Kleve. Der Klever Reichswald könnte zweiter Nationalpark NRWs werden. Wie stichhaltig sind die Gegenargumente? Die NRZ hat sie prüfen lassen.
Der Klever Reichswald könnte zweiter Nationalpark in NRW werden. Diesen Vorschlag hat zumindest NRW-Umweltminister Oliver Krischer im September 2023 gemacht, als er das Beteiligungsverfahren startete. Wie berichtet, gibt es aber nicht nur positive Stimmen zu dieser Idee. Der Waldbauernverband und auch die Gocher Stadtwerke sehen dieses Vorhaben kritisch und lehnen es ab. Die NRZ hakte beim NRW-Umweltministerium nach und wollte wissen, wie stichhaltige diese Argumente sind:
NRZ: Der Waldbauernverband weist in einer Pressemitteilung darauf hin, dass in einem Nationalpark viel wertvolles Holz verbleiben und verrotten würde, welches klimaschädliches CO₂ freisetzen würde. Ist es richtig, dass ein Nationalpark zu mehr CO₂-Emissionen beiträgt?
Das NRW-Umweltministerium verweist in seiner Antwort auf die Internetseite „Nationale Naturlandschaften“. Dort ist unter anderem zu lesen: „In den Wäldern junger Nationalparks wird im Vergleich zu anderen Ökosystemen und auch im Vergleich zu Wirtschaftswäldern besonders viel Kohlenstoff aufgenommen. Diese Aufbauphase dauert in der Regel mehr als 100 Jahre. Ein Nutzungsverzicht in deutschen Wäldern führt zum stärksten Biomassezuwachs und damit zur höchsten Speicherleistung. Ist die anfängliche Phase des Vorratsaufbaus abgeschlossen, tritt ein Gleichgewichtszustand ein, bei dem sich Biomasseauf- und -abbau die Waage halten.“
Es gebe unterschiedliche Ansichten darüber, ob Urwälder in Mitteleuropa fortan noch eine Senkenwirkung aufweisen, also weiterhin Kohlenstoff aufnehmen, oder ob sie den Kohlenstoff lediglich speichern, also den einmal fixierten Kohlenstoff binden, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Summe keinen weiteren Kohlenstoff mehr aufnehmen können. „Eine in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlichte, umfassende Literatur- und Datenbankauswertung zeigt jedoch, dass Wälder auch langfristig Kohlenstoffsenken darstellen und weiterhin Kohlenstoff im Boden binden. Aktuelle Forschungsergebnisse des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie belegen diese Annahme. Ein Großteil der im Ökosystem Wald gebundenen Kohlenstoffmenge ist demnach in Auflagehumus, Mineralboden und Wurzeln enthalten und wird auch noch in sehr alten Wäldern dort eingelagert.“
„Untersuchungen zeigen, dass Nationalparke wertvolle Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen geben“
NRZ: Der Waldbauernverband rechnet mit einem wirtschaftlichen Schaden von mindestens 50 Millionen Euro, wenn die forstwirtschaftliche Bewirtschaftung des Reichswaldes stark eingeschränkt wird. Mit welchen wirtschaftlichen Schäden rechnen Sie?
NRW-Umweltministerium: „Wir können die Zahl nicht verifizieren. Welche Grundlage hat die Zahl? Untersuchungen zeigen, dass Nationalparke wertvolle Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen geben. Seit seiner Gründung am 1. Januar 2004 zeigt der Nationalpark Eifel, dass er ein wichtiger Motor der wirtschaftlichen Regionalentwicklung ist. Mit 1.016.880 registrierten Besuchen überschritten die Besuchszahlen im Jahr 2022 das dritte Mal in Folge die Marke von einer Million Gäste. Seit der ersten Volluntersuchung im Jahr 2007 (450.000 Gäste) haben sich die Besuchszahlen des Nationalparks mehr als verdoppelt.“
„Eine Studie aus den Jahren 2014/2015 zeigte, dass der Nationalpark in der Region bei damals 870.000 Besuchen einen Bruttoumsatz von über 30 Millionen Euro pro Jahr bewirkte, was rechnerisch 674 Arbeitsplätzen entspricht. Auch würden Aufbau und Betrieb eines Nationalparks mit Investitionen einhergehen, die in Form von Fördermitteln in die Region fließen würden.“
„Bezüglich der Forstwirtschaft ist zu beachten, dass es sich bei Nationalparken in Deutschland zum Zeitpunkt der Ausweisung in der Regel zunächst um sogenannte Entwicklungsnationalparke handelt, da die Nationalparkverwaltung in ausgewählten Bereichen vorübergehend noch die Ausbreitung der heimischen Laubwälder und die Entwicklung naturnaher Lebensräume unterstützt. Hierdurch erfolgen häufig auch längere Zeit noch Holzentnahmen.“
„Zäune müssen nicht grundsätzlich abgebaut werden“
NRZ: Muss ein Großteil der bestehenden Zäune im Reichswald abgebaut werden?
