Essen. Essener Doku beleuchtet Hintergründe der Clanthematik. Filmteam reiste in die Heimat der libanesischen Einwanderer. Premiere in der Lichtburg.
Es gibt Clan-Dokumentationen, die tragen Titel wie „Blutsbande“ oder „Macht der Clans“. Und wer sie anschaut, der wird in seiner Erwartung, etwas über organisierte Kriminalität, Gewalt und Parallelgesellschaft zu erfahren, meist nicht enttäuscht. Wer am Sonntag, 5. Mai, um 11 Uhr in die Lichtburg kommt, der darf auf ganz andere Aspekte und Hintergründe der „Clan“-Geschichte gespannt sein. „Ashayir, ‚Clans‘ - die eine und die andere Seite“ heißt diese ungewöhnliche Essener Gemeinschaftsproduktion.
Neben dem Filmemacher Hamid Merhi sind daran auch die Essenerin Monika Rintelen und Unperfekthaus-Gründer Reinhard Wiesemann als Produzenten beteiligt. Der Film, so ihr Wunsch, soll auf „persönliche und menschliche Weise zeigen, dass das Clan-Thema vielschichtiger ist als oft angenommen“. Der Begriff „Clan“ wird dabei bewusst in Anführungszeichen gesetzt - für die einen sei das die ganz selbstverständliche Bezeichnung für Familie, für andere nur noch negativ besetzt und eine Beleidigung, weiß Regisseur Hamid Merhi.
Es ist eine ungewöhnliche Gruppe, die sich da mit der Kamera im Sommer 2023 auf den Weg nach Mardin macht. Die Provinz im Südosten der Türkei gilt als Heimat der so genannten Mhallamiye-Kurden. Etliche Familien sind von dort aus in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den Libanon gegangen. Als dort Ende der 1970er der blutige Bürgerkrieg ausbricht, flüchten viele von ihnen nach Europa, vor allem nach Deutschland.
Dort kann man wenig mit den libanesisch-kurdischen Einwanderern anfangen, viele der Mhallamiye werden zu Staatenlosen, ohne Pass, ohne Arbeit, ohne Perspektive. Ihre Asylanträge werden abgelehnt. Weil sich aber kein Staat verantwortlich fühlt und Papiere fehlen, bekommen die Menschen eine „Duldung“. Mit der „Aussetzung der Abschiebung“ und deren Folgen gehen seither auch Schlagzeilen über arabischstämmige Großfamilien einher, die ihren eigenen Regeln folgen und deutsche Gesetze ignorieren.
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Auch Hamid Merhi, der als kleiner Junge mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Essen gekommen ist, erlebt als Kind die Hürden der Integration. Als er die Abbiegung in Richtung schiefe Bahn schon fast eingeschlagen hat, bekommt er Hilfe und Förderung von außen, trifft „die richtigen Leute“, wie er heute sagt, studiert Film in Köln und Baden-Württemberg. Mittlerweile hat Merhi eine Produktionsfirma in Borbeck und verdient sein Geld mit hochwertigen Werbe- und Videoproduktionen.
Es sind Menschen wie der Essener Sozialarbeiter Arno Pilger, die schon in den 1990ern bemüht sind, Essen und die libanesische Gemeinschaft näher zusammenzubringen, um ein friedliches Miteinander zu fördern. Pilger ist inzwischen verstorben. Seine langjährige Lebenspartnerin Monika Rintelen führt seine Mission nun in gewisser Weise fort. Die 71-Jährige tritt bei „Ashayir, ‚Clans‘ - die eine und die andere Seite“ als Co-Regisseurin und zusammen mit „Unperfekthaus“-Gründer Reinhard Wiesemann auch als Produzentin der Kino-Doku auf. Für das Filmprojekt sei Rintelen so etwas wie der Motor gewesen, schwärmt Merhi über seine Co-Regisseurin. Bei den Dreharbeiten in Mardin ist sie natürlich auch dabei.
Mittlerweile lebe sie ja selber in einem sogenannten „Clangebiet“, sagt Rintelen. Seit ein paar Jahren ist sie im Mehrgenerationenhaus „GeKu“ in der nördlichen Innenstadt zu Hause und fühle sich dort sehr wohl und sicher.
