Kreis Kleve. KLves Landrätin Silke Gorißen will in einem Jahr einen Fahrplan für den Klimaschutz in den Händen halten, den man abarbeiten kann. Ein Kraftakt.
Das Thema Klimaschutz wird die Politik in Deutschland in den nächsten Jahren ganz und gar bestimmen. Auch der Kreis Kleve hat die Zeichen der Zeit erkannt und sich bereits vor der Sommerpause für ein ambitioniertes CO2-Ziel stark gemacht: Bis 2035 soll der Kreis Kleve klimaneutral sein. Die NRZ sprach mit Landrätin Silke Gorißen, wie sie dieses Ziel konkret umsetzen möchte und welche Maßnahmen bereits politisch auf den Weg gebracht worden sind.
Frau Gorißen, Sie sind jetzt seit acht Monaten Landrätin, und im Kreistag wurden schon einige ambitionierte Ziele auf den Weg gebracht. Wo wollen Sie in einem Jahr stehen?
Silke Gorißen: In einem Jahr möchte ich gerne mit unseren Klimaschutzmanagern die ersten Konzepte auf den Weg gebracht haben. Ich möchte für die Verwaltung und die Politik einen Zeitstrahl erarbeitet haben, anhand dessen wir sagen können, in welcher Reihenfolge wir wann welche Ziele erreicht haben wollen. Was ist möglich? Wo stehen wir? Welche Projekte müssen wir vordringlich angehen? Die Klimaschutzpolitik muss Struktur bekommen, damit man diese auch umsetzen kann. Da werden die Klimaschutzmanager eine ganz wichtige Rolle spielen.
Braucht es für die Umsetzung auch einen eigenen Fachbereich in der Verwaltung?
Nein, das denke ich nicht. Ich möchte die Klimaschutzmanager im Fachbereich „Technik“ anbinden, weil ich denke, dass wir hier auch die nötige Expertise bündeln können. In diesem Fachbereich sitzen die Experten für Umweltmaßnahmen und Bauen. Sollte sich herausstellen, dass wir organisatorisch nachjustieren müssen, dann können wir das immer noch machen.
In der politischen Diskussion konnte man zuletzt den Eindruck gewinnen, dass die Klimaschutzmanager künftig alles regeln sollen. Besteht da die Gefahr einer Abladestelle für lästige Themen?
Die beiden Klimamanager werden sich einarbeiten müssen. Wir werden uns mit den Fachbereichen zusammensetzen und überlegen, welche Aufgaben konkret anstehen. Und wir benötigen auch hier Zeitpläne. Wir haben Vorgaben von der Politik bekommen, die ich auch für umsetzbar halte. Wir müssen dann priorisieren, welche Themen wir sofort angehen können und welche Entwicklungen parallel laufen müssen. Wir machen in den unterschiedlichen Bereichen schon eine Menge – dies muss erst einmal zusammengeführt werden.
Wird der Klimaschutz die Arbeit der Verwaltung künftig komplett durchdringen und bestimmen?
Der Klimaschutz tangiert sehr viele Bereiche. Das fängt schon beim Homeoffice an: Wer zu Hause bleibt, muss nicht ständig mit dem Pkw zur Arbeit fahren. Die Verwaltung wird am Ende ihre Aufgaben so erledigen, wie sie sie zu erledigen hat. So haben zum Beispiel die Arbeiten des Kreisjugendamtes oder der Ausländerbehörde mit dem Klimaschutz relativ wenig Berührungspunkte. Aber generell gilt: Alles was wir künftig tun, muss auch aus dem Blickwinkel des Klimaschutzes betrachtet werden. Für uns alle ist klar, und das hat jetzt auch die Flutkatastrophe wieder gezeigt, wie ernst wir das Thema nehmen müssen. Das betrifft unser Leben ganz konkret, und wir müssen davon ausgehen, dass diese Wetterereignisse künftig häufiger auftreten werden.
Die Überschwemmung Keppelns ist drei Wochen her. Schaut man da als Kreisverwaltung auch noch mal anders auf technische Umweltvorgaben?
