Essen. Nach über 90 Jahren schließt das bekannte Lampengeschäft auf der Viehofer Straße in Essen. Was Inhaber August Kaiser dazu sagt.
Die Morgensonne fällt warm durch die Fenster zur Schützenbahn hin und bringt die abertausenden Kristalle der Kronleuchter zum Funkeln. Lüster um Lüster reiht sich schier endlos an der Decke und mittendrin steht August Kaiser, 88 Jahre alt. Seit 1988 verkauft er hier in seinem kleinen Reich zwischen Viehofer Straße und Schützenbahn auf mehr als 2000 Quadratmetern Lampen. Doch die Tage von „Leuchten Kaiser“ sind gezählt. Der Ausverkauf läuft. Spätestens Ende des Jahres gehen in dem Traditionsgeschäft buchstäblich die Lichter aus.
Der Entschluss, das Geschäft ein für alle Mal zu schließen, liegt erst wenige Monate zurück. Schon vor vier Jahren wollte Kaiser eigentlich seinem Enkel das Geschäft übertragen. Doch das scheiterte an Widerständen innerhalb der Familie. Im Herbst 2023 dann kaufte August Kaisers Sohn den Betrieb samt Immobilie.
August Kaiser zur Viehofer Straße in Essen: „Der Standort ist tot“
Überlegungen, die Verkaufsfläche auf das Erdgeschoss zu beschränken und in den oberen Etagen Büros oder Studentenwohnungen zu schaffen, verwarf die Familie wieder. Zu hoch wären die Investitionen gewesen. Vor allem aber fehlte der Glaube an die Lage. „Der Standort ist tot“, sagt August Kaiser, „eigentlich schon seit mindestens 15 Jahren“.
90 Jahre Familientradition, einfach weg. August Kaiser wirkt gefasst. „Ja, das tut weh. Aber das verdrängt man.“ Und dennoch: Als die Entscheidung stand, hatte er sich im Februar mit seinen 88 Jahren ins Auto gesetzt und war allein bis an die Küste von Südspanien gefahren. Er brauchte Abstand. Nun aber steht er – wenn es die Gesundheit zulässt – wieder täglich im Laden und wickelt mit seinem Enkel, der, genau wie der Sohn und auch der Vater August heißt, das Geschäft an der Viehofer Straße ab.
„Leuchten Kaiser“: Wurzeln in Essen gehen bis ins Jahr 1933 zurück
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August Kaisers Vater hatte 1933 sein erstes Lampen- und Elektrogeschäft an der heutigen Kettwiger Straße eröffnet. Die Familie besaß eine Leuchtenfabrik im Sauerland, exportierte Waren in alle Welt. Die Mutter von August Kaiser stammte aus Essen. Noch heute lebt er im elterlichen Haus in Stadtwald. In den Bombennächten im Zweiten Weltkrieg verlor er zwei seiner Brüder. Die elterlichen Läden wurden zerstört und nach dem Krieg am Bahnhof und am Hirschlandplatz wieder aufgebaut. Als der Vater 1968 starb, führte sie seine Frau bis zu ihrem eigenen Tod 1982 weiter.
August Kaiser hatte in München studiert und betrieb in Süddeutschland selbst mehrere Lampenläden. Seine acht Kinder leben bis heute dort. Das Geschäft der Eltern in Essen war Anfang der 80er Jahre in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. „Ich wollte eigentlich nicht nach Essen. Doch ich habe es meinem Vater zuliebe getan. Ich wollte ihm den Stolz erhalten“, erinnert sich August Kaiser an die Zeit, als er ins Ruhrgebiet zurückkehrte.
Er päppelte die elterlichen Läden wieder auf, kaufte 1987 das leerstehende Haus in der Viehofer Straße 62, wo sich bis 1985 das Möbelhaus Tiggelbeck befand für 2,7 Millionen Mark und steckte weitere Millionen in die Sanierung. Am 4. November 1988 eröffnete „Leuchten Kaiser“ dort auf drei Etagen. Die anderen Standorte in Essen und im Rhein-Ruhr-Zentrum gab Kaiser auf.
