Essen. Lange stellte sich der Familien-Betrieb dem gefühlten Niedergang der Essener Innenstadt trotzig entgegen. Was bleibt am Ende übrig?
Die Arme verschränkt, ein Lächeln im Gesicht und dazu dieser Satz: „Wir halten die Stellung!“ Das war mal eine Ansage, gut zwei Jahre ist das jetzt her. Es war das beruhigende Versprechen eines Einzelhändlers in dritter Generation, standhaft zu bleiben, sich nicht kleinkriegen zu lassen durch Corona und Online-Boom, durch Image-Probleme im Quartier und einen Wandel der Essener Einkaufsstadt, den auch viele unverbesserliche Optimisten als Niedergang erleben. Doch nun scheint Brecklinghaus Lederwaren tatsächlich dessen jüngstes Opfer zu sein: Am Donnerstag meldete Geschäftsführer Gerd Brecklinghaus Insolvenz an.
Trotz der Insolvenz: Fürs erste und bis auf weiteres bleiben die fünf Läden geöffnet
Das Geschäft mit oft hochwertigen Lederwaren aller Art, von der Handtasche bis zum Rucksack, von Kleidersäcken bis zu Koffern, längst übrigens nicht mehr alle nur aus Leder gefertigt, wurde bis dato neben dem Stammhaus an der Viehofer Straße auch in vier Filialen betrieben: in Essen an der Rüttenscheider Straße, im Mülheimer Rhein-Ruhr-Zentrum und gleich zweimal am Düsseldorfer Flughafen. Ob und wie es damit künftig weitergehen kann, muss einstweilen offen bleiben: Fürs erste und bis auf weiteres bleiben die Läden geöffnet, behalten 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Job.
Das Sagen hat gleichwohl der vom Amtsgericht eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt Marc d‘Avoine aus der Wuppertaler Kanzlei ATN. Er hat die Arbeit bereits aufgenommen und versucht zu retten, was zu retten ist. Auf dem Spiel steht nicht nur ein x-beliebiger Laden in der Fußgängerzone, sondern eines der letzten echten Essener Traditionsgeschäfte in Familienhand: Gerd Brecklinghaus‘ Großvater Eberhard, geboren 1883 in Essen, gründete das Unternehmen anno 1907 in Homberg am Niederrhein und beschloss vier Jahre später, sich in seiner Heimatstadt Essen niederzulassen.
Der Großvater war innovativ, erfand Schuhfärber und Sohlenschoner. Doch der Krieg zerstörte alles
Ein lange prosperierendes Geschäft und eines mit innovativen Ideen: Brecklinghaus erfand ein Schuhfärbemittel, mit dem er international Geschäfte machte, und erhielt für seine „ledernen Sohlenschoner“ ein Deutsches Reichspatent. In einem Fabrikgebäude in der Brandstraße in Essen, das noch heute steht, beschäftigte er während des 1. Weltkriegs 130 Mitarbeiter und kümmerte sich rührend um seine Belegschaft: 1928 etwa entstand für die Pausenerholung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein 300 Quadratmeter großer Dachgarten auf dem Geschäftshaus.
Durch einen Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg sank alles in Schutt und Asche, doch der Wiederaufbau gelang auch der Familie Brecklinghaus: In den 1970ern dehnte man das Angebot auch aufs Mülheimer Rhein-Ruhr-Zentrum aus, 2005 eröffnete das erste Geschäft in den Airport-Arkaden des Düsseldorfer Flughafens, und seit 2014 gibt es auch einen Laden in Rüttenscheid.
Die Insolvenz-Gründe sind vielfältig: Corona und Inflation, Online-Boom und gestiegene Kosten
Doch die Krise des Einzelhandels ging auch an Brecklinghaus Lederwaren nicht spurlos vorüber. Brecklinghaus und der vorläufige Insolvenzverwalter d‘Avoine nennen die bekannten Stichworte: Die Auswirkungen der Corona-Krise, monatelange Schließungen und Beschränkungen, stark zunehmende Konkurrenz durch den Onlinehandel, der Rückzug von Lieferanten durch eigene geschaffene Absatzkanäle, dazu globale Unsicherheiten – all dies hätte „zu einem erschwerten Geschäftsumfeld“ geführt.
Zudem kämpfte Brecklinghaus Lederwaren nach eigenem Bekunden mit gestiegenen Kosten in allen Bereichen. Und der Inflation, die die betrieblichen Ausgaben erhöhte und die Rentabilität beeinträchtigte. Der allgemeine Rückgang im Konsumverhalten führte zu einem weiteren Druck auf die Umsätze, und als wäre all dies nicht genug, steht das Hauptgeschäft an der Viehofer Straße wie ein Vorposten der City in schwierigem Umfeld. Insolvenzverwalter d‘Avoine formuliert es mit leiser Ironie so: „Wir sitzen hier nicht im Nukleus.“
Am Ende sah sich Gerd Brecklinghaus als Alleininhaber des Traditionsgeschäfts gezwungen, Insolvenz anzumelden. Auch um mit Hilfe externer Fachleute eine schonungslose Bestandsaufnahme zu betreiben – wobei am Ende durchaus eine Sanierung stehen könnte, die den Fortbestandes des Unternehmens ermöglicht.
Am Freitag betonte Gerd Brecklinghaus erst einmal, er „danke an dieser Stelle ausdrücklich den langjährigen Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und allen anderen Beteiligten für ihre Unterstützung, Treue und ihr Verständnis in dieser schwierigen Zeit“. Es liest sich wie ein Abschied.