NRW-Umweltministerium: „Generell sind Zäune in Nationalparkgebieten zu verschiedenen Zwecken einsetzbar und müssen daher nicht grundsätzlich abgebaut werden. Je nach Zweck und Anforderung kann die Beschaffenheit der Zäune variieren. Die konkrete Planung der zukünftigen Zaunverläufe erfolgt frühestens im Rahmen eines förmlichen Ausweisungsverfahrens. Im Rahmen so eines Verfahrens erfolgen umfangreiche Beteiligungen der betroffenen Kommunen, des Kreises und weiterer Träger öffentlicher Belange.“
NRZ: Sehen Sie eine Gefahr für die Zunahme von Wildunfällen auf den angrenzenden Straßen?
NRW-Umweltministerium: „Aktuell ist fast der gesamte Reichswald eingezäunt. Um den Wildwechsel innerhalb des Reichswaldes zu gewährleisten, verfügt der Zaun entlang der Grunewaldstraße sowie der B504 bereits heute streckenweise über Öffnungen. Zur Sicherheit für Mensch und Wild wurde daher bereits vor vielen Jahren eine Wildwarnanlage installiert. Eine Gefahr für die Zunahme von Wildunfällen wird daher nicht gesehen.“
NRZ: Der Waldbauernverband rechnet mit Personalkosten von jährlich 10 Millionen Euro? Womit rechnen Sie?
NRW-Umweltministerium: „Das Land investiert in den Schutz unserer biologischen Vielfalt, dazu gehören auch Investitionen ins Personal. Wie schon beim Nationalpark Eifel werden Mittel auch bei einem zweiten Nationalpark dafür eingesetzt, um die Aufgaben eines Großschutzgebietes umzusetzen. Dafür stehen Mittel im Naturschutzhaushalt bereit. In der Eifel wurden dadurch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, die der Region wieder zugutekamen – und dem Artenschutz, wie sich an der hohen Zahl von gefährdeten Arten ablesen lässt, die in der Eifel ihren Lebensraum haben.“
„Das Naturerlebnis der Bevölkerung gehören ausdrücklich zu den gesetzlichen Aufgaben von Nationalparken“
„Hierzu wurde in der Eifel auf das bereits bestehende Forstamt zurückgegriffen und dieses mit den Jahren erweitert. Daten zum Nationalpark Eifel finden Sie in den jährlichen Jahresberichten der Nationalparkverwaltung.“
NRZ: Ist es richtig, dass in einem Nationalpark sämtliche Aktivitäten wie Geocaching, Waldbaden, Pilze suchen etc. verboten sind? Wird auch das Radfahren und Reiten in einem Nationalpark stark eingeschränkt?
NRW-Umweltministerium: „Nationalparke bieten Naturerleben pur, 365 Tage im Jahr. Das Naturerlebnis der Bevölkerung und die naturkundliche Bildung gehören ausdrücklich zu den gesetzlichen Aufgaben von Nationalparken (vgl. § 24 Bundesnaturschutzgesetz). Wie vielfältig die Angebote zum individuellen Naturerleben oder auch die organisierten Veranstaltungen sein können, zeigen die Angebote im Nationalpark Eifel. Welche Schutzbestimmungen in einem Nationalpark erforderlich sind, wird im Rahmen der Nationalparkverordnung und des Nationalparkplans erarbeitet und abgestimmt.“
NRZ: Die Stadtwerke Goch lehnen einen Nationalpark Reichswald ab, weil Sie Einschränkungen bei der Trinkwassergewinnung im Reichswald befürchten? Ist mit Einschränkungen bei der Trinkwassergewinnung in einem Nationalpark Reichswald zu rechnen?
NRW-Umweltministerium: „Auch als Nationalpark kann der Reichswald weiterhin der Trinkwasserversorgung der Bevölkerung dienen. Nationalparkverordnungen können Regelungen für den Bestandsschutz von Trinkwasserversorgungsanlagen enthalten. Die Wasserversorgung vor Ort wird durch die mögliche Ausweisung eines Nationalparks nicht gefährdet. Sollte ein förmliches Ausweisungsverfahren gestartet werden, wird die bestehende Trinkwasserversorgung der Bevölkerung aus dem Reichswald in jedem Fall sichergestellt, da es sich hierbei um ein überragendes Interesse handelt. Im Rahmen des möglichen Ausweisungsverfahrens findet eine Beteiligung der Wasserwerksbetreiber und zuständigen Wasserbehörden statt.“
NRZ: Müssen Landwirte, die an einen Nationalpark angrenzen, mit Einschränkungen für ihre Bewirtschaftung rechnen?
NRW-Umweltministerium: „Es ist es nicht geplant, die landwirtschaftliche Nutzung in angrenzenden Flächen einzuschränken. Nach aktueller Rechtslage wird es keine Einschränkungen der land- und forstwirtschaftliche Nutzung auf angrenzenden Flächen geben.“
NRZ: Gibt es Bestrebungen, auch die Düffel in einen Nationalpark Reichswald einzubeziehen?
NRW-Umweltministerium: „Der aktuelle Dialog bezieht sich auf die Staatswaldflächen im Reichswald. Flächen, die sich nicht im Landesbesitz befinden, können nur unter Zustimmung der Eigentümerinnen und Eigentümer Teil eines Nationalparkgebietes werden, wobei die Initiative dazu von Eigentümerseite kommen sollte. Unter folgendem Internetlink kann ein aktualisiertes Luftbild des Reichswaldes eingesehen werden. Hierin sind alle zusammenhängenden landeseigenen Waldflächen des Reichswaldes hervorgehoben.“
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