Essen. Harte Drogen werden in Essens Innenstadt verkauft und konsumiert. Ein Ortsbesuch an der Porschekanzel – wo Welten aufeinanderprallen.
Als die Fahrstuhltür aufgleitet, zuckt die Mutter mit dem Kinderwagen in der Kabine zusammen. Keinen Meter von ihr und dem Baby entfernt tauchen plötzlich zwei Männer auf, die im Vorraum des Aufzugs mehrere Einkaufswagen als Tisch nutzen und ganz offensichtlich dabei sind, harte Drogen zu nehmen. Die Frau reißt die Augen auf. Sie drückt hastig einen Knopf, die Tür schließt sich wieder. Nur schnell weg...
Die beiden Männer, einer um die 30, der andere um die 50, gucken kurz auf. Der Jüngere murmelt entschuldigend so etwas wie „Ja, ist scheiße“, kümmert sich wie der andere dann aber schnell wieder um das Pulver auf der Alufolie. „Scheiß Zeug“, sagt der dürre Mann mit Blick darauf. „Heute habe ich mir wieder nichts zu Essen gekauft.“ Stattdessen habe er doch wieder zum Heroin gegriffen, das er gerade raucht. Dabei sei er doch schon clean gewesen, beteuert er. An der Porschekanzel holt er sich jetzt wieder Konsumeinheiten – „Bubble“ genannt – „für ‘nen Zehner“, reise dafür regelmäßig von Gelsenkirchen aus an. Dachdecker sei er, berichtet er. Tatsächlich trägt er gerade Arbeitskleidung.
Drogen in Essen: Jahrzehntelanger Kenner der Szene ist alarmiert
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Es ist ein ganz normaler Nachmittag rund um die Porschekanzel, mitten in der Innenstadt. Man muss nicht mal genau hinschauen, um festzustellen: Essen hat an dieser Stelle ein massives Problem. Zwar wurde schon immer hartes Zeug in der Innenstadt verkauft und konsumiert – selbstredend ist das nicht nur ein Essener Problem – doch wenn ein jahrzehntelanger Kenner der hiesigen Drogenszene in Angesicht der aktuellen Zustände an der Porschekanzel sagt, dass er so etwas schon lange nicht mehr erlebt hat, lässt das aufhorchen. Während eines Rundgangs mit dem Reporter durch die Innenstadt formuliert der Mann – der seinen Namen nicht öffentlichen lesen will – drei Wünsche, die die Situation verbessern könnten:
- „Einen Drogenkonsumraum an der richtigen Stelle“: Der Raum der Suchthilfe an der Hoffnungstraße sei zu weit von der Porschekanzel entfernt, weswegen sich Suchtkranke andere vermeintliche Rückzugsorte wie Hauseingänge oder Parkbuchten im Parkhaus suchten.
- „Sozialarbeit an den Brennpunkten vor Ort“: Der Kenner befürchtet, dass nicht alle Rückzugsorte von Suchtkranken regelmäßig aufgesucht würden oder bekannt seien.
- „Es muss mehr Druck gemacht werden“: Zwar seien Ordnungsamt und Polizei vor Ort präsent, das Problem an der Porschekanzel bestünde aber weiter. Ihm schweben tägliche Kontrollen, Anzeigen und Gewahrsamnahmen vor. Er erinnert sich an das Ende der 90er, Anfang 00er Jahre, als sich die Drogenszene am Südausgang des Hauptbahnhofs versammelte und wegen des „Drucks“ der Behörden von dort verschwand, zumindest was Massenansammlungen anging.
Drogen in Essen: „Da sitzen abends Grüppchen zusammen, die sich gegenseitig spritzen“
Nicht nur die Mutter mit dem Kinderwagen wird in der Innenstadt mit einer Welt konfrontiert, in der Menschen ein trauriges Dasein in ihrer Drogensucht fristen, und Dealer und vor allem ihre Hintermänner von dem Leid profitieren. Unterhält man sich mit Menschen über den Stadtkern, dann wird klar: Vielen fallen sie auf, die Süchtigen, die mitunter wahre Gelage im Parkhaus in der Rathaus-Galerie abhalten, oder sich in Hauseingängen, gut sichtbar für Innenstadt-Besucherinnen und -besucher, ihrem Rausch hingeben.
Eine Frau, die zweimal wöchentlich in der Innenstadt unweit der Marktkirche arbeitet und die Zustände nur allzu gut kennt, sagt zu unserer Redaktion: „Da sitzen abends Grüppchen zusammen, die sich gegenseitig spritzen. Auch das Inhalieren von Koks sehe ich oft.“ Sie hatte sich an unsere Redaktion gewandt, nachdem sie unsere jüngste Berichterstattung zu einer Erhebung des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PwC zur Wohlfühlqualität in zwölf deutschen Städten über 500.000 Einwohnern gelesen hatte. Ihrer Innenstadt stellten die Essenerinnen und Essener darin, mal wieder, kein gutes Zeugnis aus.
Das liegt nach Angaben der Frau auch an der Drogensituation. Sie sagt über den Konsum: „Abends, circa 19.30 Uhr, mache ich diese Beobachtungen. Oft sind noch Familien unterwegs, die im Parkhaus zu ihren geparkten Autos gehen. Kinder sehen das also auch. Ich finde: Das geht gar nicht!“ Dass sich solche Szenen auch deutlich eher am Tag abspielen können, zeigt sich beim Ortsbesuch des Reporters, der die Szene mit der Mutter samt Kinderwagen und den beiden Heroin rauchenden Männern an einem späten Nachmittag Mitte April beobachtet.
Ähnlich wie der Kenner der Essener Drogenszene registriert auch die Frau, die in der Nähe Marktkirche arbeitet, die Präsenz der Behörden. „Man sieht eigentlich viel Polizei und Sicherheitspersonal in der Gegend – nur scheint es nicht zu wirken.“ Einen Vorschlag hat sie: „Mehr Kameras aufzustellen, wäre sicher eine Maßnahme.“ Im Kopf hat sie dabei die Überwachung, die vor Jahren am U-Bahnhof Rheinischer Platz von der Polizei installiert worden ist. Danach setzte ein Verdrängungseffekt ein: vom nördlichen Ende der Viehofer Straße bis zum Status quo – der Porschekanzel.
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