Essen. Der Klinik-Atlas will Wegweiser sein. Er sei aber „womöglich gefährlich“, sagt Essens Stadtdirektor. Er ist nicht der einzige Kritiker.
In Essener Krankenhäusern ist die Reaktion auf den Bundes-Klinik-Atlas, der jetzt an den Start ging, gemischt. Das Online-Portal soll es Patienten und Patientinnen leichter machen, die richtige Klinik für eine Behandlung zu finden und verschiedene Standorte direkt miteinander zu vergleichen. Doch die Krankenhausgesellschaft NRW spricht von einem „Fehlstart“, Angaben seien fehlerhaft.
So sieht man es auch beim Essener Krankenhausträger Contilia. Und das Alfried-Krupp-Krankenhaus fordert gar: „Bis zur Beseitigung der grundlegenden Mängel erwarten wir, dass der Atlas vom Netz genommen wird.“ Dieser Forderung schließt sich nun auch Essens Stadtdirektor Peter Renzel an: Auf Facebook schreibt er, der Atlas sei enttäuschend und „für Patienten womöglich sogar gefährlich“. Auch für die Krankenhausträger berge er „große Gefahren“.
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So sieht es offenbar auch das „Krupp“ mit seinen Krankenhaus-Standorten in Rüttenscheid und Steele: „Der Bundes-Klinik-Atlas ist – aufgrund der im Portal bislang unvollständig hinterlegten Daten – nicht aussagekräftig und führt bundesweit zu großer Verunsicherung bei Fachleuten aus Medizin und Pflege, Mitarbeitenden, Patienten und Patientinnen und ihren Angehörigen.“
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Essener Krupp-Krankenhaus über falsche Fallzahlen verärgert
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte das Online-Angebot als „übersichtlichen Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“ angepriesen. Die Handhabung ist tatsächlich relativ einfach: Patienten können in die Suchmaske ein Krankheitsbild oder eine Behandlung eingeben, von Arteriosklerose über Herzschwäche bis Zahnentfernung.
„Der Suchbegriff muss nicht in Fachsprache ausgedrückt sein. Auch bei Tippfehlern können meist sinnvolle Vorschläge angeboten werden“, heißt es auf dem Portal. Gesucht werden kann bundesweit oder gefiltert nach Ort oder Postleitzahl. Wer keine weiteren Filter – Größe des Krankenhauses, Notfallversorgung, Barrierefreiheit – auswählt, bekommt die Häuser mit den höchsten Behandlungszahlen angezeigt. „Hohe Fallzahlen sind keine Garantie für gute Qualität“, heißt es auf dem Portal. Doch sie drückten die Erfahrung des Krankenhauses aus, stünden also für ein „geringeres Risiko für Komplikationen und eine höhere Patientensicherheit“.
Umso ärgerlicher sei es, wenn die genannten Zahlen nicht korrekt seien, kritisiert das Krupp-Krankenhaus: „Noch deutlicher verwundern uns Fallzahlen zu einzelnen Fachbereichen an unseren Häusern: Fallzahlen, die aus uns unerklärlichen Gründen um mehrere hundert Fälle weit unter den tatsächlichen Zahlen liegen.“ Dabei sei für Krankenhaus-Team nicht zu erkennen, wie die Zahlen generiert wurden: „Transparenz geht anders.“
Geburtsklinik in Essen längst geschlossen, wird im Klinik-Atlas aber noch aufgeführt
Auch tauchen im Klinik-Atlas offensichtlich veraltete Daten auf. So weist es für das Krupp-Krankenhaus 221 Geburten aus, versehen mit dem Hinweis „sehr wenige“. Die Zahl dürfte von 2022 stammen, als das Krupp-Krankenhaus zur Jahresmitte die Frauenklinik und damit auch seine Geburtshilfe schloss. Als Geburtsklinik dürfte das „Krupp“ im Klinik-Atlas also gar nicht auftauchen.