Die Frage, was die „Duldung“ in Deutschland eigentlich bedeutet und warum sich die Situation für die in Deutschland lebenden Libanesen in den vergangenen Jahrzehnten nicht verbessert habe, viele immer noch mit den Behörden um ihre Anerkennung kämpfen müssten, beschäftigt sie dabei seit langem. Als sie Hamid Merhi trifft, ist sich Rintelen sicher: „Das ist der Mensch, mit dem ich das alles aufarbeiten kann.“ Und so starten sie gemeinsam das Filmprojekt „Ashayir, ‚Clans‘ - die eine und die andere Seite“.
Die Doku, sagen die Filmemacher, soll ein Augenöffner sein, mit vielen Fakten und Statistiken. „Es wird ganz viel deutlich und viel erklärt“, sagt Merhi. Aber natürlich soll der Film auch ein Bild vom Leben der libanesischen Gemeinschaft vermitteln - in Essen und in Mardin. Für die Dreharbeiten vor Ort bleiben im vergangenen Sommer zwar nur wenige Tage. Doch während der Dreharbeiten von frühmorgens bis spät in die Nacht gibt es unzählige Begegnungen, Interviews, Entdeckungen. Gemeinsam suchen und finden sie unter anderem auch das Haus des Urgroßvaters der mitgereisten Diana Siala.
Emotionale Momente, die im Film ebenso spürbar werden sollen wie die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen in Mardin, von der Monika Rintelen schwärmt. Viele beteiligen sich an den Dreharbeiten. Sogar eine Drohne komm zum Einsatz. Dass die Schnitte schnell, das Erzähltempo hoch ist, kündet auch von dem cineastischen Ehrgeiz, den Hamid Merhi in das gemeinsame Projekt gesteckt hat.
Viele Gesprächspartner vor die Kamera geholt
Der Borbecker Filmemacher hat die Kontakte und das Vertrauen der libanesischen Community, Rintelen übernimmt viel organisatorische Vorarbeiten für den Dreh. Auch in Essen werden Gesprächspartner gefunden, die schon lange in Deutschland angekommen sind und Karriere gemacht haben, wie beispielsweise der Vogelheimer „Tortenboss“, Mohammed Omairat. Nicht unerwähnt bleiben aber auch jene, an denen jeglicher Integrationsversuch gescheitert ist. „Ashayir, ‚Clans‘ - die eine und die andere Seite“ - der Filmtitel ist eben Programm.
Neben Protagonisten wie dem langjährigen Leiter des Kommunalen Integrationszentrums Essen, Helmut Schweitzer, dem Grünen-Politiker Ahmad Omeirat, Ali Can vom Vielrespektzentrum oder Clara Gsella, Vorsitzende des Vereins Viertelimpuls, habe man deshalb auch Interviewfragen an Menschen gestellt, die sich kritisch mit der Clanthematik beschäftigten. „Wir wollten auch andere Meinungen hören“, betonen die Filmemacher. Vor die Kamera sei am Ende aber keiner getreten.
Das Thema Kriminalität werde im Film gleichwohl nicht ausgespart, aber eben nicht in den Mittelpunkt gestellt. Es betreffe ja nur eine kleine Gruppe von Leuten, sagt Merhi, der sich selbst als „Deutscher mit libanesischer Familiengeschichte“ bezeichnet. „Der Film kann nicht für alle Libanesen sprechen, aber er vermittelt ein gutes Bild“, zeigt sich der Essener Filmemacher überzeugt. Vor allem soll er Menschen ins Gespräch bringen. „Um Hoffnung zu haben“, finden die Filmemacher, „braucht es ein Aufeinanderzugehen“.
Mehr Infos zum Film
Die Dokumentation „Ashayir ‚’Clans’ - die „eine und die andere Seite‘“ hat am Sonntag, 5. Mai, 11 Uhr, in der Lichtburg Essen Premiere.
Die Tickets (5 Euro) gibt es an der Kinokasse oder online unter www.filmspiegel-essen.de
Zahlreiche der Akteure werden bei der Filmpremiere in Essen dabei sein.
Von den Erfahrung des Films beeinflusst, soll deshalb auch eine neue Stiftung ins Leben gerufen werden, die „KräftigeGüteStiftung“. Deren Aufgabe bestehe darin, „staatlichen Machtorganen deutlicher zu machen, dass Güte eine stärkere und langfristiger wirkende Kraft als „1000 Nadelstiche“ und „hartes Durchgreifen“ ist“, so formulieren es die Initiatoren. Und damit das am Ende vielleicht mehr Menschen so sehen, soll die Doku nach der großen Kinopremiere auch rasch auf YouTube für viele zugänglich sein.
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