Kreis Kleve. Eine Filmvorführung an der Hochschule Rhein-Waal zeigt Probleme im deutschen Schulsystem auf. Auch im Kreis Kleve ist die Lage nicht rosig.
Durch die laufenden Abiturprüfungen steht das Thema Schule aktuell wieder im Fokus. Im vergangenen Jahr mussten viele Prüfungen verschoben werden, weil es Probleme mit dem Download der Prüfungs-Unterlagen gab. Grundsätzlich wird das deutsche Schulsystem, insbesondere nach den wiederholt schlechten Ergebnissen bei den Pisa-Studien, immer wieder in Frage gestellt.
Dieser Thematik haben sich Ina Metzelaers und Beate Machwitz angenommen, die das Schulsystem ebenfalls sehr kritisch sehen. Sie betreiben im Café Zeit kennt keine Eile in Goch den Bildungswirkraum und haben sich mit Professorin Dr. Heike Helen Weinbach aus dem Studiengang Kindheitspädagogik der Hochschule Rhein-Waal zusammengetan, um über den Film „Bildungsgang“ Hintergründe zu Schulfrust, -abbrüchen, und -absentismus aufzuzeigen.
Dokumentation aus der Sicht von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Die rund 30 Besucher der Filmvorführung sahen eine Dokumentation von Simon Marian Hoffmann, die junge Menschen durch die Bildungskrise begleitet. Aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern beleuchtet der Film den dringenden Wunsch nach Veränderung und die Möglichkeit einer tiefgreifenden Reform des Schulsystems.
Der Film begleitet die Organisation „Demokratische Stimme der Jugend“, in der Jugendliche in Form von Konzerten, Demonstrationen oder Theateraufführungen auf Missstände im deutschen Schulsystem aufmerksam machen.
Beteiligte aus der gesamten DACH-Region
„In der Kampagne entstanden ein eigener Pop-Song, mehrere Vorträge, Interviews, Schulbesuche, Seminare, Workshops, Performances und Aktionen, wie Kreidepartys oder Flugblattverteilungen. Insgesamt waren über 1000 Jugendliche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligt“, heißt es auf der Webseite zum Film.
Bildungsbrief statt Noten
Eine Idee der Projekt-Beteiligten ist, statt der bisher üblichen Schulabschlüsse einen sogenannten Bildungsbrief einzuführen, der eine Ansammlung von Leistungen oder Kompetenzen darstelle, „die jene Potenziale eines Menschen aufzeigen, welche diesem Menschen wichtig sind.“
Der Bildungsbrief habe die Vorgabe, sich auf die Talente und Stärken eines Menschen zu konzentrieren und die geleisteten Erfolge zu dokumentieren. Dies könne in Form eines Portfolios, eines Textes oder einer beliebigen, kreativen Ausdrucksweise erfolgen, wird auf der Webseite erläutert.
Mitwirkende bemängeln Struktur des Schulsystems
„Ich habe mich in der Schule wie in einer Blase gefühlt, ohne Bezug zur Realität. Ich kann mich in der Schule nicht entfalten, ich reproduziere nur, was der Lehrer sagt, um einen Abschluss zu bekommen. Ich möchte nicht zuschauen, sondern meine Bildung selbst in die Hand nehmen“, betont Jaron Götz, einer der Projekt-Teilnehmer, im Film.
Lage im Schulsystem ist verheerend
Leider passiere es ganz oft, dass die Politik hinsichtlich neuer Ideen im Schulsystem abweisend sei, meint Weinbach. Sie halte die Ideen, die in dem Film vorgetragen werden, für „außerordentlich realistisch“, sagt die Professorin.
„Bildungsgang“ habe eine doppelte Ebene. Er bringe neue Ideen hervor, zeige gleichzeitig aber auch, dass sie umsetzbar seien, weil die Jugendlichen es selber gemacht hätten. „Ich finde es sehr beeindruckend, ein Jahr lang an so einem Projekt zu arbeiten.“
Politik hört nicht zu
Metzelaers findet: „Es fehlt definitiv das Zuhören. Wir stecken in einer Notlage. Ich habe auch Berührungspunkte mit Lehrern und sehe dort den Leidensdruck. Dann sehe ich die jungen Menschen, insbesondere meine beiden Söhne. Eigentlich sitzen alle im selben Boot.“
Sie könne nicht begreifen, wie es über so lange Zeit so wenig Bereitschaft gebe, die Lage als Herausforderung anzunehmen und auf die Gedanken der Jugendlichen einzugehen, dass man mal an einigen Stellschrauben drehe.
Schulabsentismus im Kreis Kleve hat zugenommen
Dagmar Wintjens, Schulamtsdirektorin im Kreis Kleve, erklärt: „Schulabsentismus ist aufgrund von Beobachtungen und Rückmeldungen aus den verschiedenen Schulformen gerade in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt.“
Schulen berichteten von einer zunehmenden Anzahl von Schülerinnen und Schülern, die aus den unterschiedlichsten Gründen über einen längeren Zeitraum nicht am Unterricht teilnähmen. Da Schulabsentismus ein längerer und sehr individuell verlaufender Prozess sei, kämen präventiven Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu, erläutert die Sprecherin der Schulaufsicht im Kreis Kleve.
Bezirksregierung nimmt sich dem Problem an
„Schulabsentismus hat vielfältige Ursachen und entwickelt sich häufig über einen längeren Zeitraum. Hier ist es wichtig, dass die Schulen die frühen Anzeichen erkennen und durch geeignete pädagogische Maßnahmen entgegenwirken“, erklärt eine Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf.
„Aus diesem Grund wurde im vergangenen Jahr für alle Schulen im Kreis Kleve eine Fortbildungsmaßnahme in Zusammenarbeit mit der LVR Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie durchgeführt. Die LVR Klinik hat eine Ambulanz für Schulabsentismus eingerichtet, an die sich Schulen und Erziehungsberechtigte wenden können. In vielen Fällen erfolgt hier zeitnah eine Unterstützung“, führt die Sprecherin aus.
Steigende Fallzahlen in NRW
Im vergangenen Jahr gab es im Regierungsbezirk Düsseldorf 3242 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verletzung der Schulpflicht. Das sind zwar nur knapp 50 Fälle mehr als im Vorjahr, aber zum Beispiel knapp 1000 mehr als 2018. Eine Aufschlüsselung nach Regionen oder Städten werde nicht aufgeführt.
Was die Anzahl der Schulabbrüche ohne Abschluss angeht, gab es laut der Landesdatenbank NRW im Schuljahr 2021/22 (aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor) in Nordrhein-Westfalen 181.980 Fälle, davon 2770 im Kreis Kleve.
Um diese Zahlen nach unten zu korrigieren, wäre zumindest die Überlegung über eine Schulreform ein möglicher Ansatz. In Bildungsgang erteilte das Kulturministerium Baden-Württemberg den Mitwirkenden der „Demokratischen Stimme der Jugend“ allerdings eine klare Absage. Trotz offensichtlicher Mängel scheint die Politik nach dem Prinzip „Weiter wie bisher“ vorzugehen.
Lesen Sie auch diese Nachrichten aus Kleve und dem Umland