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Auch Krankenhausträger Contilia mit Elisabeth-Krankenhaus, Philippusstift sowie St. Josef-Krankenhaus Kupferdreh befürchtet, dass der Atlas Patienten verunsichern könne. Dabei sei es eigentlich Ziel des Angebots, Transparenz im Gesundheitswesen herzustellen und so Vertrauen zu schaffen. „Die Menschen wollen die Möglichkeit haben, sich aus unabhängiger Quelle über Gesundheitsangebote zu informieren.“ Dazu müssten die Informationen jedoch in einer „laienverständlichen Sprache“ aufbereitet sein und regelmäßig aktualisiert werden. „Die Idee ist nur dann auch gut umgesetzt, wenn die Informationen wirklich belastbar und unabhängig sind.“
Doch dem Klinik-Atlas gelinge es nicht, Begriffe, Zusammenhänge und Qualitätskriterien für Nichtexperten verständlich darzustellen. „Und die Datenlage ist unvollständig oder falsch – zumindest aber veraltet“, sagt Pressesprecherin Dorothee Renzel. Umso misslicher sei es, dass die Krankenhäuser bisher keine Möglichkeit hätten, aktiv an der Erfassung der Daten mitzuwirken; das sei erst für Ende 2024 angekündigt. In der jetzigen Form erreiche das Angebot „leider das Gegenteil des angestrebten Ziels“.
Bei allem Verdruss hört man in der Essener Krankenhaus-Landschaft auch andere Stimmen. Tenor: Wer Daten für 1661 Krankenhäuser bundesweit bereitstelle und dazu neben den Selbstauskünften der Kliniken auf Angaben von Krankenkassen, Fachgesellschaften und den Herausgebern von Zertifikaten zugreife, könne im ersten Aufschlag kaum ein völlig fehlerfreies Datenpaket anbieten. Dennoch biete der Klinik-Atlas eine erste Orientierung und müsse nun ergänzt werden. Der Atlas werde „kontinuierlich weiterentwickelt“, verspricht auch das Bundesgesundheitsministerium.
Das möchte Peter Renzel offenbar nicht abwarten, der Klinik-Atlas müsse sofort überarbeitet werden und bis dahin ruhen, fordert Essens Gesundheitsdezernent und wendet sich direkt an Berlin: „Herr Minister Lauterbach: Schalten Sie den Klinik-Atlas offline und schaffen Sie schnell Sicherheit und Vertrauen für die Bürgerinnen und Bürger! Und stimmen Sie sich bitte mit den Trägern ab.“
Renzel führt aus, dass er sich „als Bürger und damit auch als potentieller Patient“ intensiv mit dem Portal beschäftigt habe. „Ich muss leider feststellen, dass für eine große Anzahl von Beschwerden, Diagnosen oder Operationen mir schon fast regelhaft kein Essener Krankenhaus angezeigt wurde. Immer wieder soll ich scheinbar quer durch Nordrhein-Westfalen oder sogar in benachbarte Bundesländer reisen, um behandelt oder operiert zu werden.“ Das verunsichere ihn und werde der „herausragenden Gesundheitsversorgung“ in Essen nicht gerecht. Er schließe sich den Kritikern an, die von „gefährlicher Falschinformationen“ sprechen.
Experte nennt Daten im Bundes-Klinik-Atlas „Grundstein“
Vorerst wäre der Atlas besser offline, findet man eben auch im Krupp-Krankenhaus. So könne man nicht nachvollziehen, „dass nur eine Auswahl der Zertifikate unserer Fachabteilungen dargestellt ist“. Erfolgreiche Zertifizierungen von Traumazentren, Wirbelsäulenzentren, Chestpain Units (Brustschmerz-Abteilung), Heart Failure Units (Herzschwäche-Abteilung) fehlten völlig.
Auf dem Portal heißt es dazu: „Es wird eine Auswahl verlässlicher Zertifikate auf dem Bundes-Klinik-Atlas veröffentlicht.“ Tatsächlich sind die vielen Siegel im Gesundheitsbereich von unterschiedlicher Qualität. Bleibt die Frage, wie geglückt die jetzige Auswahl ist: Laut einem Spiegel-Bericht will sich das unabhängige Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) die Zertifizierungen noch einmal kritisch anschauen. Mit den jetzt veröffentlichten Daten habe man ohnehin erstmal „einen Grundstein“ geliefert, zitiert das Magazin IQTIG-Chef Claus-Dieter Heidecke.
Nutzer sollten sich vor Augen führen, dass die Aussagekraft aller Angaben begrenzt ist. So findet sich im Klinik-Atlas auch ein Pflegepersonalquotient, der die Zahl der Patienten pro Pflegekraft benennt. Der Wert berücksichtigt zwar die Fallschwere, bezieht sich aber auf das gesamte Krankenhaus – nicht auf die einzelne Abteilung, in der die vom Patienten gewünschte Behandlung stattfindet.
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