Kleve-Kellen. Hermann Wolters hat in seinem Atelier „Denkstuhl“ in Kellen aus alten Materialien eine ansehnliche Straßenorgel recycelt.

Eine gewöhnliche Drehorgel ist sie nicht, die „Madame de la musique“, wie ihr Schöpfer Hermann Wolters sie nennt. Vielmehr eine ansehnliche Straßenorgel, die durch sehr altes Äußeres und modernes Innenleben überrascht. Hergestellt hat der 50-jährige begabte Handwerker sie aus recycelten Materialien in seinem jungen Atelier „Denkstuhl“ im alten Schuh-Bause-Gebäude in Kellen.

Mit den zwei Engelchen auf der Vorderseite (eine Errungenschaft vom Online-Marktplatz Ebay) und mit Notenschlüsseln auf der Rückseite verziert ist sie auf jeden Fall ein Blickfang. Die elektrisch betriebene Straßenorgel beherrscht – je nach Einsatzzweck – von 24 Titeln (Weihnachtsmusik) bis 73 Titeln (Stimmungsmusik) ein recht großes musikalisches Repertoire. Vorgeführt wird sie auf Wunsch in Seniorenheimen, Demenzeinrichtungen, bei Straßenfesten, Märkten, Feiern und mehr.

Posttraumatisches Belastungssyndrom nach Soldateneinsatz in Somalia

Hier ist Musik drin: Hermann Wolters hat seine Straßenorgel liebevoll verziert.
Hier ist Musik drin: Hermann Wolters hat seine Straßenorgel liebevoll verziert. © Anke Gellert-Helpenstein

Ihr Schöpfer möchte damit andere Menschen erfreuen, so wie er sich durch sein Arbeiten mit alten Materialien am Leben erfreuen kann, obwohl er es da nicht leicht hatte und hat. „Ich arbeite mit alten Hölzern ja nicht gewerblich, sondern rein aus therapeutischen Motiven“, verrät er im Gespräch mit der NRZ. „Denn ich leide unter einem schweren Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS). Und das seit mehr als 25 Jahren.“

Der gelernte Kfz-Mechanikermeister war 1994 bei einer Blauhelmmission als Soldat in Somalia eingesetzt. Aber in der Friedensmission hat er schlimme Bilder gesehen und dramatische Situationen erlebt, die seine Seele nicht verarbeiten konnte.

Lange Jahre arbeitete Wolters dann noch, nachdem er auch eine Tankstelle geführt hatte, als Lkw-Fahrer. „Das habe ich gerne und engagiert gemacht, weil ich mit dem PTBS nicht mehr in der Lage bin unter vielen Menschen zu sein. Und als Fahrer hatte ich viel, viel zu tun und war die meiste Zeit alleine.“ Aber 2014 kehrte das PTBS mit aller Wucht zurück und zog ihm ohne Vorwarnung den Boden unter den Füßen weg. Auf ärztlichen Rat hin musste er aufhören zu arbeiten.

Erster Orgeleinsatz in der evangelischen Begegnungsstätte

Aber Hermann Wolters wusste: „Ohne etwas zu tun und zu schaffen, ging es eben auch nicht. Und ganz früher wollte ich mal Schreiner werden, und da habe ich dann angefangen mit Hölzern, die andere wegwerfen wollten, zu arbeiten, daraus Neues zu erschaffen.“ Das ist dem Mann, der nicht aufgibt, sich gegen das PTBS zu stemmen, gut gelungen. „Es ist meine Art der Eigentherapie, um wenigstens ein bisschen am öffentlichen Leben teil haben zu können.“

Seine Orgel wird er demnächst einem größeren Publikum vorstellen. Denn die Straßenorgel wird am Donnerstag nach Ostern, 21. April, ab 14.30 Uhr bei der Eröffnung der Begegnungsstätte der evangelischen Kirchengemeinde Kleve an der Linde, Hagsche Straße/Ecke Lindenallee 42, wichtiger Bestandteil sein und dort Musik abspielen.

Neuer Traum vom Kinderkarussell

Wolters ist stolz darauf, dass er die „Klimperkiste“ in rund 200 Arbeitsstunden auf das Untergerüst eines Bollerwagens gebaut hat. „Zu 90 Prozent Upcycling. Nur das Abspielgerät für die Musik ist neu“, erklärt er. Verbaut hat er Einwegpaletten, Trampolinstangen, die zu Orgelpfeifen wurden, eine alte Leuchtreklame, ausgediente Werktischplatten (aus der alten Bause-Schuhfabrik) und vieles mehr.

Auf die Idee kam Hermann Wolters, weil er von einer solchen Straßenorgel geträumt hatte. „Jetzt ist sie fertig. Und nun träume ich von einem Kinderkarussell.“

Mehr Infos gibt es unter denkstuhl.jimdofree.com.