Das ist bereits in der Planung. Wir überlegen, was man in Uedem ändern kann, damit bestimmte Gebiete im Kreis Kleve nicht regelmäßig überschwemmt werden. Auch hier wird es noch weitere Starkregenereignisse geben. Keppeln ist aufgrund unterschiedlicher Faktoren besonders betroffen. Da müssen wir sehr schnell Lösungen erarbeiten. Aber in Zukunft wird es auch andere Themen geben, um die wir uns verstärkt kümmern müssen. Die letzten Sommer waren sehr trocken, da sind uns die Wälder abgestorben. Die Extreme, die sich häufen, das sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen: Das betrifft die Vorsorge im Sinne des Ziels der Klimaneutralität, aber auch der Klimafolgenanpassungen. Wir haben diesmal unglaubliches Glück gehabt, diese Starkregen hätten uns auch ganz anders treffen können. Aber der Sommer ist noch nicht vorbei.
Kommen wir zu den Themen des Kreises. Sie haben sich viel vorgenommen. Was haben Sie bislang in dieser Hinsicht schon unternommen?
Der Kreistag hat beschlossen, dass der Kreis bis zum Jahr 2035 klimaneutral sein soll. Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel. Denn das betrifft nicht nur die Kreisverwaltung, sondern das umfasst das gesamte Kreisgebiet. Wir müssen die gesamte Bevölkerung mitnehmen, und das ist eine Herausforderung – diese Ziele sollte man sich auch setzen. Wir müssen also verstärkt die Privatpersonen und Unternehmen ansprechen, die noch nicht so überzeugt sind. Aber ich habe da auch schon viele fortschrittliche Unternehmer kennen gelernt, die still ihren Anteil zur Klimaneutralität leisten. Diese Unternehmen sind in vielen Punkten sehr weit. Auch von solch positiven Beispielen können wir alle profitieren.
Muss man gerade am Anfang mit positiven Beispielen vorangehen? Der Mensch ist ein Herdentier und folgt gerne den positiven Beispielen. Unsere NRZ-Umfrage offenbart, dass die Bürger eine Notwendigkeit zum Klimaschutz nur zu fifty-fifty sehen. Da gibt es also noch Luft nach oben.
Wir brauchen sicherlich viele positive Beispiele, Anreize und Menschen, die vorangehen. Das kann aber nicht nur über die Kreisverwaltung laufen. Das sind viele Schritte, die gemacht werden müssen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Ein einfaches Beispiel: Ich wundere mich immer, wie viele Menschen auch bei bestem Wetter ihre Wäsche in den Trockner stecken. Man kann diese auch draußen oder im Keller aufhängen. Gerade beim Trockner kann man richtig Geld sparen. Für diese kleinen Dinge müssen wir die Menschen sensibilisieren. Denn damit können wir eine Menge erreichen. Wir brauchen quasi ein neues Lebensgefühl und wir müssen einfach mehr über unsere Verhaltensweisen nachdenken. Dafür benötigt man positive Anreize. Klimaschutz darf für die Menschen nicht unbequem sein – sonst wird es nicht funktionieren.
Wir sind noch weit von der Klimaneutralität entfernt und Ihre Umfrage zeigt, dass diese Problematik in den Köpfen vieler Bürger noch gar nicht angekommen ist.
Welche Maßnahmen hat die Kreisverwaltung denn schon umgesetzt?
Wir haben schon eine ganze Menge getan. Zum Beispiel stellen wir unsere Kfz-Flotte sukzessive auf emissionsfreie Technologien um. In Kürze haben wir zwei reine E-Autos und werden im Herbst vier weitere Fahrzeug erhalten. Die Ladeinfrastruktur ist dafür vorbereitet.
Im allgemeinen Fahrzeugpool werden dann künftig nur noch zwei Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor stehen, und diese werden nach Leasing-Ende ebenfalls ersetzt. Besondere Anforderungen haben aber zum Beispiel Rettungsfahrzeuge. In diesem Feld wird die Umstellung sicherlich noch dauern.
Ein wichtiger Bereich ist Bauen und Sanieren. Unsere Kreis Kleve Bauverwaltungs GmbH berücksichtigt bereits strenge Energie-Standards. Wo es möglich ist, setzen wir regenerative Energien an den kreiseigenen Gebäuden ein. Die KKB hat als Modellprojekt ein eigenes Bürogebäude jetzt klimaneutral saniert. Gerade bei Neubauten entwickeln sich aktuell viele interessante Projekte, um auf der einen Seite Energie zu sparen und auf der anderen Seite Rohstoffe wiederverwenden zu können.
