Agrar-Experte vom BUND vermisst Lösungsvorschläge

  • „Viel Unmut und Verunsicherung“ hat Ralf Bilke auf der Demo der Landwirte in Bonn wahrgenommen. Der Agrar-Experte des Umweltverbandes BUND in NRW zeigte dafür angesichts „der unklaren Agrarpolitik von Bund und Land“ Verständnis dafür.
  • Bilke vermisst aber alternative Lösungsvorschläge, wie etwa der Artenschwund gestoppt oder gegen das Nitratproblem im Grundwasser vorgegangen werden könne. 28 Jahre nach Inkrafttreten der EU-Nitratrichtlinie seien zeitnahe Lösungen überfällig. (dum)

Redner auf der Demo beschworen den Zusammenhalt in Berufsstand

Dass Bauern in Gebieten mit besonders hohen Nitratwerten im Grundwasser wie dem Niederrhein künftig 20 Prozent unter Bedarf düngen sollen - so steht es in der Diskussion - das ist aus Sicht von Heike Franken alles andere als sachgerecht. Thomas Gerstner, ein Schweinehalter aus Viersen, sieht es genauso: „Wenn ich das bei meinen eigenen Kindern mache und sie 20 Prozent unter Bedarf ernähre, bekomme ich Besuch vom Jugendamt.“

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Peter Lautz, Bauer aus dem Bergischen Land, beklagte am Rande der Kundgebung, dass Landwirte immer stärker kontrolliert würden und dann auch noch für die Kontrollen bezahlen müssten, selbst wenn alles bestens war. Redner auf der Demo beschworen immer wieder den Zusammenhalt in Berufsstand, beklagten Bevormundung oder warben für regional erzeugte Lebensmittel.

Pfiffe für Onko Aeikens (CDU) - Demo übers Internet organisiert

Zwischenzeitlich drohte die Stimmung aber auch mal zu kippen. Den Respekt, den die Landwirte für sich einfordern, mochten Teile der Demonstranten nicht Politikern und Kritikern der konventionellen Landschaft zugestehen zu wollen. Ein Redner schimpfte unter Applaus auf „grüne Ökofaschisten“. Onko Aeikens (CDU), Staatssekretär bei Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), wurde bei seiner Rede derart mit Pfiffen und „Aufhören, aufhören“-Rufen bedacht, dass sich die Demoorganisatoren genötigt sahen, einzuschreiten.

Die Landwirte fordern Mitspracherecht. Rund 5500 Teilnehmer waren nach Bonn gekommen.
Die Landwirte fordern Mitspracherecht. Rund 5500 Teilnehmer waren nach Bonn gekommen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Mit Erfolg, wohlgemerkt. Maike Schulz-Brors, deren Familie einen Ackerbaubetrieb in der Lüneburger Heide, zeigte sich überwältigt von der Demo. Mobilisiert worden war in erster Linie über das Internet und da über eine von Schulz-Brors gegründete Facebookgruppe sowie über den Messengerdienst WhatsApp. „Landwirte brauchen wieder eine Stimme“, sagte die Bäuerin aus der Lüneburger Heide. Marcus Vieanden, Bauer aus Bonn und einer der Demoanmelder, beklagte im Gespräch mit der Redaktion, dass „Politik in den vergangenen Jahrzehnten an der Landwirtschaft vorbei“ gemacht worden sei.

Aus BDM-Sicht gibt es Änderungsbedarf in der Landwirtschaft

Die Organisation für die Kundgebung war binnen drei Wochen aus dem Boden gestampft worden; die Logistik sei aus Spenden finanziert worden, hieß es. Die Demo-Macher betonen ihre Unabhängigkeit von Verbänden. Rückenwind gab es gleichwohl schon. „Wir unterstützen den Protest“, sagte vor Ort auf dem Münsterplatz der rheinische Bauernpräsident Bernhard Conzen. Die rheinischen Bauern hatten bereits vor einer Woche mit Kollegen aus Westfalen-Lippe und Rheinland-Pfalz vorm Bundeslandschaftsministerium in Bonn demonstriert. Weitere Aktionen sollen folgen, im Gespräch sind zum Beispiel Mahnwachen.

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Conzen fordert Mitsprache der Bauern beim Agrarpaket ein: „Wo kommen wir denn hin, wenn wir nicht mehr miteinander reden?“ Hans Foldenauer,Landwirt aus Bayern und Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM), erklärte gegenüber der Redaktion: „Es ist gut, wenn Bauern aktiv werden.“ Die Sorgen der Landwirte seien berechtigt, viele Betriebe seien wirtschaftlich „auf Kante genäht“. Aus BDM-Sicht gibt es Änderungsbedarf in der Landwirtschaft. Vor allem aber müsse sich die Politik ändern: „Die war in den letzten Jahrzehnten einseitig auf die Interessen der Ernährungsindustrie ausgerichtet, damit diese landwirtschaftliche Erzeugnisse möglichst billig einkaufen konnte.“