Inhaber Kaiser bedauert Brecklinghaus-Insolvenz in Essen
Die ersten Jahre liefen gut. Anfang 1992 bedankte sich August Kaiser bei den Kunden sogar mit einer Anzeige in der WAZ: „Danke für 25 Prozent Umsatzsteigerung im Jahre 1991“. Die Kunden kamen aus Köln, Düsseldorf, aus Münster, aus dem Sauerland. „Bei uns gab es Lampen, die bekam man nirgendwo sonst“, erzählt er. Acht Fahrer hatte Kaiser in Hochzeiten beschäftigt, die die Ware auslieferten.
Beim Gang durch das Geschäft bleibt August Kaiser vor einem Lüster aus Porzellan stehen, streift fast verzückt über die filigran gearbeiteten Blüten: „Alles handbemalt“. Direkt daneben hängt ein Kronleuchter aus Muranoglas. Im Erdgeschoss zeigt er einen dreistöckigen Lüster mit Swarovski-Kristallen. Preis: fast 20.000 Euro. Qualität sei ihm immer wichtig gewesen. Und früher kam auch das Publikum zu ihm, das diese geschätzt habe und das nötige „Kleingeld“ mitbrachte. „Doch diese Kunden trauen sich doch schon längst nicht mehr her“, sagt Kaiser.
Er erzählt von den Drogengeschäften, die er beinahe täglich vor der Ladentür beobachtet, von Junkies, die sich am helllichten Tag einen Schuss setzen. Auch von Messerstechereien. Lange Zeit habe er gehofft, dass sich die Situation vor Ort wieder verbessert. „Aber das ist wie ein Krebs, der sich langsam ausbreitet.“
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Früher sei die nördliche Innenstadt ein bürgerliches Viertel gewesen. Es habe namhafte Läden gegeben. „Doch heute sind hier nur noch Dönerläden, Nagelstudios und Friseure.“ Das einzige inhabergeführte Geschäft, das neben seinem noch existiert, ist Brecklinghaus. Doch auch der traditionsreiche Taschen- und Kofferhändler ist in wirtschaftliche Nöte geraten und musste Insolvenz anmelden. „Schlimm ist das“, sagt Kaiser.
Auch sein Laden habe sich zuletzt nur noch halten können, weil die Immobilie ihm selbst gehört und er von keinen Bankkrediten abhängig sei. Auch jede Lampe darin sei bezahlt.
„Leuchten Kaiser“: Kunden halten Laden für nicht mehr zeitgemäß
Dass es für Lampen, die vier- oder gar fünftstellige Summen kosten, ein gut betuchtes Publikum braucht, ist freilich nur die eine Seite. Offensichtlich ist aber für viele Außenstehende auch, dass Leuchten Kaiser den modernen Geschmack kaum mehr bedient. Es sei ein Laden, „wie aus einer anderen Zeit“, schreibt zum Beispiel ein Kunde auf Google. Es fallen dort auch härtere Worte wie Kitsch und Klimbim.
August Kaiser ficht die Häme im Netz wenig an, tut sie als Stimmungen ab. Dass sein Geschäft mit der riesigen Fülle von über 10.000 Lampen heute in weiten Teilen einem Museum gleicht, macht ihn auf eine gewisse Weise sogar stolz. „Ich habe Freude daran.“
Immobilie von „Leuchten Kaiser“ steht kurz vor dem Verkauf
Bis zur Schließung hofft Kaiser, noch möglichst viele seiner Lampen zu verkaufen. 70 Prozent Rabatt räumt er auf das gesamte Sortiment ein. Das Geschäftshaus selbst ist bereits so gut wie veräußert. Zwei Essener hätten die Immobilie erworben. Was sie für Pläne haben, das will August Kaiser nicht vorwegnehmen, betont aber, dass ihm wichtig sei, was künftig damit passiert. „An jeden hätte ich nicht verkauft.“
In München und Augsburg wird es „Leuchten Kaiser“ in der Hand der Familie weitergeben. Nicht nur der Sohn, auch sein Enkel August führen die Tradition fort. „Mein Großvater hat auch in schwierigen Zeiten stets die Krone wieder aufgerichtet und seinen Weg fortgesetzt. Das schätze ich an ihm sehr“, sagt sein Enkel, während er mit seinen Händen eine virtuelle Krone über seinem Kopf bildet.
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