NRZ-Umweltcheck für alle lesbar
Wie wichtig Umwelt- und Klimaschutz ist, hat uns die Flutkatastrophe in NRW wieder gezeigt. Auch wir als NRZ finden das Thema sehr wichtig und beschäftigen uns in den nächsten Wochen intensiv damit in unserem Umweltcheck für den Kreis Kleve. Natürlich geht der Klimawandel alle Menschen an. Als besonderes Sommer-Bonbon macht die NRZ die Artikel auch ohne Abo zugänglich. Alles zum Thema auf nrz.de/umweltcheck
Wir haben aktuell immer noch die Situation, dass der Großteil der Bevölkerung am liebsten mit dem Auto vor das Geschäft fahren möchte. Ich glaube, dass wir in Zukunft ganz andere Angebote schaffen müssen, um Verkehr aus den Städten herauszuhalten, es andererseits den Leuten aber auch einfach machen müssen, in die Stadt hineinzukommen. Da gibt es dann Verbindungen zum ÖPNV oder zum Fahrrad. Die Städte müssen sich Gedanken darüber machen, welche Parkplätze man noch vorhalten möchte und wie gut der ÖPNV ausgebaut werden soll. Das sind Fragen, die muss jede Stadt oder Gemeinde selbst beantworten.
Beim Thema ÖPNV liegt die Zuständigkeit auch bei uns, und das wird unser Haus sehr beschäftigen. Wir müssen darüber reden, welche Antriebsstoffe wir künftig nutzen wollen, welche Strecken ausgebaut werden sollen und – ganz wichtig – wir müssen über die Finanzierung reden.
Muss man erst einmal Angebote schaffen, um Bedarfe zu wecken?
Bevor man Angebot schafft, muss man die entsprechenden Routen auch buchen und festlegen. Und dazu gehört, dass die Kommunen das mittragen und finanzieren. Aber das sind ganz dicke Bretter. Denn sobald es um die Finanzen geht, wird es haarig, denn dann geht es ans Eingemachte. Aber allen Bürgermeistern ist klar, dass wir etwas tun müssen. Die Frage wird sein: Wie wird das finanziert?
Ich glaube, dass wir auch langfristig gesehen in unserem Flächenkreis immer stark auf das Auto angewiesen sein werden. In einer Großstadt lässt sich der ÖPNV leichter organisieren, bei uns wird es vor allem auf die Umstellung auf E-Autos und Wasserstoff ankommen. Ich sehe nicht, dass wir so richtig wegkommen vom Auto, dafür sind bei uns die Strecken einfach zu lang.
Lassen Sie uns aufs Fahrrad zu sprechen kommen. Durch das E-Bike ist das Rad eine echte Alternative auf vielen Strecken. Was wollen Sie tun, um den Radverkehr zu fördern?
Wir wollen Lücken im Radwegenetz schließen, zum Beispiel wurde da jetzt der Radweg an der K21 in Nieukerk beschlossen. Und wir wollen verstärkt Förderprogramme etwa aus dem Klimaschutzprogramm der Bundesregierung nutzen. Das Fahrrad dürfen wir künftig nicht nur als touristisches Fortbewegungsmittel sehen, sondern es wird verstärkt für die Wege des Alltags genutzt werden. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über Radschnellwege nachdenken, auf denen Radfahrer auch weitere Strecken zurücklegen können. Eine Machbarkeitsstudie wurde vom Kreistag diesbezüglich beschlossen.
Zum Abschluss, wie wichtig ist Ihnen persönlich der Klimaschutz?
Für mich ist das Thema völlig selbstverständlich und hat eine hohe Priorität. Wir haben keinen Planeten B, und es ist für mich gar keine Frage, dass wir alle sehen müssen, wie wir unsere Erde lebenswert erhalten und vieles noch zum Guten wenden können. Ich war sehr beeindruckt von den Aussagen des Astronauten Alexander Gerst, als er vom All aus auf die Erde schaute und die Zerstörungen sehen konnte und sich fragte: Was machen wir nur mit diesem sensiblen Planeten? Diese Sichtweise müssen wir uns viel stärker vor Augen führen.
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